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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Herr Marion rümpft verächtlich die Nase und denkt: O du Bauer,
zieht die Uhr hervor, legt sie mit Würde in die Handhöhle, runzelt die Stirne
und sagt:

"Es ist 3 Uhr 10 Minuten und Zeit zum Läuten!"

Dann geht er vor die Haustüre. Rechts an der Wand hängt eine Glocke,
die er bedächtig zieht. Er hat den Schwung sorgfältig ausprobiert, den er
ihr geben muß, um einen edlen Ton zu erhalten, und meint, die Glocke ist
selbst entzückt über die musikalische Behandlung, die ihr seit einigen Wochen durch
den neuen Vikar zuteil wird.

Nach dem Läuten begibt er sich pflichtgetreu in seine Klasse.

Die Kinder ordnen sich vor der Tür zu Zweierreihen und gehen klassen¬
weise in die verschiedenen Säle.

Die drei älteren Lehrer bleiben noch beisammen stehen.

Als sich die Tür hinter dem letzten Kinde geschlossen hat, deutet Kaltner
mit dem Kopfe nach Martons Klassensaal und sagt:

"Hutsimpel!"

Und Kollege Becker:

"Ass!"

Und Kollege Weiler:

"Hochnäsiger Bub!"

Und dann: ob der Kollege Weiler heute Abend mit zum Skat ginge?

"Nein!"

"Na ja, man weiß ja. Der Herr Hausbesitzer Weiler geht net mehr mit
so arme Mietsleut!"

"Seid ihr mir neidisch wegen dem Haisje? 's is wirklich net de Wert drum!"

"Na, werfs net so weit weg. Üwrigens: wie gefällt dir dann dein neu
Haus? Du bischt jetzt seit Herbscht drin. Das sin dreiviertel Jahr. Da kann
wer sich sein Urteil bilde."

"Soll mers vielleicht net gefalle? Das war schon mein Seminaristetraum:
später emal so ein eigen Haisje. Das Geld dazu entweder zusammengerackert
oder e reich Frau geHeirat."

Da hat er in seinem Eifer in ein Wespennest gestochen.

"Na, du hascht ja beides erreicht. Die reich Frau urbs eigen Haisje!"

Weiler merkt sofort, daß er gefoppt wird, und die Wut zischt in seine
Worte, als er den beiden Kollegen entgegnet:

"Rührt mir das net an. sag ich euch, sonst. . .! 's tut mir leid genug,
daß ich euch gegenüber geplaudert hab. Prahlerei wars damals net, daß ich
euch von meiner reich Braut verzählt hab. Das hätt' ihr schon dadran merke
könne, daß ich euch nachher ganz offe und ohne gefragt morde zu sein, gesagt
hab, daß der alte Kerl sein Verspreche net gehalte hat un net de dritte Teil
von der in Aussicht gestellte Mitgift rausgerückt hat. Un en Donnerkeil ver¬
schmeiß so e Kollegialität wie euere!"


^rcmz !vcilers INartyriinn

Herr Marion rümpft verächtlich die Nase und denkt: O du Bauer,
zieht die Uhr hervor, legt sie mit Würde in die Handhöhle, runzelt die Stirne
und sagt:

„Es ist 3 Uhr 10 Minuten und Zeit zum Läuten!"

Dann geht er vor die Haustüre. Rechts an der Wand hängt eine Glocke,
die er bedächtig zieht. Er hat den Schwung sorgfältig ausprobiert, den er
ihr geben muß, um einen edlen Ton zu erhalten, und meint, die Glocke ist
selbst entzückt über die musikalische Behandlung, die ihr seit einigen Wochen durch
den neuen Vikar zuteil wird.

Nach dem Läuten begibt er sich pflichtgetreu in seine Klasse.

Die Kinder ordnen sich vor der Tür zu Zweierreihen und gehen klassen¬
weise in die verschiedenen Säle.

Die drei älteren Lehrer bleiben noch beisammen stehen.

Als sich die Tür hinter dem letzten Kinde geschlossen hat, deutet Kaltner
mit dem Kopfe nach Martons Klassensaal und sagt:

„Hutsimpel!"

Und Kollege Becker:

„Ass!"

Und Kollege Weiler:

„Hochnäsiger Bub!"

Und dann: ob der Kollege Weiler heute Abend mit zum Skat ginge?

„Nein!"

„Na ja, man weiß ja. Der Herr Hausbesitzer Weiler geht net mehr mit
so arme Mietsleut!"

„Seid ihr mir neidisch wegen dem Haisje? 's is wirklich net de Wert drum!"

„Na, werfs net so weit weg. Üwrigens: wie gefällt dir dann dein neu
Haus? Du bischt jetzt seit Herbscht drin. Das sin dreiviertel Jahr. Da kann
wer sich sein Urteil bilde."

„Soll mers vielleicht net gefalle? Das war schon mein Seminaristetraum:
später emal so ein eigen Haisje. Das Geld dazu entweder zusammengerackert
oder e reich Frau geHeirat."

Da hat er in seinem Eifer in ein Wespennest gestochen.

„Na, du hascht ja beides erreicht. Die reich Frau urbs eigen Haisje!"

Weiler merkt sofort, daß er gefoppt wird, und die Wut zischt in seine
Worte, als er den beiden Kollegen entgegnet:

„Rührt mir das net an. sag ich euch, sonst. . .! 's tut mir leid genug,
daß ich euch gegenüber geplaudert hab. Prahlerei wars damals net, daß ich
euch von meiner reich Braut verzählt hab. Das hätt' ihr schon dadran merke
könne, daß ich euch nachher ganz offe und ohne gefragt morde zu sein, gesagt
hab, daß der alte Kerl sein Verspreche net gehalte hat un net de dritte Teil
von der in Aussicht gestellte Mitgift rausgerückt hat. Un en Donnerkeil ver¬
schmeiß so e Kollegialität wie euere!"


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[0483] ^rcmz !vcilers INartyriinn Herr Marion rümpft verächtlich die Nase und denkt: O du Bauer, zieht die Uhr hervor, legt sie mit Würde in die Handhöhle, runzelt die Stirne und sagt: „Es ist 3 Uhr 10 Minuten und Zeit zum Läuten!" Dann geht er vor die Haustüre. Rechts an der Wand hängt eine Glocke, die er bedächtig zieht. Er hat den Schwung sorgfältig ausprobiert, den er ihr geben muß, um einen edlen Ton zu erhalten, und meint, die Glocke ist selbst entzückt über die musikalische Behandlung, die ihr seit einigen Wochen durch den neuen Vikar zuteil wird. Nach dem Läuten begibt er sich pflichtgetreu in seine Klasse. Die Kinder ordnen sich vor der Tür zu Zweierreihen und gehen klassen¬ weise in die verschiedenen Säle. Die drei älteren Lehrer bleiben noch beisammen stehen. Als sich die Tür hinter dem letzten Kinde geschlossen hat, deutet Kaltner mit dem Kopfe nach Martons Klassensaal und sagt: „Hutsimpel!" Und Kollege Becker: „Ass!" Und Kollege Weiler: „Hochnäsiger Bub!" Und dann: ob der Kollege Weiler heute Abend mit zum Skat ginge? „Nein!" „Na ja, man weiß ja. Der Herr Hausbesitzer Weiler geht net mehr mit so arme Mietsleut!" „Seid ihr mir neidisch wegen dem Haisje? 's is wirklich net de Wert drum!" „Na, werfs net so weit weg. Üwrigens: wie gefällt dir dann dein neu Haus? Du bischt jetzt seit Herbscht drin. Das sin dreiviertel Jahr. Da kann wer sich sein Urteil bilde." „Soll mers vielleicht net gefalle? Das war schon mein Seminaristetraum: später emal so ein eigen Haisje. Das Geld dazu entweder zusammengerackert oder e reich Frau geHeirat." Da hat er in seinem Eifer in ein Wespennest gestochen. „Na, du hascht ja beides erreicht. Die reich Frau urbs eigen Haisje!" Weiler merkt sofort, daß er gefoppt wird, und die Wut zischt in seine Worte, als er den beiden Kollegen entgegnet: „Rührt mir das net an. sag ich euch, sonst. . .! 's tut mir leid genug, daß ich euch gegenüber geplaudert hab. Prahlerei wars damals net, daß ich euch von meiner reich Braut verzählt hab. Das hätt' ihr schon dadran merke könne, daß ich euch nachher ganz offe und ohne gefragt morde zu sein, gesagt hab, daß der alte Kerl sein Verspreche net gehalte hat un net de dritte Teil von der in Aussicht gestellte Mitgift rausgerückt hat. Un en Donnerkeil ver¬ schmeiß so e Kollegialität wie euere!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/483>, abgerufen am 15.05.2024.