Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fremdenrechte in der Türkei

österreichischen Posten, doch gelang es der Türkei in der Vereinbarung über
Bosnien und die Herzegowina einen Verzicht Österreichs auf alle die Postämter
herbeizuführen, die sich als alleinige fremde an einem Orte befanden.

Eigentlich nicht auf Kapitulationenrecht beruhend, aber das Bild von der
fremden Einmischung in türkische Verhältnisse doch ergänzend, ist die internationale
Schuldenverwaltung. Von einem aus je einem Vertreter der deutschen, öster¬
reichischen, englischen, französischen, italienischen und türkischen Staatsobligationen¬
besitzer bestehenden Rat geleitet, werden von ihr fast die Hälfte der indirekten
und direkten Staatseinnahmen verwaltet, und erst nach Zahlung der Zinsen
bestimmter Anleihen wird der Überschuß dieser Einnahmen an die Staatskasse
abgeführt. Die Verdienste dieser "pedes publique", wie sie kurz genannt wird,
um das Wohl des türkischen Staates sind riesengroß, und nach Amortisation
der der "Veith" überwiesenen Anleihen -- neue läßt die türkische Regierung
nicht mehr hinzukommen -- wird dem Lande ein meist aus Ottomanen
bestehendes, nach europäischen Begriffen geschultes Beamtenpersonal zur Ver¬
fügung stehen, wobei sich hoffentlich nicht die in der Türkei oft beobachtete
Tatsache bemerkbar machen wird, daß der Fortgang fremder Reformer alsbald
auch ihr Werk gefährdet.

Derart ist in großen Zügen heute der Stand des Kapitulationenrechtes in der
Türkei. Viel Unrecht liegt in ihm und manches, was osmanischen Nationalismus
verletzen muß. Aber es heißt für die Mächte abwarten und für die Türkei
beweisen, daß ihre Behörden, besonders in den Provinzen, das bei allen Europäern
gegen sie bestehende tiefe Mißtrauen nicht mehr verdienen.

Alle zu rügenden Mißstände liegen noch zu sehr in der Anschauung des
Volkes begründet, in der auf religiöser Grundlage gewonnenen Stellungnahme
zu den Fremden. Alles dies wird eine erst mit einer neuen Generation mög¬
liche höhere Volksbildung bessern können, die ja überhaupt allein Bestehen
und Fortschritt der Türkei sichern kann.

Nach dem Ausbruch des türkisch - italienischen Krieges übernahm Deutsch¬
land den Schutz der in der Türkei lebenden Italiener, ebenso wie es sich bereit
erklärte, die Türken in Italien schützen zu wollen. Die Hohe Pforte, welche
die Übernahme des Schutzes der Italiener durch Deutschland nicht ungern sah,
erwiderte sofort auf die deutsche Übernahmeerklärung, daß sie nur eine Ausübung
des Schutzrechtes nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechtes anerkennen
könne. Da Deutschland als Vertreter Italiens hiergegen nicht Einspruch erhoben
hat, sind damit tatsächlich zum ersten Male die Kapitulationen gegen Angehörige
einer europäischen Großmacht in Wegfall gekommen. Während des türkisch-
russischen Krieges, in dem auch Deutschland die in der Türkei ansässigen Russen
schützte, haben sie weiter bestanden. Die Italiener müssen also seit Ausbruch
des Krieges vor Gericht erscheinen, und den deutschen Konsulaten steht in ihren
Angelegenheiten kein Vermittlungs- und Assistenzrecht zu. Die Italiener müssen
ferner nunmehr alle Staatssteuern zahlen, und die türkische Regierung, die von


Die Fremdenrechte in der Türkei

österreichischen Posten, doch gelang es der Türkei in der Vereinbarung über
Bosnien und die Herzegowina einen Verzicht Österreichs auf alle die Postämter
herbeizuführen, die sich als alleinige fremde an einem Orte befanden.

Eigentlich nicht auf Kapitulationenrecht beruhend, aber das Bild von der
fremden Einmischung in türkische Verhältnisse doch ergänzend, ist die internationale
Schuldenverwaltung. Von einem aus je einem Vertreter der deutschen, öster¬
reichischen, englischen, französischen, italienischen und türkischen Staatsobligationen¬
besitzer bestehenden Rat geleitet, werden von ihr fast die Hälfte der indirekten
und direkten Staatseinnahmen verwaltet, und erst nach Zahlung der Zinsen
bestimmter Anleihen wird der Überschuß dieser Einnahmen an die Staatskasse
abgeführt. Die Verdienste dieser „pedes publique", wie sie kurz genannt wird,
um das Wohl des türkischen Staates sind riesengroß, und nach Amortisation
der der „Veith" überwiesenen Anleihen — neue läßt die türkische Regierung
nicht mehr hinzukommen — wird dem Lande ein meist aus Ottomanen
bestehendes, nach europäischen Begriffen geschultes Beamtenpersonal zur Ver¬
fügung stehen, wobei sich hoffentlich nicht die in der Türkei oft beobachtete
Tatsache bemerkbar machen wird, daß der Fortgang fremder Reformer alsbald
auch ihr Werk gefährdet.

Derart ist in großen Zügen heute der Stand des Kapitulationenrechtes in der
Türkei. Viel Unrecht liegt in ihm und manches, was osmanischen Nationalismus
verletzen muß. Aber es heißt für die Mächte abwarten und für die Türkei
beweisen, daß ihre Behörden, besonders in den Provinzen, das bei allen Europäern
gegen sie bestehende tiefe Mißtrauen nicht mehr verdienen.

Alle zu rügenden Mißstände liegen noch zu sehr in der Anschauung des
Volkes begründet, in der auf religiöser Grundlage gewonnenen Stellungnahme
zu den Fremden. Alles dies wird eine erst mit einer neuen Generation mög¬
liche höhere Volksbildung bessern können, die ja überhaupt allein Bestehen
und Fortschritt der Türkei sichern kann.

Nach dem Ausbruch des türkisch - italienischen Krieges übernahm Deutsch¬
land den Schutz der in der Türkei lebenden Italiener, ebenso wie es sich bereit
erklärte, die Türken in Italien schützen zu wollen. Die Hohe Pforte, welche
die Übernahme des Schutzes der Italiener durch Deutschland nicht ungern sah,
erwiderte sofort auf die deutsche Übernahmeerklärung, daß sie nur eine Ausübung
des Schutzrechtes nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechtes anerkennen
könne. Da Deutschland als Vertreter Italiens hiergegen nicht Einspruch erhoben
hat, sind damit tatsächlich zum ersten Male die Kapitulationen gegen Angehörige
einer europäischen Großmacht in Wegfall gekommen. Während des türkisch-
russischen Krieges, in dem auch Deutschland die in der Türkei ansässigen Russen
schützte, haben sie weiter bestanden. Die Italiener müssen also seit Ausbruch
des Krieges vor Gericht erscheinen, und den deutschen Konsulaten steht in ihren
Angelegenheiten kein Vermittlungs- und Assistenzrecht zu. Die Italiener müssen
ferner nunmehr alle Staatssteuern zahlen, und die türkische Regierung, die von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320639"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fremdenrechte in der Türkei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837"> österreichischen Posten, doch gelang es der Türkei in der Vereinbarung über<lb/>
Bosnien und die Herzegowina einen Verzicht Österreichs auf alle die Postämter<lb/>
herbeizuführen, die sich als alleinige fremde an einem Orte befanden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_839"> Eigentlich nicht auf Kapitulationenrecht beruhend, aber das Bild von der<lb/>
fremden Einmischung in türkische Verhältnisse doch ergänzend, ist die internationale<lb/>
Schuldenverwaltung. Von einem aus je einem Vertreter der deutschen, öster¬<lb/>
reichischen, englischen, französischen, italienischen und türkischen Staatsobligationen¬<lb/>
besitzer bestehenden Rat geleitet, werden von ihr fast die Hälfte der indirekten<lb/>
und direkten Staatseinnahmen verwaltet, und erst nach Zahlung der Zinsen<lb/>
bestimmter Anleihen wird der Überschuß dieser Einnahmen an die Staatskasse<lb/>
abgeführt. Die Verdienste dieser &#x201E;pedes publique", wie sie kurz genannt wird,<lb/>
um das Wohl des türkischen Staates sind riesengroß, und nach Amortisation<lb/>
der der &#x201E;Veith" überwiesenen Anleihen &#x2014; neue läßt die türkische Regierung<lb/>
nicht mehr hinzukommen &#x2014; wird dem Lande ein meist aus Ottomanen<lb/>
bestehendes, nach europäischen Begriffen geschultes Beamtenpersonal zur Ver¬<lb/>
fügung stehen, wobei sich hoffentlich nicht die in der Türkei oft beobachtete<lb/>
Tatsache bemerkbar machen wird, daß der Fortgang fremder Reformer alsbald<lb/>
auch ihr Werk gefährdet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_840"> Derart ist in großen Zügen heute der Stand des Kapitulationenrechtes in der<lb/>
Türkei. Viel Unrecht liegt in ihm und manches, was osmanischen Nationalismus<lb/>
verletzen muß. Aber es heißt für die Mächte abwarten und für die Türkei<lb/>
beweisen, daß ihre Behörden, besonders in den Provinzen, das bei allen Europäern<lb/>
gegen sie bestehende tiefe Mißtrauen nicht mehr verdienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_841"> Alle zu rügenden Mißstände liegen noch zu sehr in der Anschauung des<lb/>
Volkes begründet, in der auf religiöser Grundlage gewonnenen Stellungnahme<lb/>
zu den Fremden. Alles dies wird eine erst mit einer neuen Generation mög¬<lb/>
liche höhere Volksbildung bessern können, die ja überhaupt allein Bestehen<lb/>
und Fortschritt der Türkei sichern kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_842" next="#ID_843"> Nach dem Ausbruch des türkisch - italienischen Krieges übernahm Deutsch¬<lb/>
land den Schutz der in der Türkei lebenden Italiener, ebenso wie es sich bereit<lb/>
erklärte, die Türken in Italien schützen zu wollen. Die Hohe Pforte, welche<lb/>
die Übernahme des Schutzes der Italiener durch Deutschland nicht ungern sah,<lb/>
erwiderte sofort auf die deutsche Übernahmeerklärung, daß sie nur eine Ausübung<lb/>
des Schutzrechtes nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechtes anerkennen<lb/>
könne. Da Deutschland als Vertreter Italiens hiergegen nicht Einspruch erhoben<lb/>
hat, sind damit tatsächlich zum ersten Male die Kapitulationen gegen Angehörige<lb/>
einer europäischen Großmacht in Wegfall gekommen. Während des türkisch-<lb/>
russischen Krieges, in dem auch Deutschland die in der Türkei ansässigen Russen<lb/>
schützte, haben sie weiter bestanden. Die Italiener müssen also seit Ausbruch<lb/>
des Krieges vor Gericht erscheinen, und den deutschen Konsulaten steht in ihren<lb/>
Angelegenheiten kein Vermittlungs- und Assistenzrecht zu. Die Italiener müssen<lb/>
ferner nunmehr alle Staatssteuern zahlen, und die türkische Regierung, die von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] Die Fremdenrechte in der Türkei österreichischen Posten, doch gelang es der Türkei in der Vereinbarung über Bosnien und die Herzegowina einen Verzicht Österreichs auf alle die Postämter herbeizuführen, die sich als alleinige fremde an einem Orte befanden. Eigentlich nicht auf Kapitulationenrecht beruhend, aber das Bild von der fremden Einmischung in türkische Verhältnisse doch ergänzend, ist die internationale Schuldenverwaltung. Von einem aus je einem Vertreter der deutschen, öster¬ reichischen, englischen, französischen, italienischen und türkischen Staatsobligationen¬ besitzer bestehenden Rat geleitet, werden von ihr fast die Hälfte der indirekten und direkten Staatseinnahmen verwaltet, und erst nach Zahlung der Zinsen bestimmter Anleihen wird der Überschuß dieser Einnahmen an die Staatskasse abgeführt. Die Verdienste dieser „pedes publique", wie sie kurz genannt wird, um das Wohl des türkischen Staates sind riesengroß, und nach Amortisation der der „Veith" überwiesenen Anleihen — neue läßt die türkische Regierung nicht mehr hinzukommen — wird dem Lande ein meist aus Ottomanen bestehendes, nach europäischen Begriffen geschultes Beamtenpersonal zur Ver¬ fügung stehen, wobei sich hoffentlich nicht die in der Türkei oft beobachtete Tatsache bemerkbar machen wird, daß der Fortgang fremder Reformer alsbald auch ihr Werk gefährdet. Derart ist in großen Zügen heute der Stand des Kapitulationenrechtes in der Türkei. Viel Unrecht liegt in ihm und manches, was osmanischen Nationalismus verletzen muß. Aber es heißt für die Mächte abwarten und für die Türkei beweisen, daß ihre Behörden, besonders in den Provinzen, das bei allen Europäern gegen sie bestehende tiefe Mißtrauen nicht mehr verdienen. Alle zu rügenden Mißstände liegen noch zu sehr in der Anschauung des Volkes begründet, in der auf religiöser Grundlage gewonnenen Stellungnahme zu den Fremden. Alles dies wird eine erst mit einer neuen Generation mög¬ liche höhere Volksbildung bessern können, die ja überhaupt allein Bestehen und Fortschritt der Türkei sichern kann. Nach dem Ausbruch des türkisch - italienischen Krieges übernahm Deutsch¬ land den Schutz der in der Türkei lebenden Italiener, ebenso wie es sich bereit erklärte, die Türken in Italien schützen zu wollen. Die Hohe Pforte, welche die Übernahme des Schutzes der Italiener durch Deutschland nicht ungern sah, erwiderte sofort auf die deutsche Übernahmeerklärung, daß sie nur eine Ausübung des Schutzrechtes nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechtes anerkennen könne. Da Deutschland als Vertreter Italiens hiergegen nicht Einspruch erhoben hat, sind damit tatsächlich zum ersten Male die Kapitulationen gegen Angehörige einer europäischen Großmacht in Wegfall gekommen. Während des türkisch- russischen Krieges, in dem auch Deutschland die in der Türkei ansässigen Russen schützte, haben sie weiter bestanden. Die Italiener müssen also seit Ausbruch des Krieges vor Gericht erscheinen, und den deutschen Konsulaten steht in ihren Angelegenheiten kein Vermittlungs- und Assistenzrecht zu. Die Italiener müssen ferner nunmehr alle Staatssteuern zahlen, und die türkische Regierung, die von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/222>, abgerufen am 10.06.2024.