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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Persiel,

getragen hat, ist nichts als eine Komödie, in der man versuchte, die Schäden
des orientalischen Staates mit europäischer Schminke zu verdecken.

Damit Sie gleich von vornherein einen Begriff von dem Geist bekommen,
nach dem hier regiert und gearbeitet wird, möchte ich Ihnen eine kleine charakte¬
ristische Geschichte erzählen:

Im Sommer 1910 machte der vielgenannte Räuber Neschid Sultan (1911 im
Kampfe gegen Regierungstruppen gefallen) sich wieder einmal besonders unbequem.
Sein Schlupfwinkel war Verarmn, eine antike Burg inmitten eines fruchtbaren,
volkreichen Bezirks, nur 60 Kilometer südöstlich Teheran gelegen. Man munkelte,
daß Reschid Sultan unter der Hand von den Russen unterstützt werde und
sogar einen Handstreich auf Teheran plane. Um dem gefährlichen Manne den
Garaus zu machen, wurde daher eine militärische Expedition abgeschickt. Führer
war ein kaiserlicher Prinz mit dem stolzen Namen: Emir Azäm. In der
Übersetzung heißt das "allererhabenster Feldherr". Wer schon mit einem solchen
Titel auf die Welt kommt, muß doch ein geborener Feldherr fein, oder ich gebe
es auf, überhaupt noch etwas von Titeln zu halten. Der allererhabenste Feld¬
herr verließ also eines Tages mit einer Truppenmacht die Hauptstadt und
erreichte schon am ersten Tage nach ganzen 4 Kilometern Marsch das Königliche
Schloß Dnschan Tepe (östlich Teheran). Hier fand am folgenden Tage eine
glänzende Parade der Truppen -- 600 Mann Infanterie, ZOO Reiter und
einige Gebirgsgeschütze und Maschinengewehre -- statt. Dann setzte sich der
stolze Zug in Bewegung, um für das Vaterland zu siegen oder zu sterben.
Reschid Sultan wich zunächst in die Berge aus, und eine Weile hörte man
nur von unaufhaltsamem Vordringen und siegreichen Gefechten der Regierungs¬
expedition. (Nachher stellte es sich heraus, daß es sich bei diesen Siegen
hauptsächlich um das Ausplündern von Dörfern gehandelt hatte, die vom Feinde
verlassen worden waren. Das ist nämlich immer die Hauptsache bei der per¬
sischen Kriegsführung. Ehe man sich aber recht versah, hatte der Emir Azäm
sich wieder nach Teheran zurückgesiegt. Darob große Entrüstung im Parlament!
Wozu hatte man denn eine streng gerechte, parlamentarische Negierung? Natürlich
durfte die Gerechtigkeit auch vor den höchsten Personen nicht Halt machen. Man
beschloß also, den Emir Azäm vor ein Kriegsgericht zu stellen, und wie die
Stimmung war, gab eigentlich kein Mensch mehr einen Pfifferling für dessen
Leben. Seine Hoheit, über dessen Haupt sich so schwere Wolken zusammen¬
ballten, gehörte aber auch zu den aufgeklärten Leuten und wußte sich die Vor¬
teile der neugewonnenen Freiheit ebenfalls zu nutze zu machen. Noch ehe das
Kriegsgericht zusammentrat, veröffentlichte er in einer Zeitung einen detaillierten
Rechenschaftsbericht. Besonders eingehend schilderte er darin die Hauptschlacht
des Feldzuges. Acht seiner Leute hatten an einem Paß einen ganzen Tag
lang gegen etwa ebenso viele Gegner gefochten. Die Gesamtverluste auf beiden
Seiten waren zwei Tote und ein Verwundeter gewesen. In echt orientalischer
Bescheidenheit vermied es der Bericht, diesen Erfolg und die Verdienste des


Briefe aus Persiel,

getragen hat, ist nichts als eine Komödie, in der man versuchte, die Schäden
des orientalischen Staates mit europäischer Schminke zu verdecken.

Damit Sie gleich von vornherein einen Begriff von dem Geist bekommen,
nach dem hier regiert und gearbeitet wird, möchte ich Ihnen eine kleine charakte¬
ristische Geschichte erzählen:

Im Sommer 1910 machte der vielgenannte Räuber Neschid Sultan (1911 im
Kampfe gegen Regierungstruppen gefallen) sich wieder einmal besonders unbequem.
Sein Schlupfwinkel war Verarmn, eine antike Burg inmitten eines fruchtbaren,
volkreichen Bezirks, nur 60 Kilometer südöstlich Teheran gelegen. Man munkelte,
daß Reschid Sultan unter der Hand von den Russen unterstützt werde und
sogar einen Handstreich auf Teheran plane. Um dem gefährlichen Manne den
Garaus zu machen, wurde daher eine militärische Expedition abgeschickt. Führer
war ein kaiserlicher Prinz mit dem stolzen Namen: Emir Azäm. In der
Übersetzung heißt das „allererhabenster Feldherr". Wer schon mit einem solchen
Titel auf die Welt kommt, muß doch ein geborener Feldherr fein, oder ich gebe
es auf, überhaupt noch etwas von Titeln zu halten. Der allererhabenste Feld¬
herr verließ also eines Tages mit einer Truppenmacht die Hauptstadt und
erreichte schon am ersten Tage nach ganzen 4 Kilometern Marsch das Königliche
Schloß Dnschan Tepe (östlich Teheran). Hier fand am folgenden Tage eine
glänzende Parade der Truppen — 600 Mann Infanterie, ZOO Reiter und
einige Gebirgsgeschütze und Maschinengewehre — statt. Dann setzte sich der
stolze Zug in Bewegung, um für das Vaterland zu siegen oder zu sterben.
Reschid Sultan wich zunächst in die Berge aus, und eine Weile hörte man
nur von unaufhaltsamem Vordringen und siegreichen Gefechten der Regierungs¬
expedition. (Nachher stellte es sich heraus, daß es sich bei diesen Siegen
hauptsächlich um das Ausplündern von Dörfern gehandelt hatte, die vom Feinde
verlassen worden waren. Das ist nämlich immer die Hauptsache bei der per¬
sischen Kriegsführung. Ehe man sich aber recht versah, hatte der Emir Azäm
sich wieder nach Teheran zurückgesiegt. Darob große Entrüstung im Parlament!
Wozu hatte man denn eine streng gerechte, parlamentarische Negierung? Natürlich
durfte die Gerechtigkeit auch vor den höchsten Personen nicht Halt machen. Man
beschloß also, den Emir Azäm vor ein Kriegsgericht zu stellen, und wie die
Stimmung war, gab eigentlich kein Mensch mehr einen Pfifferling für dessen
Leben. Seine Hoheit, über dessen Haupt sich so schwere Wolken zusammen¬
ballten, gehörte aber auch zu den aufgeklärten Leuten und wußte sich die Vor¬
teile der neugewonnenen Freiheit ebenfalls zu nutze zu machen. Noch ehe das
Kriegsgericht zusammentrat, veröffentlichte er in einer Zeitung einen detaillierten
Rechenschaftsbericht. Besonders eingehend schilderte er darin die Hauptschlacht
des Feldzuges. Acht seiner Leute hatten an einem Paß einen ganzen Tag
lang gegen etwa ebenso viele Gegner gefochten. Die Gesamtverluste auf beiden
Seiten waren zwei Tote und ein Verwundeter gewesen. In echt orientalischer
Bescheidenheit vermied es der Bericht, diesen Erfolg und die Verdienste des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/83>, abgerufen am 16.05.2024.