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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lark Hauptmann

Jahve mit dem starken Finger seiner Hand sein lauteres Wort gegraben hat. Er
bezwingt die Menge dann auf der Höhe des Dramas, schleudert ihr den Fluch
einer vierzigjährigen Wanderung als Strafe zu und ist von nun an wirklich der
Herr, der sie nicht ins, aber ans gelobte Land geleitet.

In prachtvollen Bildern steigt dieses große Geschehnis vor uns auf, in
Worten, die den Bibelklang nicht verleugnen, ohne doch mit ihm zu spielen; von
dem düsteren Bilde der Hütte im ägyptischen Lande, der die Sippe Mosis und
Arons entflieht, bis zu der stillen Höhe mit dem Ausblick nach Kanaan reiht sich
eine feine Szene an die andere, steigert sich der dramatische Gang und läßt nur
einmal, im vierten, dem schwächsten Auszug, nach, der gewissermaßen eine lyrische
Ruhepause bedeutet.

Man durfte diese volle dramatische Gabe, die leider wenig und von den
Bühnen gar nicht beachtet worden ist, kaum von Carl Hauptmann erwarten, denn
seine früheren dramatischen Dichtungen sind mehr Stimmungs- als Kampfbilder.
In "Des Königs Harfe" (1903) war das meiste flächenhaft geblieben, hatte offenbar
lyrischen Klang, ja, das Drama war geradezu die lyrische Auseinandersetzung mit
dem Königsproblem, das in den letzten Jahrzehnten so viele unserer Dramatiker
vom spielerischen Thesenstück bis zum tragischen Katastrophendrama beschäftigt hat.
Nicht nach der Lyrik, sondern nach der Epik hin neigten Hauptmanns erste Dramen,
die "Marianne" (1894) ein dramatisierter Roman, nicht notwendigerweise gerade
in drei Aufzüge gepreßt. In keinem dieser ersten Dramen hatte die Kraft zur
vollen Vergegenständlichung ausgereicht, auch nicht in den stark naturalistischen
"Waldleuten" (1895) oder in dem Dorfdrama "Ephraims Breite" (1898). Un¬
verkennbar aber war überall der Zug nach innen, und es ist typisch, wie Breite,
der Bauerntochter, aus sinnlicher Flammenglut endlich in einer qualvollen Nacht
der große innere Sieg über das heiße Blut gelingt. Der Lebensdruck wird immer
wieder in gefestigter Seele still und einsam bezwungen. Daneben aber gelang es
Carl Hauptmann gerade in einzelnen seiner Dramen, Naturstimmnngen mit un°
gemeiner Stärke aufzufangen:


Mein Gott! Auf Bergeshöhnl Auf Bergeshöhn,
Wenn längst im Dämmern milchigen Opals
Die Täter schlafen, , . Wenn um stille Felsen
Die Naben einsam krächzen. . , . Hinter weiten,
Blauveilchenfarben Erdenwogen langsam
Die Sonne sinken sehn! -- Und lautlos schweigen.
Bis nur ein tief, tiefreiner, goldner Himmel,
Verlassen von der Sonne Strahlenauge,
Sich über dunklen Erdenhügeln wölbt,
Nur noch ein bronznes Wölkchen träumend weht. . .
Der bleiche Abendstern sein Blinken zündet. . ,
Und schauerlich aus öden Felsenklüften
Die letzte Sonnenwärme frierend aufsucht,
Dem Lichte nach in seine Strahlenreiche. , ,
Und wer es einmal sah, vergißt es nimmer
Und gab ein Leben, wenn er's lang entbehrt.

Lark Hauptmann

Jahve mit dem starken Finger seiner Hand sein lauteres Wort gegraben hat. Er
bezwingt die Menge dann auf der Höhe des Dramas, schleudert ihr den Fluch
einer vierzigjährigen Wanderung als Strafe zu und ist von nun an wirklich der
Herr, der sie nicht ins, aber ans gelobte Land geleitet.

In prachtvollen Bildern steigt dieses große Geschehnis vor uns auf, in
Worten, die den Bibelklang nicht verleugnen, ohne doch mit ihm zu spielen; von
dem düsteren Bilde der Hütte im ägyptischen Lande, der die Sippe Mosis und
Arons entflieht, bis zu der stillen Höhe mit dem Ausblick nach Kanaan reiht sich
eine feine Szene an die andere, steigert sich der dramatische Gang und läßt nur
einmal, im vierten, dem schwächsten Auszug, nach, der gewissermaßen eine lyrische
Ruhepause bedeutet.

Man durfte diese volle dramatische Gabe, die leider wenig und von den
Bühnen gar nicht beachtet worden ist, kaum von Carl Hauptmann erwarten, denn
seine früheren dramatischen Dichtungen sind mehr Stimmungs- als Kampfbilder.
In „Des Königs Harfe" (1903) war das meiste flächenhaft geblieben, hatte offenbar
lyrischen Klang, ja, das Drama war geradezu die lyrische Auseinandersetzung mit
dem Königsproblem, das in den letzten Jahrzehnten so viele unserer Dramatiker
vom spielerischen Thesenstück bis zum tragischen Katastrophendrama beschäftigt hat.
Nicht nach der Lyrik, sondern nach der Epik hin neigten Hauptmanns erste Dramen,
die „Marianne" (1894) ein dramatisierter Roman, nicht notwendigerweise gerade
in drei Aufzüge gepreßt. In keinem dieser ersten Dramen hatte die Kraft zur
vollen Vergegenständlichung ausgereicht, auch nicht in den stark naturalistischen
„Waldleuten" (1895) oder in dem Dorfdrama „Ephraims Breite" (1898). Un¬
verkennbar aber war überall der Zug nach innen, und es ist typisch, wie Breite,
der Bauerntochter, aus sinnlicher Flammenglut endlich in einer qualvollen Nacht
der große innere Sieg über das heiße Blut gelingt. Der Lebensdruck wird immer
wieder in gefestigter Seele still und einsam bezwungen. Daneben aber gelang es
Carl Hauptmann gerade in einzelnen seiner Dramen, Naturstimmnngen mit un°
gemeiner Stärke aufzufangen:


Mein Gott! Auf Bergeshöhnl Auf Bergeshöhn,
Wenn längst im Dämmern milchigen Opals
Die Täter schlafen, , . Wenn um stille Felsen
Die Naben einsam krächzen. . , . Hinter weiten,
Blauveilchenfarben Erdenwogen langsam
Die Sonne sinken sehn! — Und lautlos schweigen.
Bis nur ein tief, tiefreiner, goldner Himmel,
Verlassen von der Sonne Strahlenauge,
Sich über dunklen Erdenhügeln wölbt,
Nur noch ein bronznes Wölkchen träumend weht. . .
Der bleiche Abendstern sein Blinken zündet. . ,
Und schauerlich aus öden Felsenklüften
Die letzte Sonnenwärme frierend aufsucht,
Dem Lichte nach in seine Strahlenreiche. , ,
Und wer es einmal sah, vergißt es nimmer
Und gab ein Leben, wenn er's lang entbehrt.

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[0092] Lark Hauptmann Jahve mit dem starken Finger seiner Hand sein lauteres Wort gegraben hat. Er bezwingt die Menge dann auf der Höhe des Dramas, schleudert ihr den Fluch einer vierzigjährigen Wanderung als Strafe zu und ist von nun an wirklich der Herr, der sie nicht ins, aber ans gelobte Land geleitet. In prachtvollen Bildern steigt dieses große Geschehnis vor uns auf, in Worten, die den Bibelklang nicht verleugnen, ohne doch mit ihm zu spielen; von dem düsteren Bilde der Hütte im ägyptischen Lande, der die Sippe Mosis und Arons entflieht, bis zu der stillen Höhe mit dem Ausblick nach Kanaan reiht sich eine feine Szene an die andere, steigert sich der dramatische Gang und läßt nur einmal, im vierten, dem schwächsten Auszug, nach, der gewissermaßen eine lyrische Ruhepause bedeutet. Man durfte diese volle dramatische Gabe, die leider wenig und von den Bühnen gar nicht beachtet worden ist, kaum von Carl Hauptmann erwarten, denn seine früheren dramatischen Dichtungen sind mehr Stimmungs- als Kampfbilder. In „Des Königs Harfe" (1903) war das meiste flächenhaft geblieben, hatte offenbar lyrischen Klang, ja, das Drama war geradezu die lyrische Auseinandersetzung mit dem Königsproblem, das in den letzten Jahrzehnten so viele unserer Dramatiker vom spielerischen Thesenstück bis zum tragischen Katastrophendrama beschäftigt hat. Nicht nach der Lyrik, sondern nach der Epik hin neigten Hauptmanns erste Dramen, die „Marianne" (1894) ein dramatisierter Roman, nicht notwendigerweise gerade in drei Aufzüge gepreßt. In keinem dieser ersten Dramen hatte die Kraft zur vollen Vergegenständlichung ausgereicht, auch nicht in den stark naturalistischen „Waldleuten" (1895) oder in dem Dorfdrama „Ephraims Breite" (1898). Un¬ verkennbar aber war überall der Zug nach innen, und es ist typisch, wie Breite, der Bauerntochter, aus sinnlicher Flammenglut endlich in einer qualvollen Nacht der große innere Sieg über das heiße Blut gelingt. Der Lebensdruck wird immer wieder in gefestigter Seele still und einsam bezwungen. Daneben aber gelang es Carl Hauptmann gerade in einzelnen seiner Dramen, Naturstimmnngen mit un° gemeiner Stärke aufzufangen: Mein Gott! Auf Bergeshöhnl Auf Bergeshöhn, Wenn längst im Dämmern milchigen Opals Die Täter schlafen, , . Wenn um stille Felsen Die Naben einsam krächzen. . , . Hinter weiten, Blauveilchenfarben Erdenwogen langsam Die Sonne sinken sehn! — Und lautlos schweigen. Bis nur ein tief, tiefreiner, goldner Himmel, Verlassen von der Sonne Strahlenauge, Sich über dunklen Erdenhügeln wölbt, Nur noch ein bronznes Wölkchen träumend weht. . . Der bleiche Abendstern sein Blinken zündet. . , Und schauerlich aus öden Felsenklüften Die letzte Sonnenwärme frierend aufsucht, Dem Lichte nach in seine Strahlenreiche. , , Und wer es einmal sah, vergißt es nimmer Und gab ein Leben, wenn er's lang entbehrt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/92>, abgerufen am 15.05.2024.