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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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König Johanns Briefwechsel

Johann hatte gesiegt. Der Gedanke des Bundeszeitalters hatte sich noch einmal
behauptet. Aber in den fünfziger Jahren zeigte namentlich die Orientfrage, daß
Österreich doch zu sehr seinen eigenen Weg ging, als daß die preußisch-österreichische
Verständigung hätte von Dauer sein können. Johann, der 1864 den sächsischen Thron
bestieg, kämpfte umsonst gegen seine eigene Empörung über Österreichs Politik an
und gegen Preußens Nichtachtung des Bundes, mit Hoffnung auf Erfolg wohl
nur noch, solange Friedrich Wilhelm regierte. Johanns letzter, großer Brief an
diesen, Mitte September 1857, die Geschichte der letzten fünf Jahre kritisch zusammen¬
fassend, bildet das würdigste Schlußstück dieses Briefwechsels.

Es ist eines der merkwürdigsten Schauspiele der Geschichte, daß zwei Brüder,
deren Geburtsjahre nur wenig auseinander liegen, doch zwei verschiedenen Zeit¬
altern anzugehören scheinen: so Friedrich Wilhelm der Vierte, der Romantiker,
und Wilhelm der Erste, der Realpolitiker. (Ähnlich haben Karl der Fünfte und
sein Bruder Ferdinand der Erste zwei Zeitaltern entsprochen.) Und es ist ein ganz
besonderer Reiz dieses Buches, zu sehen, wie Wilhelm, anfangs auf einer viel
schmaleren Bahn eingestellt als sein Bruder, auf dieser sich im Stillen tadellos,
ja ausgezeichnet bewegt, um schließlich von hier aus als Sechzigjähriger in die
große Politik und ihre neuesten Notwendigkeiten gerade wie hineingewachsen
zu erscheinen.

Obwohl Johann und Wilhelm der Erste nicht durch solche Herzbruderschaft
verbunden waren, nannten doch auch sie sich Freunde und waren es. An mensch¬
lichem Reiz und geschichtlichem Wert steht dieser zweite Briefwechsel nicht zurück
hinter dem mit dem älteren Bruder. Die zunehmende Spannung auf das Jahr
1866 hin, die Haltung beider Könige unmittelbar nach der Waffcnentscheidung,
die Mitwirkung von Johanns Söhnen an dem französischen Kriege unter Wilhelms
Führung, vor allem aber die unwillkürliche, feierliche Steigerung des Vcrkehrs-
tones mit dem Wachsen der Ereignisse sind Dinge, die gerade diesen Teil des
fürstlichen Briefwechsels mit außerordentlicher Teilnahme, mit tiefem Genuß und
wärmster Dankbarkeit werden lesen lassen. Hängt doch an alledem noch eine Art
Gegenwartsinteresse, und hier besonders empfindet man es, welch ein Vertrauens¬
geschenk edelster Art der Enkel, der Besitzer eines großen Teiles der Briefe, mit
diesem Werke bietet.

Die Arbeit der Herausgabe ist nicht gering gewesen. Eine große Zahl von
Personen mußte festgestellt, eine Menge von Situationen erklärt, die Lösung vieler
Rätsel wenigstens angedeutet werden. Hier liegen wohl die Hauptverdienste von
Hubert Ermisch, dem Direktor der Königlichen Öffentlichen Bibliothek in Dresden,
von dem Prinz Johann Georg im Vorwort sagt: "Ohne seine unermüdliche
Arbeit und reiche Kenntnis der einschlägigen Literatur wäre die vorliegende
Publikation unmöglich gewesen."




König Johanns Briefwechsel

Johann hatte gesiegt. Der Gedanke des Bundeszeitalters hatte sich noch einmal
behauptet. Aber in den fünfziger Jahren zeigte namentlich die Orientfrage, daß
Österreich doch zu sehr seinen eigenen Weg ging, als daß die preußisch-österreichische
Verständigung hätte von Dauer sein können. Johann, der 1864 den sächsischen Thron
bestieg, kämpfte umsonst gegen seine eigene Empörung über Österreichs Politik an
und gegen Preußens Nichtachtung des Bundes, mit Hoffnung auf Erfolg wohl
nur noch, solange Friedrich Wilhelm regierte. Johanns letzter, großer Brief an
diesen, Mitte September 1857, die Geschichte der letzten fünf Jahre kritisch zusammen¬
fassend, bildet das würdigste Schlußstück dieses Briefwechsels.

Es ist eines der merkwürdigsten Schauspiele der Geschichte, daß zwei Brüder,
deren Geburtsjahre nur wenig auseinander liegen, doch zwei verschiedenen Zeit¬
altern anzugehören scheinen: so Friedrich Wilhelm der Vierte, der Romantiker,
und Wilhelm der Erste, der Realpolitiker. (Ähnlich haben Karl der Fünfte und
sein Bruder Ferdinand der Erste zwei Zeitaltern entsprochen.) Und es ist ein ganz
besonderer Reiz dieses Buches, zu sehen, wie Wilhelm, anfangs auf einer viel
schmaleren Bahn eingestellt als sein Bruder, auf dieser sich im Stillen tadellos,
ja ausgezeichnet bewegt, um schließlich von hier aus als Sechzigjähriger in die
große Politik und ihre neuesten Notwendigkeiten gerade wie hineingewachsen
zu erscheinen.

Obwohl Johann und Wilhelm der Erste nicht durch solche Herzbruderschaft
verbunden waren, nannten doch auch sie sich Freunde und waren es. An mensch¬
lichem Reiz und geschichtlichem Wert steht dieser zweite Briefwechsel nicht zurück
hinter dem mit dem älteren Bruder. Die zunehmende Spannung auf das Jahr
1866 hin, die Haltung beider Könige unmittelbar nach der Waffcnentscheidung,
die Mitwirkung von Johanns Söhnen an dem französischen Kriege unter Wilhelms
Führung, vor allem aber die unwillkürliche, feierliche Steigerung des Vcrkehrs-
tones mit dem Wachsen der Ereignisse sind Dinge, die gerade diesen Teil des
fürstlichen Briefwechsels mit außerordentlicher Teilnahme, mit tiefem Genuß und
wärmster Dankbarkeit werden lesen lassen. Hängt doch an alledem noch eine Art
Gegenwartsinteresse, und hier besonders empfindet man es, welch ein Vertrauens¬
geschenk edelster Art der Enkel, der Besitzer eines großen Teiles der Briefe, mit
diesem Werke bietet.

Die Arbeit der Herausgabe ist nicht gering gewesen. Eine große Zahl von
Personen mußte festgestellt, eine Menge von Situationen erklärt, die Lösung vieler
Rätsel wenigstens angedeutet werden. Hier liegen wohl die Hauptverdienste von
Hubert Ermisch, dem Direktor der Königlichen Öffentlichen Bibliothek in Dresden,
von dem Prinz Johann Georg im Vorwort sagt: „Ohne seine unermüdliche
Arbeit und reiche Kenntnis der einschlägigen Literatur wäre die vorliegende
Publikation unmöglich gewesen."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/277>, abgerufen am 16.05.2024.