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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Soziale Aufgabe" der privaten Lebensversicherung

Einen derartigen Verband zustande zu bringen, mag noch vor einigen
Jahren etwas utopisch erschienen sein; nicht zwar wegen der zu weitgehenden
finanziellen Verpflichtung, welche die einzelne beteiligte Gesellschaft auf sich
nehmen müßte; denn diese Verpflichtung ist keineswegs so groß oder unüber¬
sehbar, daß sie drückend oder abschreckend wirken könnte. Wohl aber hat es
seine Schwierigkeit, eine Vielheit großer, auf ihre Selbständigkeit stolzer Unter¬
nehmungen für einen auch nur bestimmt umgrenzten Zweck nnter einen Hut zu
bringen. Indessen wird heute dieses Bedenken nicht als allzu schwerwiegend
genommen werden dürfen, nachdem wir im verflossenen Jahre erlebt haben,
daß sich die größeren Lebensversicherungsgesellschaften schnell und weitgehend
geeinigt haben, als es galt, eine gemeinsame Organisation zur Erfüllung der¬
jenigen Aufgaben ins Leben zu rufen, welche schließlich durch das Versicherungs¬
gesetz für Angestellte einer besonders zu errichtenden Reichsanstalt übertragen
worden sind. Auch jetzt weist ein starkes und dringendes geschäftliches Interesse
die größeren Privatgesellschaften darauf hin, ungesäumt den im Vorstehenden
erörterten Fragen näherzutreten und die Gelegenheit nicht zu verpassen, sich
einen Anteil an der künftigen Entwicklung der Volksverstcherung zu sichern.
Findet nicht bald eine Konzentration zum Betriebe der Volksversicherung in
großzügigem Stile statt, die unseres Erachtens allein zu einer Verbilligung und
Vervollkommnung der Volksversicherung führt, so droht umgekehrt -- hierfür
liegen bereits die deutlichsten Anzeichen vor -- eine unheilvolle Zersplitterung.

Bekanntlich wird in den Kreisen der freien Gewerkschaften und sozial¬
demokratischen Konsumgenossenschaften eine Art Volksversicherung geplant, die,
wenn ihre Durchführung gelingt, vermöge des engen Zusammenhangs der
beteiligten Personenkreise und des starken Einflusses der Organisationen auf ihre
Mitglieder, für alle sonstigen Volksversicherungsunternehmungen ein sehr ernst
zu nehmender Konkurrent werden könnte. Sollte dieser sozialdemokratische Versuch
zu großen Erfolgen führen, so würden voraussichtlich die Arbeiterorganisationen
der anderen Richtungen (Gewerkvereine, christliche und nationale Arbeiter- und
Gewerkvereine) nicht zurückstehen wollen und sich bald zu ähnlichen Gründungen
veranlaßt sehen. Ferner sind, wie aus Zeitungen bekannt geworden ist, die im
Deutschen Kriegerbund vereinigten Kriegervereine im Begriff, durch einheitliche
neuartige Erweiterung ihres Unterstützungswesens ihre Mitglieder fester an sich
zu ketten. Endlich darf nicht außer acht gelassen werden, daß die in neuester Zeit
in mehreren preußischen Provinzen entstandenen und noch entstehenden öffentlich-
rechtlichen Lebensversicherungsanstalten für sich wie namentlich auch in dem sie
einenden Verbände sich die Aufgabe stellen, sich der Volksversicherung in möglichst
weitem Umfange zu vemächtigen. Alle diese Erscheinungen deuten darauf hin.
daß auf dem Gebiete der Volksversicherung eine nicht wieder gutzumachende
Zersplitterung und eine Schwächung des privaten Verstcherungsbetriebes droht,
wenn nicht ungesäumt und entschlossen die führenden Männer der privaten
Lebensversicherung den in neuester Zeit hervorgetretenen Problemen zu Leibe gehen.




Soziale Aufgabe» der privaten Lebensversicherung

Einen derartigen Verband zustande zu bringen, mag noch vor einigen
Jahren etwas utopisch erschienen sein; nicht zwar wegen der zu weitgehenden
finanziellen Verpflichtung, welche die einzelne beteiligte Gesellschaft auf sich
nehmen müßte; denn diese Verpflichtung ist keineswegs so groß oder unüber¬
sehbar, daß sie drückend oder abschreckend wirken könnte. Wohl aber hat es
seine Schwierigkeit, eine Vielheit großer, auf ihre Selbständigkeit stolzer Unter¬
nehmungen für einen auch nur bestimmt umgrenzten Zweck nnter einen Hut zu
bringen. Indessen wird heute dieses Bedenken nicht als allzu schwerwiegend
genommen werden dürfen, nachdem wir im verflossenen Jahre erlebt haben,
daß sich die größeren Lebensversicherungsgesellschaften schnell und weitgehend
geeinigt haben, als es galt, eine gemeinsame Organisation zur Erfüllung der¬
jenigen Aufgaben ins Leben zu rufen, welche schließlich durch das Versicherungs¬
gesetz für Angestellte einer besonders zu errichtenden Reichsanstalt übertragen
worden sind. Auch jetzt weist ein starkes und dringendes geschäftliches Interesse
die größeren Privatgesellschaften darauf hin, ungesäumt den im Vorstehenden
erörterten Fragen näherzutreten und die Gelegenheit nicht zu verpassen, sich
einen Anteil an der künftigen Entwicklung der Volksverstcherung zu sichern.
Findet nicht bald eine Konzentration zum Betriebe der Volksversicherung in
großzügigem Stile statt, die unseres Erachtens allein zu einer Verbilligung und
Vervollkommnung der Volksversicherung führt, so droht umgekehrt — hierfür
liegen bereits die deutlichsten Anzeichen vor — eine unheilvolle Zersplitterung.

Bekanntlich wird in den Kreisen der freien Gewerkschaften und sozial¬
demokratischen Konsumgenossenschaften eine Art Volksversicherung geplant, die,
wenn ihre Durchführung gelingt, vermöge des engen Zusammenhangs der
beteiligten Personenkreise und des starken Einflusses der Organisationen auf ihre
Mitglieder, für alle sonstigen Volksversicherungsunternehmungen ein sehr ernst
zu nehmender Konkurrent werden könnte. Sollte dieser sozialdemokratische Versuch
zu großen Erfolgen führen, so würden voraussichtlich die Arbeiterorganisationen
der anderen Richtungen (Gewerkvereine, christliche und nationale Arbeiter- und
Gewerkvereine) nicht zurückstehen wollen und sich bald zu ähnlichen Gründungen
veranlaßt sehen. Ferner sind, wie aus Zeitungen bekannt geworden ist, die im
Deutschen Kriegerbund vereinigten Kriegervereine im Begriff, durch einheitliche
neuartige Erweiterung ihres Unterstützungswesens ihre Mitglieder fester an sich
zu ketten. Endlich darf nicht außer acht gelassen werden, daß die in neuester Zeit
in mehreren preußischen Provinzen entstandenen und noch entstehenden öffentlich-
rechtlichen Lebensversicherungsanstalten für sich wie namentlich auch in dem sie
einenden Verbände sich die Aufgabe stellen, sich der Volksversicherung in möglichst
weitem Umfange zu vemächtigen. Alle diese Erscheinungen deuten darauf hin.
daß auf dem Gebiete der Volksversicherung eine nicht wieder gutzumachende
Zersplitterung und eine Schwächung des privaten Verstcherungsbetriebes droht,
wenn nicht ungesäumt und entschlossen die führenden Männer der privaten
Lebensversicherung den in neuester Zeit hervorgetretenen Problemen zu Leibe gehen.




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[0435] Soziale Aufgabe» der privaten Lebensversicherung Einen derartigen Verband zustande zu bringen, mag noch vor einigen Jahren etwas utopisch erschienen sein; nicht zwar wegen der zu weitgehenden finanziellen Verpflichtung, welche die einzelne beteiligte Gesellschaft auf sich nehmen müßte; denn diese Verpflichtung ist keineswegs so groß oder unüber¬ sehbar, daß sie drückend oder abschreckend wirken könnte. Wohl aber hat es seine Schwierigkeit, eine Vielheit großer, auf ihre Selbständigkeit stolzer Unter¬ nehmungen für einen auch nur bestimmt umgrenzten Zweck nnter einen Hut zu bringen. Indessen wird heute dieses Bedenken nicht als allzu schwerwiegend genommen werden dürfen, nachdem wir im verflossenen Jahre erlebt haben, daß sich die größeren Lebensversicherungsgesellschaften schnell und weitgehend geeinigt haben, als es galt, eine gemeinsame Organisation zur Erfüllung der¬ jenigen Aufgaben ins Leben zu rufen, welche schließlich durch das Versicherungs¬ gesetz für Angestellte einer besonders zu errichtenden Reichsanstalt übertragen worden sind. Auch jetzt weist ein starkes und dringendes geschäftliches Interesse die größeren Privatgesellschaften darauf hin, ungesäumt den im Vorstehenden erörterten Fragen näherzutreten und die Gelegenheit nicht zu verpassen, sich einen Anteil an der künftigen Entwicklung der Volksverstcherung zu sichern. Findet nicht bald eine Konzentration zum Betriebe der Volksversicherung in großzügigem Stile statt, die unseres Erachtens allein zu einer Verbilligung und Vervollkommnung der Volksversicherung führt, so droht umgekehrt — hierfür liegen bereits die deutlichsten Anzeichen vor — eine unheilvolle Zersplitterung. Bekanntlich wird in den Kreisen der freien Gewerkschaften und sozial¬ demokratischen Konsumgenossenschaften eine Art Volksversicherung geplant, die, wenn ihre Durchführung gelingt, vermöge des engen Zusammenhangs der beteiligten Personenkreise und des starken Einflusses der Organisationen auf ihre Mitglieder, für alle sonstigen Volksversicherungsunternehmungen ein sehr ernst zu nehmender Konkurrent werden könnte. Sollte dieser sozialdemokratische Versuch zu großen Erfolgen führen, so würden voraussichtlich die Arbeiterorganisationen der anderen Richtungen (Gewerkvereine, christliche und nationale Arbeiter- und Gewerkvereine) nicht zurückstehen wollen und sich bald zu ähnlichen Gründungen veranlaßt sehen. Ferner sind, wie aus Zeitungen bekannt geworden ist, die im Deutschen Kriegerbund vereinigten Kriegervereine im Begriff, durch einheitliche neuartige Erweiterung ihres Unterstützungswesens ihre Mitglieder fester an sich zu ketten. Endlich darf nicht außer acht gelassen werden, daß die in neuester Zeit in mehreren preußischen Provinzen entstandenen und noch entstehenden öffentlich- rechtlichen Lebensversicherungsanstalten für sich wie namentlich auch in dem sie einenden Verbände sich die Aufgabe stellen, sich der Volksversicherung in möglichst weitem Umfange zu vemächtigen. Alle diese Erscheinungen deuten darauf hin. daß auf dem Gebiete der Volksversicherung eine nicht wieder gutzumachende Zersplitterung und eine Schwächung des privaten Verstcherungsbetriebes droht, wenn nicht ungesäumt und entschlossen die führenden Männer der privaten Lebensversicherung den in neuester Zeit hervorgetretenen Problemen zu Leibe gehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/435>, abgerufen am 15.05.2024.