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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Fleht.,' und die ältere" Romantiker

hinne besitzt. Wer den Heinrich v. Ofterdingen liest und nur mit den Vor¬
stellungen einer soliden Wirklichkeit rechnet, dein schwindet bald aller Boden
unter den Füßen. Mit einem Traume fängt es an, und in einen Traum löst
sich alles auf. "Wir sind dein Aufwachen nah, wenn wir träumen, daß wir
träumen." "Schmerz und Angst bezeichnen die träumenden Glieder der Seele,
körperliche Lust und Unlust sind Traumprodukte." Den Eindruck eines Träu¬
mender macht der Dichter selbst nach dem Tode seiner Braut. "Seine Augen
blicken wie die eines Geistersehers geradeaus", heißt es in einem Briefe. Sein
ganzes Fühlen und Denken ist denn auch auf die Geisterwelt gerichtet. Da ist
er zu Hause, und wenn sein magischer Idealismus Wirklichkeit wäre, so würde
er ein allmächtiger Zauberer sein. Der Geist soll in seiner Herrschaft über die
Sinnenwelt und Unabhängigkeit von der Natur so weit kommen, um verlorene
Glieder zu restaurieren und ohne vorhergegangenen wirklichen Eindruck Natur-
gedauken hervorzubringen und Naturkompositionen zu entwerfen. Der magische
Idealist kann demnach "Gedanken zu selbständigen, äußerlich vorkommenden
Seele machen und die äußerlichen Dinge in Gedanken verwandeln". Aber es
soll dies keine willkürliche Zauberei sein, sondern der Mensch soll mit wachsender
Kraft des Gewissens die Natur züchtigen und sittlicher machen. "Das System
der Moral mich System der Natur werden", sagt er mit Kant. Und hier berührt
er sich auch mit Fichte. Aber wenn er an solchen Stellen die bloße Denk¬
tätigkeit hervorzuheben scheint, so zeigt sich doch anderwärts, daß ihm das Gefühl
in feiner ganzen Sinnlichkeit als Höchstes gilt: "Das Denken ist nur ein Traum
des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blaßgranes, schwaches Leben." In
der Lust findet Novalis unsere ursprüngliche Existenz, und Vollkommenheit sucht
er in "absoluter, ewiger Luft". Darum beschäftigte er sich auch mit der Reiz¬
lehre des Schotten I. Brown und mit Ritters Galvanisationstheorie. Jene
Lust aber ist weit entfernt von der gewöhnlichen "Lebensluft". Sie strebt nicht
nur dieses Leben bewußt zu vernichten, sondern "die Selbstanflösung des Triebes,
diese Selbstverbrennung der Illusion", das ist das Leben. Es ist ihm aber
auch "das Wollüstige der Befriedigung des Triebes". Er weiß, daß wir in
diesem Leben einen Flug zu beginnen fähig sind, den der Tod, statt ihn zu
unterbrechen, vielmehr beschleunigt.

Die Begeisterung, mit der er sich früh an Schiller anschloß, hielt nicht
stand. Aber von dem Augenblicke an, als er die Wissenschaftslehre in die
Hand bekam, hat Fichte ihn als philosophischer Führer geleitet. Wie sehr er
sich selbst in der trübsten Zeit seines Lebens, als seine Braut starb, mit ihm
beschäftigte, bezeugen uns Tagebuchnotizen von Ende Mai 1797. Im Jahre
vorher war er Fichte auch persönlich näher getreten.

Seine ersten VeröffeiMchungen, die dessen Einfluß zeigen, sind Fragmente
unter dein Titel "Blütenstaub" im Athenäum 1798. Da heißt es u.a.: "Die
höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemäch¬
tigen, das Ich seines Ich zugleich zu sein." Damit ist schon das meiste gesagt-


Fleht.,' und die ältere» Romantiker

hinne besitzt. Wer den Heinrich v. Ofterdingen liest und nur mit den Vor¬
stellungen einer soliden Wirklichkeit rechnet, dein schwindet bald aller Boden
unter den Füßen. Mit einem Traume fängt es an, und in einen Traum löst
sich alles auf. „Wir sind dein Aufwachen nah, wenn wir träumen, daß wir
träumen." „Schmerz und Angst bezeichnen die träumenden Glieder der Seele,
körperliche Lust und Unlust sind Traumprodukte." Den Eindruck eines Träu¬
mender macht der Dichter selbst nach dem Tode seiner Braut. „Seine Augen
blicken wie die eines Geistersehers geradeaus", heißt es in einem Briefe. Sein
ganzes Fühlen und Denken ist denn auch auf die Geisterwelt gerichtet. Da ist
er zu Hause, und wenn sein magischer Idealismus Wirklichkeit wäre, so würde
er ein allmächtiger Zauberer sein. Der Geist soll in seiner Herrschaft über die
Sinnenwelt und Unabhängigkeit von der Natur so weit kommen, um verlorene
Glieder zu restaurieren und ohne vorhergegangenen wirklichen Eindruck Natur-
gedauken hervorzubringen und Naturkompositionen zu entwerfen. Der magische
Idealist kann demnach „Gedanken zu selbständigen, äußerlich vorkommenden
Seele machen und die äußerlichen Dinge in Gedanken verwandeln". Aber es
soll dies keine willkürliche Zauberei sein, sondern der Mensch soll mit wachsender
Kraft des Gewissens die Natur züchtigen und sittlicher machen. „Das System
der Moral mich System der Natur werden", sagt er mit Kant. Und hier berührt
er sich auch mit Fichte. Aber wenn er an solchen Stellen die bloße Denk¬
tätigkeit hervorzuheben scheint, so zeigt sich doch anderwärts, daß ihm das Gefühl
in feiner ganzen Sinnlichkeit als Höchstes gilt: „Das Denken ist nur ein Traum
des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blaßgranes, schwaches Leben." In
der Lust findet Novalis unsere ursprüngliche Existenz, und Vollkommenheit sucht
er in „absoluter, ewiger Luft". Darum beschäftigte er sich auch mit der Reiz¬
lehre des Schotten I. Brown und mit Ritters Galvanisationstheorie. Jene
Lust aber ist weit entfernt von der gewöhnlichen „Lebensluft". Sie strebt nicht
nur dieses Leben bewußt zu vernichten, sondern „die Selbstanflösung des Triebes,
diese Selbstverbrennung der Illusion", das ist das Leben. Es ist ihm aber
auch „das Wollüstige der Befriedigung des Triebes". Er weiß, daß wir in
diesem Leben einen Flug zu beginnen fähig sind, den der Tod, statt ihn zu
unterbrechen, vielmehr beschleunigt.

Die Begeisterung, mit der er sich früh an Schiller anschloß, hielt nicht
stand. Aber von dem Augenblicke an, als er die Wissenschaftslehre in die
Hand bekam, hat Fichte ihn als philosophischer Führer geleitet. Wie sehr er
sich selbst in der trübsten Zeit seines Lebens, als seine Braut starb, mit ihm
beschäftigte, bezeugen uns Tagebuchnotizen von Ende Mai 1797. Im Jahre
vorher war er Fichte auch persönlich näher getreten.

Seine ersten VeröffeiMchungen, die dessen Einfluß zeigen, sind Fragmente
unter dein Titel „Blütenstaub" im Athenäum 1798. Da heißt es u.a.: „Die
höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemäch¬
tigen, das Ich seines Ich zugleich zu sein." Damit ist schon das meiste gesagt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/70>, abgerufen am 15.05.2024.