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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Leichtvater eines t<aiscrpaarcs

Als der Erzherzog Maximilian von Österreich, den Lockungen Napoleons
des Dritten folgend, sich auf das mexikanische Abenteuer einließ, mußte er sich
auf die Folgen gefaßt macheu. Er konnte nicht im Zweifel darüber sein, daß
es sich dort um ein Va banque-Spiel handelte, bei dem es um Leben und Tod
ging. Er mußte wissen, daß es sich bei diesem Hasardspiel in erster Linie um
die Frage handelte: "Wird in dem furchtbaren Bruderkampfe jenseits des Rio
Grande, der gerade damals im Gange war, der Norden siegen oder der Süden?"

Napoleons Plan, bei dem er den blonden Erzherzog skrupellos als Werk¬
zeug benutzte, hatte den Sieg der Südstaaten, die Fortdauer der Konföderation,
also den Zerfall der Union, zur ganz selbstverständlichen Voraussetzung. Sobald
sich diese Voraussetzung als irrig erwies -- was ja schon bald nach der Ankunft
Maximilians in Mexiko eintraf --, war sein Schicksal besiegelt. Sein Kampf
war also aussichtslos von Anfang an -- um so unverständlicher war daher sein
Bleiben, sein zähes Ausharren. Man sage nicht: Er konnte nicht wieder aus
der Falle heraus, in die man den Arglosen, und zwar unbegreiflich Arglosen,
hineingelockt hatte. Er hätte das wohl gekonnt. Jedenfalls fehlte lange, fehr
lauge jedes änßere Hindernis für seine Rückkehr -- oder nenne man es Rückzug
oder auch Flucht. Denn nicht nur den Franzosen, sondern sogar den mexikanischen
Liberalen wäre es weit lieber gewesen, Maximilian hätte das Land verlassen.
Der lebende, geflohene Kaiser wäre seinen Gegnern weit lieber gewesen als ein
Märtyrerkaiser. Aber Maximilian wollte nicht weichenI Er faßte seine Berufung,
seinen Beruf weit höher auf als wie ein vorübergehendes Abenteuer. Allen
Ernstes schien er an eine Art von göttlicher Mission zu glauben -- obwohl
er doch von der völligen UnHaltbarkeit seiner Sendung aus doppelten zwingenden
Gründen überzeugt sein mußte. Erstens hätte er sogleich einsehen müssen, daß
er sich auf den Klerus, seine einzige wirkliche Stütze im Lande selbst, nur dann
fest verlassen konnte, wenn er dessen Unersättlichkeit befriedigte -- ein Widerspruch,
der stell ihm bald genug aufdrängte, als er gezwungen wurde, alle unter Juarez
säkularisierten Kirchengüter -- also so ziemlich alles von einigem Werte im
Lande -- zurückzugeben, wodurch natürlich nur die Erbitterung der Laienwelt
verschürft wurde. Zweitens aber mußte er sich sagen, daß die nordamerikanische
Union nach der Wiederherstellung des Friedens zwischen Nord und Süd die
Gründung einer sich auf europäische Beihilfe stützenden Monarchie an ihrer Süd-
und Südwestgrenze im Interesse der Selbsterhaltung nicht dulden konnteI

Wenn er aber trotz dieser Erkenntnis auf seinem unhaltbaren Posten ver¬
blieb, warum tat er es dann?

Ganz einfach zu beantworten ist diese Frage nicht, so nahe sie auch liegt.
Zwar mußte es schon das hochgespannte Pflichtgefühl und der von niemandem
angezweifelte persönliche Mut dem Habsburgersprossen unleidlich erscheinen lassen,
von dem Posten zu weichen, auf den er sich durch eine höhere Macht berufen
glaubte; aber dazu kam dann noch, daß er in diesem Wahn -- die von den
Tuilerien ausgehenden Machinationen schien er geflissentlich übersehen zu wollen! --


Der Leichtvater eines t<aiscrpaarcs

Als der Erzherzog Maximilian von Österreich, den Lockungen Napoleons
des Dritten folgend, sich auf das mexikanische Abenteuer einließ, mußte er sich
auf die Folgen gefaßt macheu. Er konnte nicht im Zweifel darüber sein, daß
es sich dort um ein Va banque-Spiel handelte, bei dem es um Leben und Tod
ging. Er mußte wissen, daß es sich bei diesem Hasardspiel in erster Linie um
die Frage handelte: „Wird in dem furchtbaren Bruderkampfe jenseits des Rio
Grande, der gerade damals im Gange war, der Norden siegen oder der Süden?"

Napoleons Plan, bei dem er den blonden Erzherzog skrupellos als Werk¬
zeug benutzte, hatte den Sieg der Südstaaten, die Fortdauer der Konföderation,
also den Zerfall der Union, zur ganz selbstverständlichen Voraussetzung. Sobald
sich diese Voraussetzung als irrig erwies — was ja schon bald nach der Ankunft
Maximilians in Mexiko eintraf —, war sein Schicksal besiegelt. Sein Kampf
war also aussichtslos von Anfang an — um so unverständlicher war daher sein
Bleiben, sein zähes Ausharren. Man sage nicht: Er konnte nicht wieder aus
der Falle heraus, in die man den Arglosen, und zwar unbegreiflich Arglosen,
hineingelockt hatte. Er hätte das wohl gekonnt. Jedenfalls fehlte lange, fehr
lauge jedes änßere Hindernis für seine Rückkehr — oder nenne man es Rückzug
oder auch Flucht. Denn nicht nur den Franzosen, sondern sogar den mexikanischen
Liberalen wäre es weit lieber gewesen, Maximilian hätte das Land verlassen.
Der lebende, geflohene Kaiser wäre seinen Gegnern weit lieber gewesen als ein
Märtyrerkaiser. Aber Maximilian wollte nicht weichenI Er faßte seine Berufung,
seinen Beruf weit höher auf als wie ein vorübergehendes Abenteuer. Allen
Ernstes schien er an eine Art von göttlicher Mission zu glauben — obwohl
er doch von der völligen UnHaltbarkeit seiner Sendung aus doppelten zwingenden
Gründen überzeugt sein mußte. Erstens hätte er sogleich einsehen müssen, daß
er sich auf den Klerus, seine einzige wirkliche Stütze im Lande selbst, nur dann
fest verlassen konnte, wenn er dessen Unersättlichkeit befriedigte — ein Widerspruch,
der stell ihm bald genug aufdrängte, als er gezwungen wurde, alle unter Juarez
säkularisierten Kirchengüter — also so ziemlich alles von einigem Werte im
Lande — zurückzugeben, wodurch natürlich nur die Erbitterung der Laienwelt
verschürft wurde. Zweitens aber mußte er sich sagen, daß die nordamerikanische
Union nach der Wiederherstellung des Friedens zwischen Nord und Süd die
Gründung einer sich auf europäische Beihilfe stützenden Monarchie an ihrer Süd-
und Südwestgrenze im Interesse der Selbsterhaltung nicht dulden konnteI

Wenn er aber trotz dieser Erkenntnis auf seinem unhaltbaren Posten ver¬
blieb, warum tat er es dann?

Ganz einfach zu beantworten ist diese Frage nicht, so nahe sie auch liegt.
Zwar mußte es schon das hochgespannte Pflichtgefühl und der von niemandem
angezweifelte persönliche Mut dem Habsburgersprossen unleidlich erscheinen lassen,
von dem Posten zu weichen, auf den er sich durch eine höhere Macht berufen
glaubte; aber dazu kam dann noch, daß er in diesem Wahn — die von den
Tuilerien ausgehenden Machinationen schien er geflissentlich übersehen zu wollen! —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/41>, abgerufen am 16.05.2024.