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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Auf die Staatssekretäre des Reichs lassen
sich diese Betrachtungen und Berechnungen
nicht gut ausdehnen, weil ja die einzelnen
Staatssekretariate innerhalb der beobachteten
Periode zu ganz verschiedenen Zeiten ein¬
gerichtet worden sind und es nicht gut an¬
gängig ist, die Chefs der betreffenden Ab¬
teilungen des früheren Reichskanzleramts
oder die anders genannten Vorgänger der
Staatssekretäre mit diesen selber zu ver¬
gleichen. Will man indes wissen, ob auch jetzt
noch einzelne Minister so lange wie die früheren
in ihrem Amt bleiben, so wird man die
Staatssekretäre anrechnen dürfen und auch
müssen, weil ja sehr häufig ein gegenseitiger
Wechsel zwischen den Inhabern der Reichs¬
ämter und der preußischen Ministerien statt¬
findet. Da zeigt sich folgendes: Die längste
Amtsdauer hat Bismarck gehabt, er war
2?°/" Jahre Ministerpräsident (wenn die eben
erwähnte dreivierteljährige Unterbrechung nicht
gerechnet wird) und Minister des Auswär¬
tigen, und dreiundzwanzig Jahre lang Bundes¬
und Reichskanzler. Ihn erreicht auch im alten
Reginie mit seinen im allgemeinen viel länger
währenden Ministerjahren niemand. (Doch
war Metternich noch viel länger österreichischer
Staatskanzler, und Altenstein hatte ebenfalls
dreiundzwanzig Jahre lang das Preußische
Kultusministerium inne: 1817 bis 1840.)
Stephan war siebzehn Jahre lang Staats¬[Spaltenumbruch]
der Errichtung seines ReichsamteS (1830) die
höchste Stelle in seiner Behörde innehatte,
müßte man eigentlich sür ihn viel mehr Jahre
rechnen. Die Zahl siebzehn wird außerdem
von v. d. Heydt erreicht (Handel 1848 bis
1862, Finanz März bis September 1862 und
1866 bis 1869) und von einem ganz "mo¬
dernen" Staatssekretär, v. Boetticher. Auf
diese folgen Staatssekretär Nieberding mit
sechzehn, Fr. Eulenburg mit fünfzehn und
Schelling ebenfalls mit fünfzehn Amtsjahren,
von denen er zehn Jahre Preußischer Minister,
fünf Staatssekretär war. Tirpitz ist jetzt schon
vierzehn Jahre lang Staatssekretär, und da
sein Ende schon so häufig verkündet worden
ist, spricht vieles dafür, daß er noch manche
Jahre im Amte bleibt. Mit ihn: wollen wir
diese Liste abbrechen, die doch gerade wie die
obigen zwei zeigt, daß sich die Verhältnisse
viel weniger, als allgemein angenommen
wird, geändert haben. Vielleicht würde auch ein Vergleich mit
anderen deutschen und mit außerdeutschen
Staaten lohnend sein. Es ist anzunehmen,
daß in Osterreich, Frankreich und Italien ti
Ministerien viel häufiger als in Preußen ihre
Inhaber wechseln, in England vermutlich
seltener. Der Ausgang eines Vergleichs mit
anderen größeren reichsdeutschen Staaten ist
schwer vorauszusagen. Vielleicht machen wir
Lu. ein andermal Mitteilungen darüber. [Ende Spaltensatz]
sekretär; da er aber schon lange Jahre vor



Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Auf die Staatssekretäre des Reichs lassen
sich diese Betrachtungen und Berechnungen
nicht gut ausdehnen, weil ja die einzelnen
Staatssekretariate innerhalb der beobachteten
Periode zu ganz verschiedenen Zeiten ein¬
gerichtet worden sind und es nicht gut an¬
gängig ist, die Chefs der betreffenden Ab¬
teilungen des früheren Reichskanzleramts
oder die anders genannten Vorgänger der
Staatssekretäre mit diesen selber zu ver¬
gleichen. Will man indes wissen, ob auch jetzt
noch einzelne Minister so lange wie die früheren
in ihrem Amt bleiben, so wird man die
Staatssekretäre anrechnen dürfen und auch
müssen, weil ja sehr häufig ein gegenseitiger
Wechsel zwischen den Inhabern der Reichs¬
ämter und der preußischen Ministerien statt¬
findet. Da zeigt sich folgendes: Die längste
Amtsdauer hat Bismarck gehabt, er war
2?°/« Jahre Ministerpräsident (wenn die eben
erwähnte dreivierteljährige Unterbrechung nicht
gerechnet wird) und Minister des Auswär¬
tigen, und dreiundzwanzig Jahre lang Bundes¬
und Reichskanzler. Ihn erreicht auch im alten
Reginie mit seinen im allgemeinen viel länger
währenden Ministerjahren niemand. (Doch
war Metternich noch viel länger österreichischer
Staatskanzler, und Altenstein hatte ebenfalls
dreiundzwanzig Jahre lang das Preußische
Kultusministerium inne: 1817 bis 1840.)
Stephan war siebzehn Jahre lang Staats¬[Spaltenumbruch]
der Errichtung seines ReichsamteS (1830) die
höchste Stelle in seiner Behörde innehatte,
müßte man eigentlich sür ihn viel mehr Jahre
rechnen. Die Zahl siebzehn wird außerdem
von v. d. Heydt erreicht (Handel 1848 bis
1862, Finanz März bis September 1862 und
1866 bis 1869) und von einem ganz „mo¬
dernen" Staatssekretär, v. Boetticher. Auf
diese folgen Staatssekretär Nieberding mit
sechzehn, Fr. Eulenburg mit fünfzehn und
Schelling ebenfalls mit fünfzehn Amtsjahren,
von denen er zehn Jahre Preußischer Minister,
fünf Staatssekretär war. Tirpitz ist jetzt schon
vierzehn Jahre lang Staatssekretär, und da
sein Ende schon so häufig verkündet worden
ist, spricht vieles dafür, daß er noch manche
Jahre im Amte bleibt. Mit ihn: wollen wir
diese Liste abbrechen, die doch gerade wie die
obigen zwei zeigt, daß sich die Verhältnisse
viel weniger, als allgemein angenommen
wird, geändert haben. Vielleicht würde auch ein Vergleich mit
anderen deutschen und mit außerdeutschen
Staaten lohnend sein. Es ist anzunehmen,
daß in Osterreich, Frankreich und Italien ti
Ministerien viel häufiger als in Preußen ihre
Inhaber wechseln, in England vermutlich
seltener. Der Ausgang eines Vergleichs mit
anderen größeren reichsdeutschen Staaten ist
schwer vorauszusagen. Vielleicht machen wir
Lu. ein andermal Mitteilungen darüber. [Ende Spaltensatz]
sekretär; da er aber schon lange Jahre vor



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[0261] Maßgebliches und Unmaßgebliches Auf die Staatssekretäre des Reichs lassen sich diese Betrachtungen und Berechnungen nicht gut ausdehnen, weil ja die einzelnen Staatssekretariate innerhalb der beobachteten Periode zu ganz verschiedenen Zeiten ein¬ gerichtet worden sind und es nicht gut an¬ gängig ist, die Chefs der betreffenden Ab¬ teilungen des früheren Reichskanzleramts oder die anders genannten Vorgänger der Staatssekretäre mit diesen selber zu ver¬ gleichen. Will man indes wissen, ob auch jetzt noch einzelne Minister so lange wie die früheren in ihrem Amt bleiben, so wird man die Staatssekretäre anrechnen dürfen und auch müssen, weil ja sehr häufig ein gegenseitiger Wechsel zwischen den Inhabern der Reichs¬ ämter und der preußischen Ministerien statt¬ findet. Da zeigt sich folgendes: Die längste Amtsdauer hat Bismarck gehabt, er war 2?°/« Jahre Ministerpräsident (wenn die eben erwähnte dreivierteljährige Unterbrechung nicht gerechnet wird) und Minister des Auswär¬ tigen, und dreiundzwanzig Jahre lang Bundes¬ und Reichskanzler. Ihn erreicht auch im alten Reginie mit seinen im allgemeinen viel länger währenden Ministerjahren niemand. (Doch war Metternich noch viel länger österreichischer Staatskanzler, und Altenstein hatte ebenfalls dreiundzwanzig Jahre lang das Preußische Kultusministerium inne: 1817 bis 1840.) Stephan war siebzehn Jahre lang Staats¬ der Errichtung seines ReichsamteS (1830) die höchste Stelle in seiner Behörde innehatte, müßte man eigentlich sür ihn viel mehr Jahre rechnen. Die Zahl siebzehn wird außerdem von v. d. Heydt erreicht (Handel 1848 bis 1862, Finanz März bis September 1862 und 1866 bis 1869) und von einem ganz „mo¬ dernen" Staatssekretär, v. Boetticher. Auf diese folgen Staatssekretär Nieberding mit sechzehn, Fr. Eulenburg mit fünfzehn und Schelling ebenfalls mit fünfzehn Amtsjahren, von denen er zehn Jahre Preußischer Minister, fünf Staatssekretär war. Tirpitz ist jetzt schon vierzehn Jahre lang Staatssekretär, und da sein Ende schon so häufig verkündet worden ist, spricht vieles dafür, daß er noch manche Jahre im Amte bleibt. Mit ihn: wollen wir diese Liste abbrechen, die doch gerade wie die obigen zwei zeigt, daß sich die Verhältnisse viel weniger, als allgemein angenommen wird, geändert haben. Vielleicht würde auch ein Vergleich mit anderen deutschen und mit außerdeutschen Staaten lohnend sein. Es ist anzunehmen, daß in Osterreich, Frankreich und Italien ti Ministerien viel häufiger als in Preußen ihre Inhaber wechseln, in England vermutlich seltener. Der Ausgang eines Vergleichs mit anderen größeren reichsdeutschen Staaten ist schwer vorauszusagen. Vielleicht machen wir Lu. ein andermal Mitteilungen darüber. sekretär; da er aber schon lange Jahre vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/261>, abgerufen am 16.05.2024.