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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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von unserer lieben Muttersprache

Sind folgende Sätze einer gut geschriebenen Zeitung zu tadeln: "Bei der
Insel Thasos kamen feindliche Kriegsschiffe an die Küste heran, manövrierten
längs derselben und fuhren dann weiter." "Vor dem Verhör und während
desselben hatte er eine große Aufregung an den Tag gelegt"? Kann
es jemanden stören, wenn auf einem Konzertprogramm steht: "Während
der Vorträge ist der Eintritt in den Saal sowie das Verlassen des¬
selben nicht gestattet"? Bei Goethe, der in "Dichtung und Wahrheit" recht
oft "derselbe" schreibt, findet sich z.B.: "Der Abgesandte brachte einen schön
gedrechselten hölzernen Pokal, mit Pfeffer angefüllt. Über demselben lag ein
Paar Handschuhe." Goethe hat wohl absichtlich nicht gesagt: "über ihm";
denn man hätte bei "ihm" eher an eine Person, also hier den Abgesandten,
denken können. Auch den Satz von W. von Humboldt: "So wichtig die Geistes-
freiheit, so schädlich jede Einschränkung derselben" kann ich nicht tadelnswert
finden. In allen diesen Fällen, die sich leicht noch sehr vermehren ließen,
wurde "derselbe" nicht ohne Grund geschrieben. Die Sätze hätten ja wohl
auch anders gefaßt werden können, aber wozu eine andere Fassung suchen,
wenn die eine sich bequem darbietet?

Bismarck, den Engel als Stilisten mit Recht sehr hoch stellt, hat in der
berühmten Emser Depesche das verhängnisvolle Wort gebraucht, indem er schrieb:
"Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Bot¬
schafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom
Dienst sagen lassen, daß Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen
habe." Das "demselben" wird (zum Glück für Bismarck!) hier durch den
Nachdruck entschuldigt, der in dem Worte liegen soll. Also gibt es doch Fälle,
wo es entschuldbar ist! Bismarck hat aber das Wort öfters, nicht nur ver¬
einzelt, angewendet. Und wie oft findet es sich bei Lessing und anderen! Nach
Engel ist "derselbe" reif zum Abschütteln vom Baum der Sprache. Geschüttelt
ist ja schon; warten wir nun, bis es fällt!

Andere Dinge scheinen mir viel wichtiger und für unsere Sprache geradezu
schädlich zu sein, z. B. jene von Engel gebührend gegeißelten Stopf- und Schachtel¬
sätze, denen unsere Wortstellung großen Vorschub leistet. "Die preußische Klassen¬
lotterie wird sich bei der bei der Bevölkerung herrschenden Abneigung nur
schwer einleben." "Hauptmann F., der. sich den von den acht dem Blutbad
entronnenen Senegalschützen überbrachten Nachrichten zufolge ohne alle Marsch¬
sicherung in unbekanntem Lande bewegt hat, wurde überfallen" usw. Diese
Sätzchen, die sich mir zufällig darboten, lassen wenigstens ahnen, was auf dem
Gebiet des Stopf- oder Wurststils in unserer lieben Muttersprache geleistet
und - - gesündigt wird. Die Palme gebührt einem Rechtsanwalt für folgendes
Klagebegehren (mitgeteilt von Moskowski): "Das Gericht wolle erkennen, der
Beklagte sei schuldig, mir für die von mir für ihn an die in dem von ihm
zur Bearbeitung übernommenen Steinbruche beschäftigt gewesenen Arbeiter vor-
geschossenen Arbeitslöhne Ersatz zu leisten."




von unserer lieben Muttersprache

Sind folgende Sätze einer gut geschriebenen Zeitung zu tadeln: „Bei der
Insel Thasos kamen feindliche Kriegsschiffe an die Küste heran, manövrierten
längs derselben und fuhren dann weiter." „Vor dem Verhör und während
desselben hatte er eine große Aufregung an den Tag gelegt"? Kann
es jemanden stören, wenn auf einem Konzertprogramm steht: „Während
der Vorträge ist der Eintritt in den Saal sowie das Verlassen des¬
selben nicht gestattet"? Bei Goethe, der in „Dichtung und Wahrheit" recht
oft „derselbe" schreibt, findet sich z.B.: „Der Abgesandte brachte einen schön
gedrechselten hölzernen Pokal, mit Pfeffer angefüllt. Über demselben lag ein
Paar Handschuhe." Goethe hat wohl absichtlich nicht gesagt: „über ihm";
denn man hätte bei „ihm" eher an eine Person, also hier den Abgesandten,
denken können. Auch den Satz von W. von Humboldt: „So wichtig die Geistes-
freiheit, so schädlich jede Einschränkung derselben" kann ich nicht tadelnswert
finden. In allen diesen Fällen, die sich leicht noch sehr vermehren ließen,
wurde „derselbe" nicht ohne Grund geschrieben. Die Sätze hätten ja wohl
auch anders gefaßt werden können, aber wozu eine andere Fassung suchen,
wenn die eine sich bequem darbietet?

Bismarck, den Engel als Stilisten mit Recht sehr hoch stellt, hat in der
berühmten Emser Depesche das verhängnisvolle Wort gebraucht, indem er schrieb:
„Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Bot¬
schafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom
Dienst sagen lassen, daß Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen
habe." Das „demselben" wird (zum Glück für Bismarck!) hier durch den
Nachdruck entschuldigt, der in dem Worte liegen soll. Also gibt es doch Fälle,
wo es entschuldbar ist! Bismarck hat aber das Wort öfters, nicht nur ver¬
einzelt, angewendet. Und wie oft findet es sich bei Lessing und anderen! Nach
Engel ist „derselbe" reif zum Abschütteln vom Baum der Sprache. Geschüttelt
ist ja schon; warten wir nun, bis es fällt!

Andere Dinge scheinen mir viel wichtiger und für unsere Sprache geradezu
schädlich zu sein, z. B. jene von Engel gebührend gegeißelten Stopf- und Schachtel¬
sätze, denen unsere Wortstellung großen Vorschub leistet. „Die preußische Klassen¬
lotterie wird sich bei der bei der Bevölkerung herrschenden Abneigung nur
schwer einleben." „Hauptmann F., der. sich den von den acht dem Blutbad
entronnenen Senegalschützen überbrachten Nachrichten zufolge ohne alle Marsch¬
sicherung in unbekanntem Lande bewegt hat, wurde überfallen" usw. Diese
Sätzchen, die sich mir zufällig darboten, lassen wenigstens ahnen, was auf dem
Gebiet des Stopf- oder Wurststils in unserer lieben Muttersprache geleistet
und - - gesündigt wird. Die Palme gebührt einem Rechtsanwalt für folgendes
Klagebegehren (mitgeteilt von Moskowski): „Das Gericht wolle erkennen, der
Beklagte sei schuldig, mir für die von mir für ihn an die in dem von ihm
zur Bearbeitung übernommenen Steinbruche beschäftigt gewesenen Arbeiter vor-
geschossenen Arbeitslöhne Ersatz zu leisten."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/151>, abgerufen am 17.06.2024.