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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

lebenden Bürger, wenn er sich der Wehrpflicht entzieht, mit harten Strafen zu
belegen und gewaltsam zum Heeresdienst heranzuziehen, so kann man ihm nicht
zumuten, über gleich pflichtvergessene Reichsangehörige, wenn sie im Auslande
leben und sich damit seiner strafenden Hand entziehen, trotzdem die schützende
Hand zu halten. Es ist dies um so weniger angebracht, weil der Schutz des im
Ausland lebenden Deutschen um vieles mehr der gesamten Autorität des Staates
bedarf, als es bei der Gewährung der Rechtssicherheit im Innern des
Landes der Fall ist. Es ist jedesmal am letzten Ende die gesamte Macht des
Heimatstaates, die für die im Auslande lebende einzelne Person in die Wag>
schale geworfen werden muß, und derartige Fälle können, wie die Geschichte zeigt,
zu den schwersten Konsequenzen für die gesamte Nation führen. Und so groß
auch unser Interesse daran ist, die Zahl der im Auslande lebenden Deutschen
so viel wie möglich zu verstärken, kann dies aus nationalen wie handels¬
politischen Gründen durchaus richtige Prinzip doch nicht so weit führen, nun
auch denjenigen weiterhin als Deutschen anzuerkennen, der aus dem Umstände,
daß er im Auslande lebt, für sich den Vorteil zu ziehen versucht, sich den Pflichten
zu entziehen, die jeder im Inlande wohnende Deutsche erfüllen muß.

Diese neue Gesetzesvorschrift hat natürlich eine Änderung über die Be¬
stimmungen der Wehrpflicht bedingt. Der ganze Zweck des Gesetzes, den Verlust
der Reichsangehörigkeit zu erschweren, würde hinfällig geworden fein, wenn
nicht die Ausübung der Wehrpflicht für die in: Ausland lebenden Deutschen
durch eine Reihe von zweckmäßigen Vorschriften ganz wesentliche Erleichterungen
erfahren hätte. Die erste Aussprache im Reichstage hat erkennen lassen, daß
ein Teil der Mitglieder die gewährten Erleichterungen, wie sie bezüglich einer
Zurückstellung bis zu eiuer Dauer von vier Jahren und einer direkten Über¬
weisung zum Landsturm ersten Aufgebotes vorgesehen sind, nicht für ausreichend
hält. Man kann hier, wenn man den Zweck des Gesetzes nicht aus dem Auge
verlieren will, wohl kaum weit genug gehen und sollte in allen Fällen, in denen
eine absichtliche Umgehung der Dienstpflicht durch die zu diesem Zwecke unter¬
nommene Ausreise ins Ausland nicht vorliegt, die Heranziehung der Ausland-
Deutschen zur Erfüllung der Wehrpflicht möglichst beschränken. Der Vorteil, den
Staaten wie England und Amerika in der Konkurrenz ihres ausländischen
Handels insofern haben, als ihnen eine allgemeine Wehrpflicht unbekannt ist,
ist gar nicht hoch genug anzuschlagen. Gewiß verliert der junge Deutsche im
Inlande durch die Erfüllung der Dienstpflicht auch seine Stellung, aber ein
anderer Deutscher tritt an seinen Platz. Im Auslande ist das anders. Schon
die Tatsache, daß der deutsche Kaufmann gerade, wenn er einige Jahre
sich in die Verhältnisse des fremden Landes eingearbeitet hat, seine
Tätigkeit auf längere Zeit unterbrechen muß, erschwert ihm die Anstellungs¬
möglichkeit in fremden Handelshäusern. Und wenn er nun gar ein
eigenes Geschäft oder Unternehmen leitet, so ist durch eine derartige
Unterbrechung in vielen Fällen seine Existenz und das in dem Geschäft


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lebenden Bürger, wenn er sich der Wehrpflicht entzieht, mit harten Strafen zu
belegen und gewaltsam zum Heeresdienst heranzuziehen, so kann man ihm nicht
zumuten, über gleich pflichtvergessene Reichsangehörige, wenn sie im Auslande
leben und sich damit seiner strafenden Hand entziehen, trotzdem die schützende
Hand zu halten. Es ist dies um so weniger angebracht, weil der Schutz des im
Ausland lebenden Deutschen um vieles mehr der gesamten Autorität des Staates
bedarf, als es bei der Gewährung der Rechtssicherheit im Innern des
Landes der Fall ist. Es ist jedesmal am letzten Ende die gesamte Macht des
Heimatstaates, die für die im Auslande lebende einzelne Person in die Wag>
schale geworfen werden muß, und derartige Fälle können, wie die Geschichte zeigt,
zu den schwersten Konsequenzen für die gesamte Nation führen. Und so groß
auch unser Interesse daran ist, die Zahl der im Auslande lebenden Deutschen
so viel wie möglich zu verstärken, kann dies aus nationalen wie handels¬
politischen Gründen durchaus richtige Prinzip doch nicht so weit führen, nun
auch denjenigen weiterhin als Deutschen anzuerkennen, der aus dem Umstände,
daß er im Auslande lebt, für sich den Vorteil zu ziehen versucht, sich den Pflichten
zu entziehen, die jeder im Inlande wohnende Deutsche erfüllen muß.

Diese neue Gesetzesvorschrift hat natürlich eine Änderung über die Be¬
stimmungen der Wehrpflicht bedingt. Der ganze Zweck des Gesetzes, den Verlust
der Reichsangehörigkeit zu erschweren, würde hinfällig geworden fein, wenn
nicht die Ausübung der Wehrpflicht für die in: Ausland lebenden Deutschen
durch eine Reihe von zweckmäßigen Vorschriften ganz wesentliche Erleichterungen
erfahren hätte. Die erste Aussprache im Reichstage hat erkennen lassen, daß
ein Teil der Mitglieder die gewährten Erleichterungen, wie sie bezüglich einer
Zurückstellung bis zu eiuer Dauer von vier Jahren und einer direkten Über¬
weisung zum Landsturm ersten Aufgebotes vorgesehen sind, nicht für ausreichend
hält. Man kann hier, wenn man den Zweck des Gesetzes nicht aus dem Auge
verlieren will, wohl kaum weit genug gehen und sollte in allen Fällen, in denen
eine absichtliche Umgehung der Dienstpflicht durch die zu diesem Zwecke unter¬
nommene Ausreise ins Ausland nicht vorliegt, die Heranziehung der Ausland-
Deutschen zur Erfüllung der Wehrpflicht möglichst beschränken. Der Vorteil, den
Staaten wie England und Amerika in der Konkurrenz ihres ausländischen
Handels insofern haben, als ihnen eine allgemeine Wehrpflicht unbekannt ist,
ist gar nicht hoch genug anzuschlagen. Gewiß verliert der junge Deutsche im
Inlande durch die Erfüllung der Dienstpflicht auch seine Stellung, aber ein
anderer Deutscher tritt an seinen Platz. Im Auslande ist das anders. Schon
die Tatsache, daß der deutsche Kaufmann gerade, wenn er einige Jahre
sich in die Verhältnisse des fremden Landes eingearbeitet hat, seine
Tätigkeit auf längere Zeit unterbrechen muß, erschwert ihm die Anstellungs¬
möglichkeit in fremden Handelshäusern. Und wenn er nun gar ein
eigenes Geschäft oder Unternehmen leitet, so ist durch eine derartige
Unterbrechung in vielen Fällen seine Existenz und das in dem Geschäft


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[0502] Reichsspiegel lebenden Bürger, wenn er sich der Wehrpflicht entzieht, mit harten Strafen zu belegen und gewaltsam zum Heeresdienst heranzuziehen, so kann man ihm nicht zumuten, über gleich pflichtvergessene Reichsangehörige, wenn sie im Auslande leben und sich damit seiner strafenden Hand entziehen, trotzdem die schützende Hand zu halten. Es ist dies um so weniger angebracht, weil der Schutz des im Ausland lebenden Deutschen um vieles mehr der gesamten Autorität des Staates bedarf, als es bei der Gewährung der Rechtssicherheit im Innern des Landes der Fall ist. Es ist jedesmal am letzten Ende die gesamte Macht des Heimatstaates, die für die im Auslande lebende einzelne Person in die Wag> schale geworfen werden muß, und derartige Fälle können, wie die Geschichte zeigt, zu den schwersten Konsequenzen für die gesamte Nation führen. Und so groß auch unser Interesse daran ist, die Zahl der im Auslande lebenden Deutschen so viel wie möglich zu verstärken, kann dies aus nationalen wie handels¬ politischen Gründen durchaus richtige Prinzip doch nicht so weit führen, nun auch denjenigen weiterhin als Deutschen anzuerkennen, der aus dem Umstände, daß er im Auslande lebt, für sich den Vorteil zu ziehen versucht, sich den Pflichten zu entziehen, die jeder im Inlande wohnende Deutsche erfüllen muß. Diese neue Gesetzesvorschrift hat natürlich eine Änderung über die Be¬ stimmungen der Wehrpflicht bedingt. Der ganze Zweck des Gesetzes, den Verlust der Reichsangehörigkeit zu erschweren, würde hinfällig geworden fein, wenn nicht die Ausübung der Wehrpflicht für die in: Ausland lebenden Deutschen durch eine Reihe von zweckmäßigen Vorschriften ganz wesentliche Erleichterungen erfahren hätte. Die erste Aussprache im Reichstage hat erkennen lassen, daß ein Teil der Mitglieder die gewährten Erleichterungen, wie sie bezüglich einer Zurückstellung bis zu eiuer Dauer von vier Jahren und einer direkten Über¬ weisung zum Landsturm ersten Aufgebotes vorgesehen sind, nicht für ausreichend hält. Man kann hier, wenn man den Zweck des Gesetzes nicht aus dem Auge verlieren will, wohl kaum weit genug gehen und sollte in allen Fällen, in denen eine absichtliche Umgehung der Dienstpflicht durch die zu diesem Zwecke unter¬ nommene Ausreise ins Ausland nicht vorliegt, die Heranziehung der Ausland- Deutschen zur Erfüllung der Wehrpflicht möglichst beschränken. Der Vorteil, den Staaten wie England und Amerika in der Konkurrenz ihres ausländischen Handels insofern haben, als ihnen eine allgemeine Wehrpflicht unbekannt ist, ist gar nicht hoch genug anzuschlagen. Gewiß verliert der junge Deutsche im Inlande durch die Erfüllung der Dienstpflicht auch seine Stellung, aber ein anderer Deutscher tritt an seinen Platz. Im Auslande ist das anders. Schon die Tatsache, daß der deutsche Kaufmann gerade, wenn er einige Jahre sich in die Verhältnisse des fremden Landes eingearbeitet hat, seine Tätigkeit auf längere Zeit unterbrechen muß, erschwert ihm die Anstellungs¬ möglichkeit in fremden Handelshäusern. Und wenn er nun gar ein eigenes Geschäft oder Unternehmen leitet, so ist durch eine derartige Unterbrechung in vielen Fällen seine Existenz und das in dem Geschäft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/502>, abgerufen am 15.05.2024.