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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Schweiz und Österreichs, mit weit besseren Ergebnissen anfzuivarten haben.
Es gibt doch zu denken, wenn das deutsche Kapitalistenpublikum die Schuld¬
verschreibungen der neutralen Schweiz unseren heimischen Anleihen vorzieht.
In der Tatsache offenbart sich die Ängstlichkeit und das Mißtrauen, mit der
man die augenblickliche politische Konstellation glaubt beurteilen zu müssen.
Der Hauptanteil der Schuld an den gegenwärtigen unbefriedigender Ver¬
hältnissen muß in der Tat auf das Konto der politischen Besorgnis
geschrieben werden. Diese Furcht mag, wie wir glauben und hoffen, unbegründet
sein, sie ist aber vorhanden und erweist sich als treibende Kraft. Sie ist um
so weniger leicht zu beschwichtigen, als auf dem Londoner Geldmarkt
gleichfalls sehr eigentümliche Verhältnisse obwalten, für welche man die Erklärung
in politischen Gründen sucht und zu finden glaubt. Der Londoner Geldmarkt
zeigt, obwohl der Status der Bank von England an sich nicht ungünstig ist,
starke Anspannung. Diese letztere hängt, wenigstens zum Teil, unzweifelhaft
damit zusammen, daß der englische Staat ein außerordentlich hohes Guthaben
bei der Bank aufgesammelt hat, nahezu 20 Millionen Pfund, fast das Doppelte
des Vorjahres. Auch wenn man in dieser Thesaurierungspolitik nicht gleich
die Ansammlung von Kriegs- oder Sicherheitsreserven erblicken will, bleibt die
Erscheinung auffällig und es ist begreiflich, daß man hierzulande sich über die
Gründe solcher Kapitalansammlung eigene Gedanken macht. Der englische
Geldmarkt wird außerdem noch durch einen starken und andauernden indischen
Goldbedarf in Anspruch genommen, für den eine plausible Erklärung fehlt.
Unter dem Zusammenwirken dieser Erscheinungen ist trotz starker Devisenabgaben
der Reichsbank der englische Wechselkurs bis über den Goldpnnkt gestiegen und
diese Bewegung des Devisenkurses, welche die Gefahr eines Goldabflusses
naherückt, ist zweifelsohne der Hauptgrund für die Feststellung des hohen
Bankdiskonts seitens der Reichsbank. Denn andernfalls wäre nicht zu ver¬
stehen, warum das Institut, welches in der dritten Januarwoche bereits wieder
über eine steuerfreie Notenreserve von 250 Millionen Mark verfügte, und
welches bei einer Spannung von 2 Prozent gegen den Privatdiskontsatz die
Kontrolle über den Markt verloren hat, andauernd einen Banksatz von 6 Prozent
festhält. Diese Diskontpolitik, so gerechtfertigt sie an sich ist, vermehrt natürlich
die Bedenken der Ängstlicher. Und je mehr man zur Vorsicht in den Dis¬
positionen weist, um so mehr muß die Geldfülle am offenen Markte anwachsen.
Während des Ultimo ist selbstverständlich das Mißverhältnis zwischen den
Sätzen am offenen Markte und dem Bankdiskont weniger scharf in die Erscheinung
getreten; es wird in der ersten Februarwoche dafür um so mehr in die Augen
fallen.

Die Stagnation auf dem Anlagemarkt und der maßgebende Absatz ihrer
Pfandbriefe bringt die Hypothekenbanken in eine besonders schwierige
Situation. Diese sind darauf angewiesen, ihr Geschäft ständig auszudehnen,
weil sie auf die bei Neuausleihungen erhobenen Abschlußprovisionen nicht ver-


Schweiz und Österreichs, mit weit besseren Ergebnissen anfzuivarten haben.
Es gibt doch zu denken, wenn das deutsche Kapitalistenpublikum die Schuld¬
verschreibungen der neutralen Schweiz unseren heimischen Anleihen vorzieht.
In der Tatsache offenbart sich die Ängstlichkeit und das Mißtrauen, mit der
man die augenblickliche politische Konstellation glaubt beurteilen zu müssen.
Der Hauptanteil der Schuld an den gegenwärtigen unbefriedigender Ver¬
hältnissen muß in der Tat auf das Konto der politischen Besorgnis
geschrieben werden. Diese Furcht mag, wie wir glauben und hoffen, unbegründet
sein, sie ist aber vorhanden und erweist sich als treibende Kraft. Sie ist um
so weniger leicht zu beschwichtigen, als auf dem Londoner Geldmarkt
gleichfalls sehr eigentümliche Verhältnisse obwalten, für welche man die Erklärung
in politischen Gründen sucht und zu finden glaubt. Der Londoner Geldmarkt
zeigt, obwohl der Status der Bank von England an sich nicht ungünstig ist,
starke Anspannung. Diese letztere hängt, wenigstens zum Teil, unzweifelhaft
damit zusammen, daß der englische Staat ein außerordentlich hohes Guthaben
bei der Bank aufgesammelt hat, nahezu 20 Millionen Pfund, fast das Doppelte
des Vorjahres. Auch wenn man in dieser Thesaurierungspolitik nicht gleich
die Ansammlung von Kriegs- oder Sicherheitsreserven erblicken will, bleibt die
Erscheinung auffällig und es ist begreiflich, daß man hierzulande sich über die
Gründe solcher Kapitalansammlung eigene Gedanken macht. Der englische
Geldmarkt wird außerdem noch durch einen starken und andauernden indischen
Goldbedarf in Anspruch genommen, für den eine plausible Erklärung fehlt.
Unter dem Zusammenwirken dieser Erscheinungen ist trotz starker Devisenabgaben
der Reichsbank der englische Wechselkurs bis über den Goldpnnkt gestiegen und
diese Bewegung des Devisenkurses, welche die Gefahr eines Goldabflusses
naherückt, ist zweifelsohne der Hauptgrund für die Feststellung des hohen
Bankdiskonts seitens der Reichsbank. Denn andernfalls wäre nicht zu ver¬
stehen, warum das Institut, welches in der dritten Januarwoche bereits wieder
über eine steuerfreie Notenreserve von 250 Millionen Mark verfügte, und
welches bei einer Spannung von 2 Prozent gegen den Privatdiskontsatz die
Kontrolle über den Markt verloren hat, andauernd einen Banksatz von 6 Prozent
festhält. Diese Diskontpolitik, so gerechtfertigt sie an sich ist, vermehrt natürlich
die Bedenken der Ängstlicher. Und je mehr man zur Vorsicht in den Dis¬
positionen weist, um so mehr muß die Geldfülle am offenen Markte anwachsen.
Während des Ultimo ist selbstverständlich das Mißverhältnis zwischen den
Sätzen am offenen Markte und dem Bankdiskont weniger scharf in die Erscheinung
getreten; es wird in der ersten Februarwoche dafür um so mehr in die Augen
fallen.

Die Stagnation auf dem Anlagemarkt und der maßgebende Absatz ihrer
Pfandbriefe bringt die Hypothekenbanken in eine besonders schwierige
Situation. Diese sind darauf angewiesen, ihr Geschäft ständig auszudehnen,
weil sie auf die bei Neuausleihungen erhobenen Abschlußprovisionen nicht ver-


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[0309] Schweiz und Österreichs, mit weit besseren Ergebnissen anfzuivarten haben. Es gibt doch zu denken, wenn das deutsche Kapitalistenpublikum die Schuld¬ verschreibungen der neutralen Schweiz unseren heimischen Anleihen vorzieht. In der Tatsache offenbart sich die Ängstlichkeit und das Mißtrauen, mit der man die augenblickliche politische Konstellation glaubt beurteilen zu müssen. Der Hauptanteil der Schuld an den gegenwärtigen unbefriedigender Ver¬ hältnissen muß in der Tat auf das Konto der politischen Besorgnis geschrieben werden. Diese Furcht mag, wie wir glauben und hoffen, unbegründet sein, sie ist aber vorhanden und erweist sich als treibende Kraft. Sie ist um so weniger leicht zu beschwichtigen, als auf dem Londoner Geldmarkt gleichfalls sehr eigentümliche Verhältnisse obwalten, für welche man die Erklärung in politischen Gründen sucht und zu finden glaubt. Der Londoner Geldmarkt zeigt, obwohl der Status der Bank von England an sich nicht ungünstig ist, starke Anspannung. Diese letztere hängt, wenigstens zum Teil, unzweifelhaft damit zusammen, daß der englische Staat ein außerordentlich hohes Guthaben bei der Bank aufgesammelt hat, nahezu 20 Millionen Pfund, fast das Doppelte des Vorjahres. Auch wenn man in dieser Thesaurierungspolitik nicht gleich die Ansammlung von Kriegs- oder Sicherheitsreserven erblicken will, bleibt die Erscheinung auffällig und es ist begreiflich, daß man hierzulande sich über die Gründe solcher Kapitalansammlung eigene Gedanken macht. Der englische Geldmarkt wird außerdem noch durch einen starken und andauernden indischen Goldbedarf in Anspruch genommen, für den eine plausible Erklärung fehlt. Unter dem Zusammenwirken dieser Erscheinungen ist trotz starker Devisenabgaben der Reichsbank der englische Wechselkurs bis über den Goldpnnkt gestiegen und diese Bewegung des Devisenkurses, welche die Gefahr eines Goldabflusses naherückt, ist zweifelsohne der Hauptgrund für die Feststellung des hohen Bankdiskonts seitens der Reichsbank. Denn andernfalls wäre nicht zu ver¬ stehen, warum das Institut, welches in der dritten Januarwoche bereits wieder über eine steuerfreie Notenreserve von 250 Millionen Mark verfügte, und welches bei einer Spannung von 2 Prozent gegen den Privatdiskontsatz die Kontrolle über den Markt verloren hat, andauernd einen Banksatz von 6 Prozent festhält. Diese Diskontpolitik, so gerechtfertigt sie an sich ist, vermehrt natürlich die Bedenken der Ängstlicher. Und je mehr man zur Vorsicht in den Dis¬ positionen weist, um so mehr muß die Geldfülle am offenen Markte anwachsen. Während des Ultimo ist selbstverständlich das Mißverhältnis zwischen den Sätzen am offenen Markte und dem Bankdiskont weniger scharf in die Erscheinung getreten; es wird in der ersten Februarwoche dafür um so mehr in die Augen fallen. Die Stagnation auf dem Anlagemarkt und der maßgebende Absatz ihrer Pfandbriefe bringt die Hypothekenbanken in eine besonders schwierige Situation. Diese sind darauf angewiesen, ihr Geschäft ständig auszudehnen, weil sie auf die bei Neuausleihungen erhobenen Abschlußprovisionen nicht ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/309>, abgerufen am 15.05.2024.