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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Fichte und die älteren Romantiker

wenn Fichte für den Augenblick so mächtig auf alle jungen Geister einwirkte.
Man kann drei Arten dieses Einwirkens unterscheiden: sie schlössen sich ihm
entweder bedingungslos an oder wurden, wenn der Riß in ihrer Seele zu groß
war, nur vorübergehend befriedigt; die Dritten aber glaubten von vornherein so
leichten Kaufes doch nicht mit sich einig werden zu können und widersprachen.
Zur ersten Klasse gehört die romantische Schule im engeren Sinne, und zwar
diese durch den Einfluß von A. L. Hülsen, Friedrich Schlegel und Novalis, zur
zweiten Hölderlin, zur dritten n. a. Henrich Steffens und Schleiermacher. August
Wilhelm Schlegel ist zwar der literarische Mittelpunkt jener Schule; aber er hat
sich viel zu wenig um Philosophie gekümmert, um hier etwas zu bedeuten.
Nur in seinen "Vorlesungen über Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters"
nimmt er das philosophische Schema von Fichte: aber was er da über ihn sagt,
macht den Eindruck eines bloßen Referats.

Durch Fichte werden wir nach Jena versetzt. Diese Stadt war damals
nicht nur Mittelpunkt der Romantik, sondern konnte mit Weimar zusammen
als das geistige Haupt von ganz Deutschland gelten. 1794 kam jener dahin,
und in demselben Jahre erschienen nacheinander die Werke "Über den Begriff
der Wissenschaftslehre" und "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre". Dies
ist das revolutionierende Werk, das Friedrich Schlegel, wie immer mit Über¬
treibung, als eine der "drei großen Tendenzen des Zeitalters" neben der fran¬
zösischen Revolution und dem Wilhelm Meister ausgab. Fichte, am 19. Mai 1762
zu Rammenau geboren, war um ein Jahrzehnt der Generation voraus, auf
die er hauptsächlich wirken sollte. Er hatte ein entschiedenes Auftreten in
wissenschaftlichen Abhandlungen wie im Hörsaal; aber es war auch eine eigen¬
tümliche Kälte in seinen: Wesen, die ihn schon persönlich scharf von den: senti-
mentalischen Treiben seiner Schüler unterschied. Er selbst gesteht in Briefen
gar nicht lange vor seiner Berühmtheit: "Ich sehe, daß mir das lebendige Feuer
fehlt", und "Ich habe der Spekulation seit sehr früher Jugend getrost und kalt
unter die Augen gesehen", endlich später (1799): "Ich glaube gar keinen
Enthusiasmus zik haben und halte diese Apathie für schlechthin notwendig, um
den transzendentalen Idealismus ganz zu verstehen und durch ihn nicht entweder
zur Heillosigkeit verleitet oder durch ihn geärgert zu werden." Das ist nun
ganz nach den: Schema Kants. Man wird also von vornherein genötigt, seinen
Trieb nach unendlicher Tätigkeit, den er ja auch in das Ich hineinsetzte, mehr
als einen geistigen Trieb, eine "logische Tat" zu fassen und insofern doch von
den: oben entwickelten romantischen Trieb, der ganz Gefühl ist, zu sondern. Die
Art, wie die beiden Triebe sich begegnen, vereinige:: oder bekämpfen, soll nun
an einigen besonders deutlichen Beispielen gezeigt werden.

So sehr auch mancher sich von jener abstrakten Kälte Fichtes gleich oder
später abgestoßen fühlte, "die Energie seiner Ideen" wurde doch fast allgemein
bewundert, und er fand auch begeisterte Anhänger. Der begeistertste und
treueste ist wohl August Ludwig Hülsen.


Fichte und die älteren Romantiker

wenn Fichte für den Augenblick so mächtig auf alle jungen Geister einwirkte.
Man kann drei Arten dieses Einwirkens unterscheiden: sie schlössen sich ihm
entweder bedingungslos an oder wurden, wenn der Riß in ihrer Seele zu groß
war, nur vorübergehend befriedigt; die Dritten aber glaubten von vornherein so
leichten Kaufes doch nicht mit sich einig werden zu können und widersprachen.
Zur ersten Klasse gehört die romantische Schule im engeren Sinne, und zwar
diese durch den Einfluß von A. L. Hülsen, Friedrich Schlegel und Novalis, zur
zweiten Hölderlin, zur dritten n. a. Henrich Steffens und Schleiermacher. August
Wilhelm Schlegel ist zwar der literarische Mittelpunkt jener Schule; aber er hat
sich viel zu wenig um Philosophie gekümmert, um hier etwas zu bedeuten.
Nur in seinen „Vorlesungen über Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters"
nimmt er das philosophische Schema von Fichte: aber was er da über ihn sagt,
macht den Eindruck eines bloßen Referats.

Durch Fichte werden wir nach Jena versetzt. Diese Stadt war damals
nicht nur Mittelpunkt der Romantik, sondern konnte mit Weimar zusammen
als das geistige Haupt von ganz Deutschland gelten. 1794 kam jener dahin,
und in demselben Jahre erschienen nacheinander die Werke „Über den Begriff
der Wissenschaftslehre" und „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre". Dies
ist das revolutionierende Werk, das Friedrich Schlegel, wie immer mit Über¬
treibung, als eine der „drei großen Tendenzen des Zeitalters" neben der fran¬
zösischen Revolution und dem Wilhelm Meister ausgab. Fichte, am 19. Mai 1762
zu Rammenau geboren, war um ein Jahrzehnt der Generation voraus, auf
die er hauptsächlich wirken sollte. Er hatte ein entschiedenes Auftreten in
wissenschaftlichen Abhandlungen wie im Hörsaal; aber es war auch eine eigen¬
tümliche Kälte in seinen: Wesen, die ihn schon persönlich scharf von den: senti-
mentalischen Treiben seiner Schüler unterschied. Er selbst gesteht in Briefen
gar nicht lange vor seiner Berühmtheit: „Ich sehe, daß mir das lebendige Feuer
fehlt", und „Ich habe der Spekulation seit sehr früher Jugend getrost und kalt
unter die Augen gesehen", endlich später (1799): „Ich glaube gar keinen
Enthusiasmus zik haben und halte diese Apathie für schlechthin notwendig, um
den transzendentalen Idealismus ganz zu verstehen und durch ihn nicht entweder
zur Heillosigkeit verleitet oder durch ihn geärgert zu werden." Das ist nun
ganz nach den: Schema Kants. Man wird also von vornherein genötigt, seinen
Trieb nach unendlicher Tätigkeit, den er ja auch in das Ich hineinsetzte, mehr
als einen geistigen Trieb, eine „logische Tat" zu fassen und insofern doch von
den: oben entwickelten romantischen Trieb, der ganz Gefühl ist, zu sondern. Die
Art, wie die beiden Triebe sich begegnen, vereinige:: oder bekämpfen, soll nun
an einigen besonders deutlichen Beispielen gezeigt werden.

So sehr auch mancher sich von jener abstrakten Kälte Fichtes gleich oder
später abgestoßen fühlte, „die Energie seiner Ideen" wurde doch fast allgemein
bewundert, und er fand auch begeisterte Anhänger. Der begeistertste und
treueste ist wohl August Ludwig Hülsen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/27>, abgerufen am 16.05.2024.