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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiogel

Die Rede des Ersten Lords der englischen Admiralität zerfüllt in zwei
Teile. Der erste Teil enthält seine Ansichten über ein für ihn diskutables
Verhältnis zwischen der englischen und der deutschen Marine. Der zweite Teil
kündigt eine neue Dislokation der englischen Seestreitkräfte an, dergestalt, daß
der Ring der englischen Geschwader um die Nordsee enger und stärker gezogen
werden soll. Ein wirkliches Verständigungsangebot enthält die Rede nicht.
Das bedauern wir. Denn wirkliche Verständigung, selbst wenn auch wir
kleine Opfer bringen müßten, ist das einzig erstrebbare Ziel. Die Hoffnung,
dies Ziel einmal zu erreichen, werden wir auch nach Churchills Rede nicht
aufgeben. Es muß eine Freundschaft möglich sein zwischen zweien, die gerade
und aufrecht ihren Weg gehen und die willens sind, die Hand zur Ver¬
ständigung zu bieten. Wie aber dem einzelnen Menschen im Laufe der Jahr¬
hunderte so viele Rechte zugestanden sind, daß er sich fast täglich in einem
derselben von dem Nachbar verletzt fühlt, so ist auch eine Verständigung zwischen
zwei Nationen, die, ob mit Recht oder Unrecht, jahrelangen Groll gegen ein¬
ander aufgespeichert haben, nicht von heute auf morgen zu erreichen. Vor¬
bedingung, Mißstimmungen zwischen zwei Menschen oder zwei Völkern zu be¬
heben, ist Offenheit. Offenheit rühmt Churchill seiner Rede nach. Wer
Offenheit nicht vertragen kann, entzieht sich selbst den Boden jeder Verständigungs¬
möglichkeit.

Wenn Churchills Rede auch keine greifbaren Angebote macht, so erweckt
doch immerhin die Tatsache Hoffnungen, daß er, wenigstens scheinbar, in bezug
auf die Relation 2:1 Konzessionen macht. Der deutsche Vorschlag, für das
Verhältnis der deutschen zu den englischen Seestreitkräften sei 2:3 eine gesunde
Norm, wird nicht mehr wie noch vor kurzem als Anmaßung bezeichnet. Aller¬
dings wird eine wirkliche Verständigung, die von Dauer ist, nur dann denkbar
sein, wenn beide die wechselseitigen Bedürfnisse allerkennen und nicht als
"Luxus" höhnen, was für Zukunft und Bestand des anderen Staates bittere
Notwendigkeit ist.

Es gibt in Deutschland keine Gruppe und keine Partei, die ehrlicher Ver¬
ständigung nicht zustimmen würde. Nur müssen die Austauschobjekte gleich¬
wertig sein. Wir können nicht politische Konzessionen, d. h. Versprechungen,
die zum Teil in der Luft schweben, eintauschen etwa gegen Wehrmachts-
konzessionen, die mehr als greifbar sein. Das hieße rechnen mit inkommen¬
surablen Größen.

Um im einzelnen zu den scheinbaren Konzessionen der Rede des Ersten
Lords kurz Stellung zu nehmen, so hält Churchill bei Linienschiffen die Relation
10:16 für diskutabel. Für Kreuzer jeglichen Typs, also auch für Panzer¬
kreuzer, hält er einen höheren Standard -- welchen sagt er nicht -- für not¬
wendig. Hier stock' ich schon. Französische und andere Admiräle haben erklärt,
die Entwicklung des Panzerkreuzers nähere sich der des Linienschiffs in solchem
Maße, daß ein Aufgehen beider Typen in einen nur eine Frage der Zeit sei.


Reichsspiogel

Die Rede des Ersten Lords der englischen Admiralität zerfüllt in zwei
Teile. Der erste Teil enthält seine Ansichten über ein für ihn diskutables
Verhältnis zwischen der englischen und der deutschen Marine. Der zweite Teil
kündigt eine neue Dislokation der englischen Seestreitkräfte an, dergestalt, daß
der Ring der englischen Geschwader um die Nordsee enger und stärker gezogen
werden soll. Ein wirkliches Verständigungsangebot enthält die Rede nicht.
Das bedauern wir. Denn wirkliche Verständigung, selbst wenn auch wir
kleine Opfer bringen müßten, ist das einzig erstrebbare Ziel. Die Hoffnung,
dies Ziel einmal zu erreichen, werden wir auch nach Churchills Rede nicht
aufgeben. Es muß eine Freundschaft möglich sein zwischen zweien, die gerade
und aufrecht ihren Weg gehen und die willens sind, die Hand zur Ver¬
ständigung zu bieten. Wie aber dem einzelnen Menschen im Laufe der Jahr¬
hunderte so viele Rechte zugestanden sind, daß er sich fast täglich in einem
derselben von dem Nachbar verletzt fühlt, so ist auch eine Verständigung zwischen
zwei Nationen, die, ob mit Recht oder Unrecht, jahrelangen Groll gegen ein¬
ander aufgespeichert haben, nicht von heute auf morgen zu erreichen. Vor¬
bedingung, Mißstimmungen zwischen zwei Menschen oder zwei Völkern zu be¬
heben, ist Offenheit. Offenheit rühmt Churchill seiner Rede nach. Wer
Offenheit nicht vertragen kann, entzieht sich selbst den Boden jeder Verständigungs¬
möglichkeit.

Wenn Churchills Rede auch keine greifbaren Angebote macht, so erweckt
doch immerhin die Tatsache Hoffnungen, daß er, wenigstens scheinbar, in bezug
auf die Relation 2:1 Konzessionen macht. Der deutsche Vorschlag, für das
Verhältnis der deutschen zu den englischen Seestreitkräften sei 2:3 eine gesunde
Norm, wird nicht mehr wie noch vor kurzem als Anmaßung bezeichnet. Aller¬
dings wird eine wirkliche Verständigung, die von Dauer ist, nur dann denkbar
sein, wenn beide die wechselseitigen Bedürfnisse allerkennen und nicht als
„Luxus" höhnen, was für Zukunft und Bestand des anderen Staates bittere
Notwendigkeit ist.

Es gibt in Deutschland keine Gruppe und keine Partei, die ehrlicher Ver¬
ständigung nicht zustimmen würde. Nur müssen die Austauschobjekte gleich¬
wertig sein. Wir können nicht politische Konzessionen, d. h. Versprechungen,
die zum Teil in der Luft schweben, eintauschen etwa gegen Wehrmachts-
konzessionen, die mehr als greifbar sein. Das hieße rechnen mit inkommen¬
surablen Größen.

Um im einzelnen zu den scheinbaren Konzessionen der Rede des Ersten
Lords kurz Stellung zu nehmen, so hält Churchill bei Linienschiffen die Relation
10:16 für diskutabel. Für Kreuzer jeglichen Typs, also auch für Panzer¬
kreuzer, hält er einen höheren Standard — welchen sagt er nicht — für not¬
wendig. Hier stock' ich schon. Französische und andere Admiräle haben erklärt,
die Entwicklung des Panzerkreuzers nähere sich der des Linienschiffs in solchem
Maße, daß ein Aufgehen beider Typen in einen nur eine Frage der Zeit sei.


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[0656] Reichsspiogel Die Rede des Ersten Lords der englischen Admiralität zerfüllt in zwei Teile. Der erste Teil enthält seine Ansichten über ein für ihn diskutables Verhältnis zwischen der englischen und der deutschen Marine. Der zweite Teil kündigt eine neue Dislokation der englischen Seestreitkräfte an, dergestalt, daß der Ring der englischen Geschwader um die Nordsee enger und stärker gezogen werden soll. Ein wirkliches Verständigungsangebot enthält die Rede nicht. Das bedauern wir. Denn wirkliche Verständigung, selbst wenn auch wir kleine Opfer bringen müßten, ist das einzig erstrebbare Ziel. Die Hoffnung, dies Ziel einmal zu erreichen, werden wir auch nach Churchills Rede nicht aufgeben. Es muß eine Freundschaft möglich sein zwischen zweien, die gerade und aufrecht ihren Weg gehen und die willens sind, die Hand zur Ver¬ ständigung zu bieten. Wie aber dem einzelnen Menschen im Laufe der Jahr¬ hunderte so viele Rechte zugestanden sind, daß er sich fast täglich in einem derselben von dem Nachbar verletzt fühlt, so ist auch eine Verständigung zwischen zwei Nationen, die, ob mit Recht oder Unrecht, jahrelangen Groll gegen ein¬ ander aufgespeichert haben, nicht von heute auf morgen zu erreichen. Vor¬ bedingung, Mißstimmungen zwischen zwei Menschen oder zwei Völkern zu be¬ heben, ist Offenheit. Offenheit rühmt Churchill seiner Rede nach. Wer Offenheit nicht vertragen kann, entzieht sich selbst den Boden jeder Verständigungs¬ möglichkeit. Wenn Churchills Rede auch keine greifbaren Angebote macht, so erweckt doch immerhin die Tatsache Hoffnungen, daß er, wenigstens scheinbar, in bezug auf die Relation 2:1 Konzessionen macht. Der deutsche Vorschlag, für das Verhältnis der deutschen zu den englischen Seestreitkräften sei 2:3 eine gesunde Norm, wird nicht mehr wie noch vor kurzem als Anmaßung bezeichnet. Aller¬ dings wird eine wirkliche Verständigung, die von Dauer ist, nur dann denkbar sein, wenn beide die wechselseitigen Bedürfnisse allerkennen und nicht als „Luxus" höhnen, was für Zukunft und Bestand des anderen Staates bittere Notwendigkeit ist. Es gibt in Deutschland keine Gruppe und keine Partei, die ehrlicher Ver¬ ständigung nicht zustimmen würde. Nur müssen die Austauschobjekte gleich¬ wertig sein. Wir können nicht politische Konzessionen, d. h. Versprechungen, die zum Teil in der Luft schweben, eintauschen etwa gegen Wehrmachts- konzessionen, die mehr als greifbar sein. Das hieße rechnen mit inkommen¬ surablen Größen. Um im einzelnen zu den scheinbaren Konzessionen der Rede des Ersten Lords kurz Stellung zu nehmen, so hält Churchill bei Linienschiffen die Relation 10:16 für diskutabel. Für Kreuzer jeglichen Typs, also auch für Panzer¬ kreuzer, hält er einen höheren Standard — welchen sagt er nicht — für not¬ wendig. Hier stock' ich schon. Französische und andere Admiräle haben erklärt, die Entwicklung des Panzerkreuzers nähere sich der des Linienschiffs in solchem Maße, daß ein Aufgehen beider Typen in einen nur eine Frage der Zeit sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/656>, abgerufen am 16.05.2024.