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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Wie gewinnen wir die Arbeiterjugend?

um sie für die rechte Pflege und Sorge vorzubereiten. Jedes Frühjahr hat
man wieder Neulinge mit engen Stiefeln, Sonntagszeug, ohne Mäntel, viel zu
dick oder viel zu leicht gekleidet. Vorschriften nützen nichts. Manche Jungen
haben nichts anderes, auch die Mütter widerstreben. Da ist es eine große Kunst,
die Jungen zu lehren, daß sie sich aus dem, was sie haben, zweckmäßig aus¬
rüsten. Schenken von Ausrüstungen, überhaupt Schenken an die einzelnen, ist
ganz verkehrt. Man erntet nur Undank. Die Jungen müssen lernen, sich selbst zu
helfen. Und sie können es. Etwas anderes ist es, ob man dem Verein bei der An¬
schaffung von Turngeräten, Booten usw. helfen will. Aber auch hier ist es immer
gut, wenn wenigstens einiges von den Jungen selbst zusammengebracht wird.

Neben den Schwachen und Zarten stehen nun aber auch Starke; namentlich
im siebzehnten und achtzehnten Jahre entwickeln diese gesund lebenden Jungen
eine überschäumende Kraft. Hier gilt es zu zügeln. Vergessen wir doch nie,
was diese Jungen schon in der Woche leisten. Ich erinnere mich eines Nacht¬
marsches, wo ich früh mit Mühe eine ermattende Gruppe mit der Hoffnung
auf den Sonnenaufgang ermunterte. Am Nachmittag gestand mir der jugendliche
Führer der Gruppe, ein Schlosser, er wäre damals fast umgesunken. Er hatte am
Sonnabend bis 8 Uhr abends gearbeitet und war dann um 9 Uhr abends
wohlausgerüstet am Platze gewesen, um die Führung seiner Gruppe zu über¬
nehmen. Es steckt gerade in manchen Großstädtern ein unglaubliches Feuer.
Sie gehen darauf los wie die Löwen, -- aber wenn wir sie nicht lenken, wenn
wir aus dieser Leidenschaft nicht die ruhige Stärke herausbilden, denn^verzehren
sich diese kraftstrotzenden Jünglinge nur zu schnell. Auch für diese ist der Ehr¬
geiz, den wöchentliche sportliche Wettkämpfe entfesseln, ein gefährliches Gift. Ihre
reine, urwüchsige Kraft bedarf vor allem hoher, sittlicher Ideale, zu denen sie
sich in edler, tiefer, stiller Begeisterung emporrecken/

So ist es wahrlich eine große und schwere Kunst, diese Arbeiterjugend zu
sammeln und zu leiten.

Am Sonntag nachmittag tummelt sie das Turnspiel auf freiem Platze I
Da wird die Kraft geübt, da ist Zucht und Kameradschaft. Allerdings, hier
muß der Freund der Jugend helfen, führend, schlichtend, mäßigend. Denn die
städtische Jugend ist zunächst egoistisch und schwer verträglich, unsozial durch
und durch. In Halle oder Vereinssaal aber warten auf Tischen Spiele und
Bücher. Gewählte Ordner müssen das besorgen, freilich nicht ohne Ermunterung
und Unterstützung ihres Freundes und Führers. Gewissenhafte Bcamtentreue
soll ja erst gelernt werden. Die Bilderwerke sind nicht abgelegte Zeitschriften
und frommes Zeug; gute Sachen sind's, viel fremde Länder, viel Krieg ist
dabei. Jungen sollen auch Freude am Kampf haben. (Das sage ich nicht;
dann würden gleich allerhand Leute mit mir diskutieren wollen.X Aber ich suche
die Bücher danach aus.

Nun kommt der Pfiff oder Ruf. Die Spiele hören auf. Bürsten, Waschen,
Kämmen I -- und alles setzt sich zum Vortrag. Es ist wie im Männersaal der


Wie gewinnen wir die Arbeiterjugend?

um sie für die rechte Pflege und Sorge vorzubereiten. Jedes Frühjahr hat
man wieder Neulinge mit engen Stiefeln, Sonntagszeug, ohne Mäntel, viel zu
dick oder viel zu leicht gekleidet. Vorschriften nützen nichts. Manche Jungen
haben nichts anderes, auch die Mütter widerstreben. Da ist es eine große Kunst,
die Jungen zu lehren, daß sie sich aus dem, was sie haben, zweckmäßig aus¬
rüsten. Schenken von Ausrüstungen, überhaupt Schenken an die einzelnen, ist
ganz verkehrt. Man erntet nur Undank. Die Jungen müssen lernen, sich selbst zu
helfen. Und sie können es. Etwas anderes ist es, ob man dem Verein bei der An¬
schaffung von Turngeräten, Booten usw. helfen will. Aber auch hier ist es immer
gut, wenn wenigstens einiges von den Jungen selbst zusammengebracht wird.

Neben den Schwachen und Zarten stehen nun aber auch Starke; namentlich
im siebzehnten und achtzehnten Jahre entwickeln diese gesund lebenden Jungen
eine überschäumende Kraft. Hier gilt es zu zügeln. Vergessen wir doch nie,
was diese Jungen schon in der Woche leisten. Ich erinnere mich eines Nacht¬
marsches, wo ich früh mit Mühe eine ermattende Gruppe mit der Hoffnung
auf den Sonnenaufgang ermunterte. Am Nachmittag gestand mir der jugendliche
Führer der Gruppe, ein Schlosser, er wäre damals fast umgesunken. Er hatte am
Sonnabend bis 8 Uhr abends gearbeitet und war dann um 9 Uhr abends
wohlausgerüstet am Platze gewesen, um die Führung seiner Gruppe zu über¬
nehmen. Es steckt gerade in manchen Großstädtern ein unglaubliches Feuer.
Sie gehen darauf los wie die Löwen, — aber wenn wir sie nicht lenken, wenn
wir aus dieser Leidenschaft nicht die ruhige Stärke herausbilden, denn^verzehren
sich diese kraftstrotzenden Jünglinge nur zu schnell. Auch für diese ist der Ehr¬
geiz, den wöchentliche sportliche Wettkämpfe entfesseln, ein gefährliches Gift. Ihre
reine, urwüchsige Kraft bedarf vor allem hoher, sittlicher Ideale, zu denen sie
sich in edler, tiefer, stiller Begeisterung emporrecken/

So ist es wahrlich eine große und schwere Kunst, diese Arbeiterjugend zu
sammeln und zu leiten.

Am Sonntag nachmittag tummelt sie das Turnspiel auf freiem Platze I
Da wird die Kraft geübt, da ist Zucht und Kameradschaft. Allerdings, hier
muß der Freund der Jugend helfen, führend, schlichtend, mäßigend. Denn die
städtische Jugend ist zunächst egoistisch und schwer verträglich, unsozial durch
und durch. In Halle oder Vereinssaal aber warten auf Tischen Spiele und
Bücher. Gewählte Ordner müssen das besorgen, freilich nicht ohne Ermunterung
und Unterstützung ihres Freundes und Führers. Gewissenhafte Bcamtentreue
soll ja erst gelernt werden. Die Bilderwerke sind nicht abgelegte Zeitschriften
und frommes Zeug; gute Sachen sind's, viel fremde Länder, viel Krieg ist
dabei. Jungen sollen auch Freude am Kampf haben. (Das sage ich nicht;
dann würden gleich allerhand Leute mit mir diskutieren wollen.X Aber ich suche
die Bücher danach aus.

Nun kommt der Pfiff oder Ruf. Die Spiele hören auf. Bürsten, Waschen,
Kämmen I — und alles setzt sich zum Vortrag. Es ist wie im Männersaal der


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[0034] Wie gewinnen wir die Arbeiterjugend? um sie für die rechte Pflege und Sorge vorzubereiten. Jedes Frühjahr hat man wieder Neulinge mit engen Stiefeln, Sonntagszeug, ohne Mäntel, viel zu dick oder viel zu leicht gekleidet. Vorschriften nützen nichts. Manche Jungen haben nichts anderes, auch die Mütter widerstreben. Da ist es eine große Kunst, die Jungen zu lehren, daß sie sich aus dem, was sie haben, zweckmäßig aus¬ rüsten. Schenken von Ausrüstungen, überhaupt Schenken an die einzelnen, ist ganz verkehrt. Man erntet nur Undank. Die Jungen müssen lernen, sich selbst zu helfen. Und sie können es. Etwas anderes ist es, ob man dem Verein bei der An¬ schaffung von Turngeräten, Booten usw. helfen will. Aber auch hier ist es immer gut, wenn wenigstens einiges von den Jungen selbst zusammengebracht wird. Neben den Schwachen und Zarten stehen nun aber auch Starke; namentlich im siebzehnten und achtzehnten Jahre entwickeln diese gesund lebenden Jungen eine überschäumende Kraft. Hier gilt es zu zügeln. Vergessen wir doch nie, was diese Jungen schon in der Woche leisten. Ich erinnere mich eines Nacht¬ marsches, wo ich früh mit Mühe eine ermattende Gruppe mit der Hoffnung auf den Sonnenaufgang ermunterte. Am Nachmittag gestand mir der jugendliche Führer der Gruppe, ein Schlosser, er wäre damals fast umgesunken. Er hatte am Sonnabend bis 8 Uhr abends gearbeitet und war dann um 9 Uhr abends wohlausgerüstet am Platze gewesen, um die Führung seiner Gruppe zu über¬ nehmen. Es steckt gerade in manchen Großstädtern ein unglaubliches Feuer. Sie gehen darauf los wie die Löwen, — aber wenn wir sie nicht lenken, wenn wir aus dieser Leidenschaft nicht die ruhige Stärke herausbilden, denn^verzehren sich diese kraftstrotzenden Jünglinge nur zu schnell. Auch für diese ist der Ehr¬ geiz, den wöchentliche sportliche Wettkämpfe entfesseln, ein gefährliches Gift. Ihre reine, urwüchsige Kraft bedarf vor allem hoher, sittlicher Ideale, zu denen sie sich in edler, tiefer, stiller Begeisterung emporrecken/ So ist es wahrlich eine große und schwere Kunst, diese Arbeiterjugend zu sammeln und zu leiten. Am Sonntag nachmittag tummelt sie das Turnspiel auf freiem Platze I Da wird die Kraft geübt, da ist Zucht und Kameradschaft. Allerdings, hier muß der Freund der Jugend helfen, führend, schlichtend, mäßigend. Denn die städtische Jugend ist zunächst egoistisch und schwer verträglich, unsozial durch und durch. In Halle oder Vereinssaal aber warten auf Tischen Spiele und Bücher. Gewählte Ordner müssen das besorgen, freilich nicht ohne Ermunterung und Unterstützung ihres Freundes und Führers. Gewissenhafte Bcamtentreue soll ja erst gelernt werden. Die Bilderwerke sind nicht abgelegte Zeitschriften und frommes Zeug; gute Sachen sind's, viel fremde Länder, viel Krieg ist dabei. Jungen sollen auch Freude am Kampf haben. (Das sage ich nicht; dann würden gleich allerhand Leute mit mir diskutieren wollen.X Aber ich suche die Bücher danach aus. Nun kommt der Pfiff oder Ruf. Die Spiele hören auf. Bürsten, Waschen, Kämmen I — und alles setzt sich zum Vortrag. Es ist wie im Männersaal der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/34>, abgerufen am 16.05.2024.