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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ein Später Derer van Doorn

mußte kindlich in sich hinein lachen, weil von den Pforten des Paradieses,
darein er noch eben dem verbleichenden Kindlein selig nachgesehen, bis zu diesen
elenden Strandhüpfern eine ziemliche Kluft übersprungen werden mußte.

Und nun stand er auch schon, ohne daß er sich weiter wehrte, vor Frau
Hartje selber.

Frau Hartje sah licht aus wie eine Heilige von flaumiger Rosenhaut und
doch jetzt ein wenig erblassend. Die hellen Blicke voll Lieblichkeit verrieten an
sich nichts Schwaches mehr. Sie hatte lange, weiße Spitzenhandschuhe in
Händen. Ihre schönen, sonnigen Hände und Arme tändelten mit den Hand¬
schuhen und mit Strandblumen. Daß sie aus einer Bestürmung des Blutes
nicht gleich herausfand, verwirrte auch den jungen, hastigen Mann zuerst. Sie
sprach schüchtern. Während sie sprach, kaute und knabberte sie wie eine Maus
mit ihren silbernen Zahnrändern an einem Grase herum, womit sie immer
wieder neu in den fenchtschwellenden Mund fuhr.

"Aber sagen Sie doch, ehrwürdiger Herr Pfarrer. . ." Sie hatte dem
jungen Pfarrer ihre kühle Hand in seine nervige Hand gelegt. Sie war un¬
schlüssig. "Warum denn nur das ewige Fernbleiben? . . . Sind immer nur
heilige Pflichten ins Buch Ihres Lebens geschrieben?" sagte sie.

Hieronymus bewahrte ganz seine Würde. Seine sengenden Blicke hafteten
nirgend. Sie glitten in dieser Zeit über die schimmernden Dünen und das
glühende Meer hin. Und sie sogen sich allmählich ganz voll Fröhlichkeit.

"Seien Sie mir deshalb nicht ungnädig . . .," sagte er ganz sanft und
hoheitsvoll. "Ja wirklich . . ., die heiligen Pflichten halten mich ganz ge¬
bunden ... ich habe in der ganzen Zeit die Erde kaum gesehen. . . aber jetzt
sehe ich es wieder... die Erde ist schön! ..." sagte er.

"Aber Sie sehen gar nicht munter aus, Ehrwürden," sagte Frau Hartje
lebhaft mit sorglicher Betonung. Sie wagte jetzt dem jungen Pfarrer ins Gesicht
zu sehen und sah, daß er verhärmtere Mienen trug als je.

"Das merkt ein Mann nicht, der sich in Gottes Schutze weiß," sagte
Hieronymus mit weichem Gelächter.

"Sie müssen doch auch einmal einen irdischen Feiertag machen," sagte
Frau Hartje.

"Und einmal wieder von den alten Burgen und Schlössern Derer van Doorn
erzählen ... und mich auf meinen irdischen Namen und meine flüchtige, irdische
Vergangenheit eitel besinnen..." sagte Hieronymus.

"So furchtbar streng sind Sie mit sich?" sagte Frau Hartje.

"Ein Priester Gottes muß Gottes Gebote kennen und achten," sagte der
junge Asket.

"O lieber Gott!" sagte lieblich schüchtern Frau Hartje, nahm ihre Stroh¬
kiepe vom Haar, zeigte ihren schönen, hellen Kopf mit den dicken Flechten und
bog ihn kindlich lachend zur Seite. "Solche kleine Abirrung ins Weltliche kann
noch heute Ihr Kummer sein?" sagte sie nachdenklich und schwieg dann lange.


Ein Später Derer van Doorn

mußte kindlich in sich hinein lachen, weil von den Pforten des Paradieses,
darein er noch eben dem verbleichenden Kindlein selig nachgesehen, bis zu diesen
elenden Strandhüpfern eine ziemliche Kluft übersprungen werden mußte.

Und nun stand er auch schon, ohne daß er sich weiter wehrte, vor Frau
Hartje selber.

Frau Hartje sah licht aus wie eine Heilige von flaumiger Rosenhaut und
doch jetzt ein wenig erblassend. Die hellen Blicke voll Lieblichkeit verrieten an
sich nichts Schwaches mehr. Sie hatte lange, weiße Spitzenhandschuhe in
Händen. Ihre schönen, sonnigen Hände und Arme tändelten mit den Hand¬
schuhen und mit Strandblumen. Daß sie aus einer Bestürmung des Blutes
nicht gleich herausfand, verwirrte auch den jungen, hastigen Mann zuerst. Sie
sprach schüchtern. Während sie sprach, kaute und knabberte sie wie eine Maus
mit ihren silbernen Zahnrändern an einem Grase herum, womit sie immer
wieder neu in den fenchtschwellenden Mund fuhr.

„Aber sagen Sie doch, ehrwürdiger Herr Pfarrer. . ." Sie hatte dem
jungen Pfarrer ihre kühle Hand in seine nervige Hand gelegt. Sie war un¬
schlüssig. „Warum denn nur das ewige Fernbleiben? . . . Sind immer nur
heilige Pflichten ins Buch Ihres Lebens geschrieben?" sagte sie.

Hieronymus bewahrte ganz seine Würde. Seine sengenden Blicke hafteten
nirgend. Sie glitten in dieser Zeit über die schimmernden Dünen und das
glühende Meer hin. Und sie sogen sich allmählich ganz voll Fröhlichkeit.

„Seien Sie mir deshalb nicht ungnädig . . .," sagte er ganz sanft und
hoheitsvoll. „Ja wirklich . . ., die heiligen Pflichten halten mich ganz ge¬
bunden ... ich habe in der ganzen Zeit die Erde kaum gesehen. . . aber jetzt
sehe ich es wieder... die Erde ist schön! ..." sagte er.

„Aber Sie sehen gar nicht munter aus, Ehrwürden," sagte Frau Hartje
lebhaft mit sorglicher Betonung. Sie wagte jetzt dem jungen Pfarrer ins Gesicht
zu sehen und sah, daß er verhärmtere Mienen trug als je.

„Das merkt ein Mann nicht, der sich in Gottes Schutze weiß," sagte
Hieronymus mit weichem Gelächter.

„Sie müssen doch auch einmal einen irdischen Feiertag machen," sagte
Frau Hartje.

„Und einmal wieder von den alten Burgen und Schlössern Derer van Doorn
erzählen ... und mich auf meinen irdischen Namen und meine flüchtige, irdische
Vergangenheit eitel besinnen..." sagte Hieronymus.

„So furchtbar streng sind Sie mit sich?" sagte Frau Hartje.

„Ein Priester Gottes muß Gottes Gebote kennen und achten," sagte der
junge Asket.

„O lieber Gott!" sagte lieblich schüchtern Frau Hartje, nahm ihre Stroh¬
kiepe vom Haar, zeigte ihren schönen, hellen Kopf mit den dicken Flechten und
bog ihn kindlich lachend zur Seite. „Solche kleine Abirrung ins Weltliche kann
noch heute Ihr Kummer sein?" sagte sie nachdenklich und schwieg dann lange.


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[0246] Ein Später Derer van Doorn mußte kindlich in sich hinein lachen, weil von den Pforten des Paradieses, darein er noch eben dem verbleichenden Kindlein selig nachgesehen, bis zu diesen elenden Strandhüpfern eine ziemliche Kluft übersprungen werden mußte. Und nun stand er auch schon, ohne daß er sich weiter wehrte, vor Frau Hartje selber. Frau Hartje sah licht aus wie eine Heilige von flaumiger Rosenhaut und doch jetzt ein wenig erblassend. Die hellen Blicke voll Lieblichkeit verrieten an sich nichts Schwaches mehr. Sie hatte lange, weiße Spitzenhandschuhe in Händen. Ihre schönen, sonnigen Hände und Arme tändelten mit den Hand¬ schuhen und mit Strandblumen. Daß sie aus einer Bestürmung des Blutes nicht gleich herausfand, verwirrte auch den jungen, hastigen Mann zuerst. Sie sprach schüchtern. Während sie sprach, kaute und knabberte sie wie eine Maus mit ihren silbernen Zahnrändern an einem Grase herum, womit sie immer wieder neu in den fenchtschwellenden Mund fuhr. „Aber sagen Sie doch, ehrwürdiger Herr Pfarrer. . ." Sie hatte dem jungen Pfarrer ihre kühle Hand in seine nervige Hand gelegt. Sie war un¬ schlüssig. „Warum denn nur das ewige Fernbleiben? . . . Sind immer nur heilige Pflichten ins Buch Ihres Lebens geschrieben?" sagte sie. Hieronymus bewahrte ganz seine Würde. Seine sengenden Blicke hafteten nirgend. Sie glitten in dieser Zeit über die schimmernden Dünen und das glühende Meer hin. Und sie sogen sich allmählich ganz voll Fröhlichkeit. „Seien Sie mir deshalb nicht ungnädig . . .," sagte er ganz sanft und hoheitsvoll. „Ja wirklich . . ., die heiligen Pflichten halten mich ganz ge¬ bunden ... ich habe in der ganzen Zeit die Erde kaum gesehen. . . aber jetzt sehe ich es wieder... die Erde ist schön! ..." sagte er. „Aber Sie sehen gar nicht munter aus, Ehrwürden," sagte Frau Hartje lebhaft mit sorglicher Betonung. Sie wagte jetzt dem jungen Pfarrer ins Gesicht zu sehen und sah, daß er verhärmtere Mienen trug als je. „Das merkt ein Mann nicht, der sich in Gottes Schutze weiß," sagte Hieronymus mit weichem Gelächter. „Sie müssen doch auch einmal einen irdischen Feiertag machen," sagte Frau Hartje. „Und einmal wieder von den alten Burgen und Schlössern Derer van Doorn erzählen ... und mich auf meinen irdischen Namen und meine flüchtige, irdische Vergangenheit eitel besinnen..." sagte Hieronymus. „So furchtbar streng sind Sie mit sich?" sagte Frau Hartje. „Ein Priester Gottes muß Gottes Gebote kennen und achten," sagte der junge Asket. „O lieber Gott!" sagte lieblich schüchtern Frau Hartje, nahm ihre Stroh¬ kiepe vom Haar, zeigte ihren schönen, hellen Kopf mit den dicken Flechten und bog ihn kindlich lachend zur Seite. „Solche kleine Abirrung ins Weltliche kann noch heute Ihr Kummer sein?" sagte sie nachdenklich und schwieg dann lange.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/246>, abgerufen am 16.05.2024.