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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Weilers Martyrium

"Na, Fraa Lähre, denn Se Koppweh?"

"Ja, so e bißje!"

Der Bauer denkt, wenn es nur ein bißchen ist, wozu da den Kopf zubinden,
und laut sagt er:

"Bis moaje frih is es wieder vebei!"

Klappe den Pfeifendeckel auf, stößt den Mittelfinger in den Tabakskopf,
auf dem mit hurtiger Farben ein Jäger, mit seinem Hunde unter einem
Baume ruhend, dargestellt ist. Die Glut ist erloschen; er schiebt die Pfeife kalt
in den Mund.

Der Vater fragt, wie das Korn stehe und dies und das und geht mit dem
Bauer hinaus.

Jakob haspelt schon das Gebet nach Tisch, während Franz noch ißt. Die
Mutter schnarrt ihn an:

"Mach fort, KerlI"

Da der Bub den Teller mit dem Rest Pfannkuchen zurückschiebt, nimmt
sie ihn hinweg. Dann schöpft sie aus dem kupfernen Herdschiff heißes Wasser
in den Spülzuber, gießt kaltes dazu und prüft die Temperatur mit der Hand.
Sie spürt sich am Rock gezupft und dreht sich um. Franz steht hinter ihr und
sagt mit leiser Stimme, in der ein Klang von Reue und Mitleid schwingt:

"Mutter, ich tu so was net mehr!"

Da zuckt sie die Hand aus dem Wasser und schlägt sie ihrem Kinde ins
Gesicht. In brennender Röte sind vier Finger auf der Wange abgezeichnet.

"So, das war for dei Verräterei. Du kriegscht noch mehr. Das war
net die letschtl"

Franz weint nicht. Er trocknet sich mit seinem roten Taschentuch die nasse
Wange ab und geht auf die Türe zu. Gerade kommt der Vater wieder herein.

"Wo will der hin?" fragt er.

"Ich muß mal mans!"

Der Bub geht zuerst in den Hinteren Hof, kehrt wieder zurück, huscht an
der Haustüre vorbei und springt ans Hoftor. Leises Aufklinken, Durchzwängen
des Körpers durch das zu einem ganz schmalen Spalt geöffnete Tor, damit
es nicht gärrt und knarrt.

In mächtigen Sätzen läuft er die Straße hinab und verschwindet um die Ecke.

Die Gassen sind schon still. Es ist Spätdämmerung geworden. In den
Höfen rasseln die Futtereimer und schnarren die Häckselmaschinen.

Franz will zu seiner Tante, einer Schwester seines Vaters. Er muß seine
Besuche immer heimlich bei ihr abstatten. Der Vater ist nicht gut zu sprechen
auf den Schwager. Der ist Gemeinderat und hat einmal gegen eine Eingabe
der Lehrer wegen Erhöhung des Wohnungsgeldes gestimmt. Die Mutter ist
nicht gut zu sprechen auf die Schwägerin, weil sie mit ihrem Manne in glück¬
licher Ehe lebt und darum eine heitere Frau ist. Das kommt der unglücklichen
Ehefrau verrückt und hochmütig vor, und sie weiß es gar nicht, daß sie neidisch ist.


Franz Weilers Martyrium

„Na, Fraa Lähre, denn Se Koppweh?"

„Ja, so e bißje!"

Der Bauer denkt, wenn es nur ein bißchen ist, wozu da den Kopf zubinden,
und laut sagt er:

„Bis moaje frih is es wieder vebei!"

Klappe den Pfeifendeckel auf, stößt den Mittelfinger in den Tabakskopf,
auf dem mit hurtiger Farben ein Jäger, mit seinem Hunde unter einem
Baume ruhend, dargestellt ist. Die Glut ist erloschen; er schiebt die Pfeife kalt
in den Mund.

Der Vater fragt, wie das Korn stehe und dies und das und geht mit dem
Bauer hinaus.

Jakob haspelt schon das Gebet nach Tisch, während Franz noch ißt. Die
Mutter schnarrt ihn an:

„Mach fort, KerlI"

Da der Bub den Teller mit dem Rest Pfannkuchen zurückschiebt, nimmt
sie ihn hinweg. Dann schöpft sie aus dem kupfernen Herdschiff heißes Wasser
in den Spülzuber, gießt kaltes dazu und prüft die Temperatur mit der Hand.
Sie spürt sich am Rock gezupft und dreht sich um. Franz steht hinter ihr und
sagt mit leiser Stimme, in der ein Klang von Reue und Mitleid schwingt:

„Mutter, ich tu so was net mehr!"

Da zuckt sie die Hand aus dem Wasser und schlägt sie ihrem Kinde ins
Gesicht. In brennender Röte sind vier Finger auf der Wange abgezeichnet.

„So, das war for dei Verräterei. Du kriegscht noch mehr. Das war
net die letschtl"

Franz weint nicht. Er trocknet sich mit seinem roten Taschentuch die nasse
Wange ab und geht auf die Türe zu. Gerade kommt der Vater wieder herein.

„Wo will der hin?" fragt er.

„Ich muß mal mans!"

Der Bub geht zuerst in den Hinteren Hof, kehrt wieder zurück, huscht an
der Haustüre vorbei und springt ans Hoftor. Leises Aufklinken, Durchzwängen
des Körpers durch das zu einem ganz schmalen Spalt geöffnete Tor, damit
es nicht gärrt und knarrt.

In mächtigen Sätzen läuft er die Straße hinab und verschwindet um die Ecke.

Die Gassen sind schon still. Es ist Spätdämmerung geworden. In den
Höfen rasseln die Futtereimer und schnarren die Häckselmaschinen.

Franz will zu seiner Tante, einer Schwester seines Vaters. Er muß seine
Besuche immer heimlich bei ihr abstatten. Der Vater ist nicht gut zu sprechen
auf den Schwager. Der ist Gemeinderat und hat einmal gegen eine Eingabe
der Lehrer wegen Erhöhung des Wohnungsgeldes gestimmt. Die Mutter ist
nicht gut zu sprechen auf die Schwägerin, weil sie mit ihrem Manne in glück¬
licher Ehe lebt und darum eine heitere Frau ist. Das kommt der unglücklichen
Ehefrau verrückt und hochmütig vor, und sie weiß es gar nicht, daß sie neidisch ist.


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[0578] Franz Weilers Martyrium „Na, Fraa Lähre, denn Se Koppweh?" „Ja, so e bißje!" Der Bauer denkt, wenn es nur ein bißchen ist, wozu da den Kopf zubinden, und laut sagt er: „Bis moaje frih is es wieder vebei!" Klappe den Pfeifendeckel auf, stößt den Mittelfinger in den Tabakskopf, auf dem mit hurtiger Farben ein Jäger, mit seinem Hunde unter einem Baume ruhend, dargestellt ist. Die Glut ist erloschen; er schiebt die Pfeife kalt in den Mund. Der Vater fragt, wie das Korn stehe und dies und das und geht mit dem Bauer hinaus. Jakob haspelt schon das Gebet nach Tisch, während Franz noch ißt. Die Mutter schnarrt ihn an: „Mach fort, KerlI" Da der Bub den Teller mit dem Rest Pfannkuchen zurückschiebt, nimmt sie ihn hinweg. Dann schöpft sie aus dem kupfernen Herdschiff heißes Wasser in den Spülzuber, gießt kaltes dazu und prüft die Temperatur mit der Hand. Sie spürt sich am Rock gezupft und dreht sich um. Franz steht hinter ihr und sagt mit leiser Stimme, in der ein Klang von Reue und Mitleid schwingt: „Mutter, ich tu so was net mehr!" Da zuckt sie die Hand aus dem Wasser und schlägt sie ihrem Kinde ins Gesicht. In brennender Röte sind vier Finger auf der Wange abgezeichnet. „So, das war for dei Verräterei. Du kriegscht noch mehr. Das war net die letschtl" Franz weint nicht. Er trocknet sich mit seinem roten Taschentuch die nasse Wange ab und geht auf die Türe zu. Gerade kommt der Vater wieder herein. „Wo will der hin?" fragt er. „Ich muß mal mans!" Der Bub geht zuerst in den Hinteren Hof, kehrt wieder zurück, huscht an der Haustüre vorbei und springt ans Hoftor. Leises Aufklinken, Durchzwängen des Körpers durch das zu einem ganz schmalen Spalt geöffnete Tor, damit es nicht gärrt und knarrt. In mächtigen Sätzen läuft er die Straße hinab und verschwindet um die Ecke. Die Gassen sind schon still. Es ist Spätdämmerung geworden. In den Höfen rasseln die Futtereimer und schnarren die Häckselmaschinen. Franz will zu seiner Tante, einer Schwester seines Vaters. Er muß seine Besuche immer heimlich bei ihr abstatten. Der Vater ist nicht gut zu sprechen auf den Schwager. Der ist Gemeinderat und hat einmal gegen eine Eingabe der Lehrer wegen Erhöhung des Wohnungsgeldes gestimmt. Die Mutter ist nicht gut zu sprechen auf die Schwägerin, weil sie mit ihrem Manne in glück¬ licher Ehe lebt und darum eine heitere Frau ist. Das kommt der unglücklichen Ehefrau verrückt und hochmütig vor, und sie weiß es gar nicht, daß sie neidisch ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/578>, abgerufen am 31.05.2024.