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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Weg zur Eroberung der Gstmark

Lagern als deprimierend anerkannt, daß man sogar die Bescheidenheit, die aus
dem zitierten Bülowschen Urteil spricht, als Optimismus ansehen darf.

Geheimrat Witting "erwartet die Entscheidung einzig und allein vom
Bodenkampf" im Osten. Im Bodenkampf sind die Deutschen unterlegen. Professor
Bernhard hat zahlenmäßig nachgewiesen, wie das Vordringen der großpolnischen
Bewegung in Oberschlesien darauf zurückzuführen sei, daß die polnischen Volks-
danken bei Spareinlagen höhere Zinsen und billigere Kreditbedingungen gewähren
als die deutschen Kleinbauten. Auch die erhöhte Vermehrungsfähigkeit der Polen
gegenüber den Deutschen des Ostens gibt man als "Ursache" der Fortschritte
des Polentums an. Das mögen alles mitwirkende Ursachen sein. Aber das
"Ding an sich" in allen diesen unstreitig richtig erkannten Ursachen wird zu
wenig in die Rechnung eingestellt.

Als 1902 die neue Polenpolitik Bülows einsetzte, war es mir klar, daß
sie ohne ein Ferment nationaler Begeisterung auf der Seite des Deutschtums
keinen Erfolg haben könneI Fürst Bülow streifte diesen Umstand in seiner Rede
vom 24. Januar 1904. Er sagte: "Der Mangel an Kleinarbeit und ins¬
besondere an Kleinarbeit in den täglichen Vorgängen des Lebens für nationale
Zwecke ist leider vielfach in unseren östlichen Provinzen eine betrübende Begleit¬
erscheinung des Kampfes, der dort geführt wird." Das ist nicht nur eine
betrübende Begleiterscheinung. Im Februar 1904 hat die Rheinisch-Westfälische
Zeitung die richtigen Worte gefunden: "Nicht der Mangel an dem erforderlichen
Menschenmaterial trägt die Schuld daran, daß das Deutschtum in Posen gegenüber
den Polen nicht nur keine Fortschritte macht, sondern relativ sich sogar im
Rückgang befindet, sondern der völlige Mangel nationaler Begeisterung für die
deutsche Sache. Und dieser erklärt sich daraus, daß nicht wie auf polnischer
Seite das Volk, sondern lediglich die Regierung an der Förderung dieser
nationalen Bestrebungen arbeitet. ". . . Bevor hierin kein Wandel eintritt,
bevor nicht der Kampf gegen das Polentum in den Ostmarken aus einem von
den Verwaltungsbehörden geführten Federkrieg ein begeisterter Volkskrieg wird,
wird die Regierung nicht zur Offensive gegen die Polen schreiten können."

Diese als fo notwendig erachtete mangelnde nationale Kleinarbeit ist auch
heute noch nicht da -- trotz der Ansiedlungsbewegung, trotz der sehr anerkennens¬
werten Leistungen des Ostmarkenvereins und trotz der Gründung des Deutschen
Bauernbundes. Eine solche nationale Gegenbewegung wird sich auch nicht durch
die nötige Einsicht, daß sie notwendig sei, schaffen lassen; denn vor allen
Dingen fehlt es an dem Reservoir, um die hierzu notwendigen Massen heran¬
zuholen.

Es hört sich recht imposant an, daß die Ansiedlungskommission jährlich
fünfzehntausend deutsche Seelen im Osten ansetzt. Aber auf alle Ergebnisse der
Polenpolitik ist allein anwendbar die nüchterne Formel des Fürsten Bülow:
"Ohne unsere Maßnahmen würde das Polentum noch weitere Fortschritte
gemacht haben."


Der Weg zur Eroberung der Gstmark

Lagern als deprimierend anerkannt, daß man sogar die Bescheidenheit, die aus
dem zitierten Bülowschen Urteil spricht, als Optimismus ansehen darf.

Geheimrat Witting „erwartet die Entscheidung einzig und allein vom
Bodenkampf" im Osten. Im Bodenkampf sind die Deutschen unterlegen. Professor
Bernhard hat zahlenmäßig nachgewiesen, wie das Vordringen der großpolnischen
Bewegung in Oberschlesien darauf zurückzuführen sei, daß die polnischen Volks-
danken bei Spareinlagen höhere Zinsen und billigere Kreditbedingungen gewähren
als die deutschen Kleinbauten. Auch die erhöhte Vermehrungsfähigkeit der Polen
gegenüber den Deutschen des Ostens gibt man als „Ursache" der Fortschritte
des Polentums an. Das mögen alles mitwirkende Ursachen sein. Aber das
„Ding an sich" in allen diesen unstreitig richtig erkannten Ursachen wird zu
wenig in die Rechnung eingestellt.

Als 1902 die neue Polenpolitik Bülows einsetzte, war es mir klar, daß
sie ohne ein Ferment nationaler Begeisterung auf der Seite des Deutschtums
keinen Erfolg haben könneI Fürst Bülow streifte diesen Umstand in seiner Rede
vom 24. Januar 1904. Er sagte: „Der Mangel an Kleinarbeit und ins¬
besondere an Kleinarbeit in den täglichen Vorgängen des Lebens für nationale
Zwecke ist leider vielfach in unseren östlichen Provinzen eine betrübende Begleit¬
erscheinung des Kampfes, der dort geführt wird." Das ist nicht nur eine
betrübende Begleiterscheinung. Im Februar 1904 hat die Rheinisch-Westfälische
Zeitung die richtigen Worte gefunden: „Nicht der Mangel an dem erforderlichen
Menschenmaterial trägt die Schuld daran, daß das Deutschtum in Posen gegenüber
den Polen nicht nur keine Fortschritte macht, sondern relativ sich sogar im
Rückgang befindet, sondern der völlige Mangel nationaler Begeisterung für die
deutsche Sache. Und dieser erklärt sich daraus, daß nicht wie auf polnischer
Seite das Volk, sondern lediglich die Regierung an der Förderung dieser
nationalen Bestrebungen arbeitet. „. . . Bevor hierin kein Wandel eintritt,
bevor nicht der Kampf gegen das Polentum in den Ostmarken aus einem von
den Verwaltungsbehörden geführten Federkrieg ein begeisterter Volkskrieg wird,
wird die Regierung nicht zur Offensive gegen die Polen schreiten können."

Diese als fo notwendig erachtete mangelnde nationale Kleinarbeit ist auch
heute noch nicht da — trotz der Ansiedlungsbewegung, trotz der sehr anerkennens¬
werten Leistungen des Ostmarkenvereins und trotz der Gründung des Deutschen
Bauernbundes. Eine solche nationale Gegenbewegung wird sich auch nicht durch
die nötige Einsicht, daß sie notwendig sei, schaffen lassen; denn vor allen
Dingen fehlt es an dem Reservoir, um die hierzu notwendigen Massen heran¬
zuholen.

Es hört sich recht imposant an, daß die Ansiedlungskommission jährlich
fünfzehntausend deutsche Seelen im Osten ansetzt. Aber auf alle Ergebnisse der
Polenpolitik ist allein anwendbar die nüchterne Formel des Fürsten Bülow:
„Ohne unsere Maßnahmen würde das Polentum noch weitere Fortschritte
gemacht haben."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/558>, abgerufen am 15.05.2024.