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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Sprachwandlungen

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Oft liegt auch heute noch für das Sprachgefühl einzelner Mundarten oder
der daraus schöpfenden Dichter der alte Sprachstamm, wenn auch nicht immer
deutlich, zugrunde. Man fühlt vielleicht noch das gotische bairan, "tragen", in
fruchtbar, Bahre und gebären, das gotische Mina, "Mann" (lateinisch Komo), in
Bräutigam, das englische führe, "Anteil", in bescheren, oder wenigstens das Wort
"braten" in Wildbret, die Verwandtschaft mit "gehören" in Behörde und die Be¬
deutung des "v--, "gegen", in Antwort.

Manchmal gestaltet allerdings die keck und phantasievoll zugreifende Volks¬
etymologie aus dem griechischen -X^o-v^ ein "Almosen", während sie aus der
wörtlichen Übersetzung "armherzig" für misericorZ ein "barmherzig" oder gar
aus srcubslista das Wort "Armbrust" macht.

Im allgemeinen wird für die Bildung eines Wortes das zunächst sich bietende
Material nach dem Nützlichkeitsstandpunkt verwendet, und auch hierbei wird oft
altgeprägtes Sprachgut eingeschmolzen. "Behende" ist, was "bei der Hand" ist,
bequem (vergleiche englisch comet^) was gerade "kommt", behaglich was "naM"
(altnordisch "geschickt", vergl. ImZar, anordnen) sein will. "Bieder" (bickerbe) ist
das, dessen man bedarf.

Auf die Namen der Orte, Flüsse, Berge möchte ich hier nicht eingehen: sie
sind (meistens im Norden) slawisches, litauisches, jedenfalls fremdsprachliches
Eigentum oder manchmal (so besonders in Mitteldeutschland) gelehrte Umbildungen
alter Benennungen, wie etwa das griechisch-lateinisch klingende Jena, und fast nur
in Oberdeutschland läßt sich die Verwandtschaft, etwa mit Ache (-^ acma, Wasser)
in Salzach, oder mit "Mönchen" in München sofort lückenlos klarlegen.

Charakteristisch aber ist es, welche Anstrengungen die nur an das Guts glaubende
Sprache macht, um den Begriff des Schlechten auszudrücken. Schlecht ist, was
eigentlich nur "schlicht", was schlecht und recht ist, "unangenehm", was schlecht
zu nehmen, "anrüchig" das, von dem ein schlechtes Gerücht geht. Auch "unartig",
was keine "Art" (Ackerung von lat. arare, pflügen) hat, ist noch sehr wohl zu
verstehen. Hieran aber schließt sich der auffälligste Bedeutungswandel. Ein Elender
ist nicht mehr der unglückliche, aus dem Lande vertriebene Flüchtling, er wird ein
Schurke. Man denke etwa an die Herabsetzung der Worte Bube (Knabe, dann
Schuft), Knecht (der nicht Edele), Dirne; oder an den ähnlichen Vorgang in anderen
Sprachen (italienisch cattivo, altfranzösisch cmetik oaptivuZ, der Gefangene).
In Trunkenbold und Raufbold liegt ebensogut wie in den Namen Humbold und
Balduin das alte hatai (englich bolcy, kühn, zugrunde. Am auffälligsten aber ist
die Verkehrung von gutem zu schlechtem in "albern" (althochdeutsch alanari ^-
"allwahr", freundlich, ohne Falsch).


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Oft liegt auch heute noch für das Sprachgefühl einzelner Mundarten oder
der daraus schöpfenden Dichter der alte Sprachstamm, wenn auch nicht immer
deutlich, zugrunde. Man fühlt vielleicht noch das gotische bairan, „tragen", in
fruchtbar, Bahre und gebären, das gotische Mina, „Mann" (lateinisch Komo), in
Bräutigam, das englische führe, „Anteil", in bescheren, oder wenigstens das Wort
„braten" in Wildbret, die Verwandtschaft mit „gehören" in Behörde und die Be¬
deutung des «v--, „gegen", in Antwort.

Manchmal gestaltet allerdings die keck und phantasievoll zugreifende Volks¬
etymologie aus dem griechischen -X^o-v^ ein „Almosen", während sie aus der
wörtlichen Übersetzung „armherzig" für misericorZ ein „barmherzig" oder gar
aus srcubslista das Wort „Armbrust" macht.

Im allgemeinen wird für die Bildung eines Wortes das zunächst sich bietende
Material nach dem Nützlichkeitsstandpunkt verwendet, und auch hierbei wird oft
altgeprägtes Sprachgut eingeschmolzen. „Behende" ist, was „bei der Hand" ist,
bequem (vergleiche englisch comet^) was gerade „kommt", behaglich was „naM"
(altnordisch „geschickt", vergl. ImZar, anordnen) sein will. „Bieder" (bickerbe) ist
das, dessen man bedarf.

Auf die Namen der Orte, Flüsse, Berge möchte ich hier nicht eingehen: sie
sind (meistens im Norden) slawisches, litauisches, jedenfalls fremdsprachliches
Eigentum oder manchmal (so besonders in Mitteldeutschland) gelehrte Umbildungen
alter Benennungen, wie etwa das griechisch-lateinisch klingende Jena, und fast nur
in Oberdeutschland läßt sich die Verwandtschaft, etwa mit Ache (-^ acma, Wasser)
in Salzach, oder mit „Mönchen" in München sofort lückenlos klarlegen.

Charakteristisch aber ist es, welche Anstrengungen die nur an das Guts glaubende
Sprache macht, um den Begriff des Schlechten auszudrücken. Schlecht ist, was
eigentlich nur „schlicht", was schlecht und recht ist, „unangenehm", was schlecht
zu nehmen, „anrüchig" das, von dem ein schlechtes Gerücht geht. Auch „unartig",
was keine „Art" (Ackerung von lat. arare, pflügen) hat, ist noch sehr wohl zu
verstehen. Hieran aber schließt sich der auffälligste Bedeutungswandel. Ein Elender
ist nicht mehr der unglückliche, aus dem Lande vertriebene Flüchtling, er wird ein
Schurke. Man denke etwa an die Herabsetzung der Worte Bube (Knabe, dann
Schuft), Knecht (der nicht Edele), Dirne; oder an den ähnlichen Vorgang in anderen
Sprachen (italienisch cattivo, altfranzösisch cmetik oaptivuZ, der Gefangene).
In Trunkenbold und Raufbold liegt ebensogut wie in den Namen Humbold und
Balduin das alte hatai (englich bolcy, kühn, zugrunde. Am auffälligsten aber ist
die Verkehrung von gutem zu schlechtem in „albern" (althochdeutsch alanari ^-
„allwahr", freundlich, ohne Falsch).


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[0199] Sprachwandlungen Oft liegt auch heute noch für das Sprachgefühl einzelner Mundarten oder der daraus schöpfenden Dichter der alte Sprachstamm, wenn auch nicht immer deutlich, zugrunde. Man fühlt vielleicht noch das gotische bairan, „tragen", in fruchtbar, Bahre und gebären, das gotische Mina, „Mann" (lateinisch Komo), in Bräutigam, das englische führe, „Anteil", in bescheren, oder wenigstens das Wort „braten" in Wildbret, die Verwandtschaft mit „gehören" in Behörde und die Be¬ deutung des «v--, „gegen", in Antwort. Manchmal gestaltet allerdings die keck und phantasievoll zugreifende Volks¬ etymologie aus dem griechischen -X^o-v^ ein „Almosen", während sie aus der wörtlichen Übersetzung „armherzig" für misericorZ ein „barmherzig" oder gar aus srcubslista das Wort „Armbrust" macht. Im allgemeinen wird für die Bildung eines Wortes das zunächst sich bietende Material nach dem Nützlichkeitsstandpunkt verwendet, und auch hierbei wird oft altgeprägtes Sprachgut eingeschmolzen. „Behende" ist, was „bei der Hand" ist, bequem (vergleiche englisch comet^) was gerade „kommt", behaglich was „naM" (altnordisch „geschickt", vergl. ImZar, anordnen) sein will. „Bieder" (bickerbe) ist das, dessen man bedarf. Auf die Namen der Orte, Flüsse, Berge möchte ich hier nicht eingehen: sie sind (meistens im Norden) slawisches, litauisches, jedenfalls fremdsprachliches Eigentum oder manchmal (so besonders in Mitteldeutschland) gelehrte Umbildungen alter Benennungen, wie etwa das griechisch-lateinisch klingende Jena, und fast nur in Oberdeutschland läßt sich die Verwandtschaft, etwa mit Ache (-^ acma, Wasser) in Salzach, oder mit „Mönchen" in München sofort lückenlos klarlegen. Charakteristisch aber ist es, welche Anstrengungen die nur an das Guts glaubende Sprache macht, um den Begriff des Schlechten auszudrücken. Schlecht ist, was eigentlich nur „schlicht", was schlecht und recht ist, „unangenehm", was schlecht zu nehmen, „anrüchig" das, von dem ein schlechtes Gerücht geht. Auch „unartig", was keine „Art" (Ackerung von lat. arare, pflügen) hat, ist noch sehr wohl zu verstehen. Hieran aber schließt sich der auffälligste Bedeutungswandel. Ein Elender ist nicht mehr der unglückliche, aus dem Lande vertriebene Flüchtling, er wird ein Schurke. Man denke etwa an die Herabsetzung der Worte Bube (Knabe, dann Schuft), Knecht (der nicht Edele), Dirne; oder an den ähnlichen Vorgang in anderen Sprachen (italienisch cattivo, altfranzösisch cmetik oaptivuZ, der Gefangene). In Trunkenbold und Raufbold liegt ebensogut wie in den Namen Humbold und Balduin das alte hatai (englich bolcy, kühn, zugrunde. Am auffälligsten aber ist die Verkehrung von gutem zu schlechtem in „albern" (althochdeutsch alanari ^- „allwahr", freundlich, ohne Falsch).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/199>, abgerufen am 15.05.2024.