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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ulcißgeblichcs und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

es also nicht rechtlos dastehen. An Stelle der
bisherigen, zum Teil sehr kurzen Verjährungs¬
fristen der kantonalen Stechte tritt die ein¬
jährige Klngefrist für Ansprüche gegenüber
dem außerehelichen Vater; auch für möglichst
rasche materielle Hilfe für Mutter und Kind
wird vorgesorgt. Wird die Vaterschaft glaub¬
haft gemacht, und befindet sich die Mutter in
Not, so kann der Richter den Vater auch ohne
den Nachweis, daß der Anspruch gefährdet sei,
schon bor dem Urteil anhalten, die unerlä߬
lichen .Kosten der Entbindung und des Unter¬
halts des Kindes für die ersten drei Monate
nach der Geburt sicher zu stellen. Bon hoher
Wichtigkeit muß ferner jedem Praktiker, der
weiß, wie oft der außereheliche Vater durch
Wegzug in eine andere Stadt oder in ein
anderes Land, besonders nach Frankreich, sich
der Zahlungspflicht zu entziehen und eine
Klage zu verhindern oder zu erschweren sucht,
die Norm des neuen Rechts erscheinen, daß
die Klage c^egen den außerehelichen Vater
nicht nur an seinem Wohnort, sondern auch
beim Richter am schweizerischen Wohnort der
klagenden Partei gestattet wird. Ebenso schafft
das neue schweizerische Recht den Gerichtsstand
der Heimat für Vaterschaftsklagen. Gegen
einen Schweizer, der im Auslande wohnt,
kann die Klage, wenn Mutter und Kind eben¬
falls im Auslande ihren Wohnsitz haben, beim
Richter seines Heimatsorts angebracht werden.
Nur .unzüchtiger Lebenswandel der Mutter'
zur Zeit der Geburt schließt die Vaterschafts¬
klage aus. Jedes außereheliche Kind erhält
bald nach der Geburt einen Beistand. Der
Beistand wird nach Durchführung der Klage
oder nach Ablauf der Klagefrist durch einen
Bormund ersetzt, wenn die Vormundschafts¬
behörde es nicht für angezeigt erachtet, das
Kind unter die elterliche Gewalt der Mutter
oder des Vaters zu stellen. Eine Zusprechung
des Kindes an den außerehelichen Vater mit
Standesrechten erfolgt auf Begehren des Klä¬
gers, wenn der Bater der Mutter die Ehe
versprochen oder sich mit der Beiwohnung an
ihr eines Verbrechens schuldig gemacht oder
die ihm zustehende Gewalt mißbraucht hat.
Gegenüber einem Ehemanne ist dieZusPrechung
mit Standesfolgen ausgeschlossen, wenn er

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zur Zeit der Beiwohnung schon verheiratet
war. In- Falle einer Anerkennung oder ge¬
richtlichen Zusprechung erhält das Kind auch
ein, wenn auch beschränktes Erbrecht gegen¬
über der väterlichen Verwandtschaft. Ani dem
außerehelichen Kinde auch die Absolvierung
einer rechten Berufslehre zu erleichtern, wird
die Alimentationspflicht des außerehelichen
Vaters künftig bis zum achtzehnten Altersjahr
des Kindes festgesetzt. Andern sich später die
Verhältnisse des außerehelichen Vaters, so kann
der Richter die Höhe des Beitrages nach¬
träglich abändern. Gelangt der Vater also
nachträglich zu größerem Einkommen und Ver¬
mögen, während ihm zur Zeit der Vater¬
schaftsklage nur eine bescheidene Existenz be-
schieden war, so ist auf Klage des Kindes der
Alimentationsbeitrag den Verhältnissen des
Vaters entsprechend zu erhöhen I"

Bedenkt man, daß unser bürgerliches Gesetz¬
buch den Alimentationsbeitrag nicht nach dem
sozialen Stand des außerehelichen Vaters,
sondern höchst unsozial und höchst klassenjustiz¬
mäßig nach dem Stand der Mutter festsetzt
und dadurch den Makel der unehelichen Geburt
gesetzlich sanktioniert, erwägt man ferner, daß
die Säuglingssterblichkeit unter den unehelich
geborenen Kindern in Deutschland fast doppelt
so groß ist wie unter den ehelich geborenen
Kindern, zieht man ferner in Betracht, daß
die Zahl der Heeresuntauglichen unter den
unehelich Geborenen unverhältnismäßig groß
ist, stellt man endlich in Rechnung, daß trotz
dieser Dozimierung der unehelich Geborenen
die Zahl der unehelich geborenen prostituierten
Dirnen und der unehelich geborenen jungen
und alten Verbrecher im Verhältnis immer
noch eine sehr große ist, so wird man dem
Verfasser, der als Zivilgerichtspräsident in
Basel deutsche, schweizerische und französische
Verhältnisse als Praktiker überschaut, danken
müssen, daß er durch diese seine vergleichende
Rechtsstudie den sozialen Fortschritt vorbildlich
dort aufweist, wo er zu suchen und wo er
am nötigsten ist. Die soziale Fürsorge der
deutschen Rechtsgesetzgebung für die unehelich
geborenen Glieder unseres Volkes ist einer
der wundesten Punkte unseres Volkskörpers.

Heinrich Reuß [Ende Spaltensatz]


Ulcißgeblichcs und Unmaßgebliches

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es also nicht rechtlos dastehen. An Stelle der
bisherigen, zum Teil sehr kurzen Verjährungs¬
fristen der kantonalen Stechte tritt die ein¬
jährige Klngefrist für Ansprüche gegenüber
dem außerehelichen Vater; auch für möglichst
rasche materielle Hilfe für Mutter und Kind
wird vorgesorgt. Wird die Vaterschaft glaub¬
haft gemacht, und befindet sich die Mutter in
Not, so kann der Richter den Vater auch ohne
den Nachweis, daß der Anspruch gefährdet sei,
schon bor dem Urteil anhalten, die unerlä߬
lichen .Kosten der Entbindung und des Unter¬
halts des Kindes für die ersten drei Monate
nach der Geburt sicher zu stellen. Bon hoher
Wichtigkeit muß ferner jedem Praktiker, der
weiß, wie oft der außereheliche Vater durch
Wegzug in eine andere Stadt oder in ein
anderes Land, besonders nach Frankreich, sich
der Zahlungspflicht zu entziehen und eine
Klage zu verhindern oder zu erschweren sucht,
die Norm des neuen Rechts erscheinen, daß
die Klage c^egen den außerehelichen Vater
nicht nur an seinem Wohnort, sondern auch
beim Richter am schweizerischen Wohnort der
klagenden Partei gestattet wird. Ebenso schafft
das neue schweizerische Recht den Gerichtsstand
der Heimat für Vaterschaftsklagen. Gegen
einen Schweizer, der im Auslande wohnt,
kann die Klage, wenn Mutter und Kind eben¬
falls im Auslande ihren Wohnsitz haben, beim
Richter seines Heimatsorts angebracht werden.
Nur .unzüchtiger Lebenswandel der Mutter'
zur Zeit der Geburt schließt die Vaterschafts¬
klage aus. Jedes außereheliche Kind erhält
bald nach der Geburt einen Beistand. Der
Beistand wird nach Durchführung der Klage
oder nach Ablauf der Klagefrist durch einen
Bormund ersetzt, wenn die Vormundschafts¬
behörde es nicht für angezeigt erachtet, das
Kind unter die elterliche Gewalt der Mutter
oder des Vaters zu stellen. Eine Zusprechung
des Kindes an den außerehelichen Vater mit
Standesrechten erfolgt auf Begehren des Klä¬
gers, wenn der Bater der Mutter die Ehe
versprochen oder sich mit der Beiwohnung an
ihr eines Verbrechens schuldig gemacht oder
die ihm zustehende Gewalt mißbraucht hat.
Gegenüber einem Ehemanne ist dieZusPrechung
mit Standesfolgen ausgeschlossen, wenn er

[Spaltenumbruch]

zur Zeit der Beiwohnung schon verheiratet
war. In- Falle einer Anerkennung oder ge¬
richtlichen Zusprechung erhält das Kind auch
ein, wenn auch beschränktes Erbrecht gegen¬
über der väterlichen Verwandtschaft. Ani dem
außerehelichen Kinde auch die Absolvierung
einer rechten Berufslehre zu erleichtern, wird
die Alimentationspflicht des außerehelichen
Vaters künftig bis zum achtzehnten Altersjahr
des Kindes festgesetzt. Andern sich später die
Verhältnisse des außerehelichen Vaters, so kann
der Richter die Höhe des Beitrages nach¬
träglich abändern. Gelangt der Vater also
nachträglich zu größerem Einkommen und Ver¬
mögen, während ihm zur Zeit der Vater¬
schaftsklage nur eine bescheidene Existenz be-
schieden war, so ist auf Klage des Kindes der
Alimentationsbeitrag den Verhältnissen des
Vaters entsprechend zu erhöhen I"

Bedenkt man, daß unser bürgerliches Gesetz¬
buch den Alimentationsbeitrag nicht nach dem
sozialen Stand des außerehelichen Vaters,
sondern höchst unsozial und höchst klassenjustiz¬
mäßig nach dem Stand der Mutter festsetzt
und dadurch den Makel der unehelichen Geburt
gesetzlich sanktioniert, erwägt man ferner, daß
die Säuglingssterblichkeit unter den unehelich
geborenen Kindern in Deutschland fast doppelt
so groß ist wie unter den ehelich geborenen
Kindern, zieht man ferner in Betracht, daß
die Zahl der Heeresuntauglichen unter den
unehelich Geborenen unverhältnismäßig groß
ist, stellt man endlich in Rechnung, daß trotz
dieser Dozimierung der unehelich Geborenen
die Zahl der unehelich geborenen prostituierten
Dirnen und der unehelich geborenen jungen
und alten Verbrecher im Verhältnis immer
noch eine sehr große ist, so wird man dem
Verfasser, der als Zivilgerichtspräsident in
Basel deutsche, schweizerische und französische
Verhältnisse als Praktiker überschaut, danken
müssen, daß er durch diese seine vergleichende
Rechtsstudie den sozialen Fortschritt vorbildlich
dort aufweist, wo er zu suchen und wo er
am nötigsten ist. Die soziale Fürsorge der
deutschen Rechtsgesetzgebung für die unehelich
geborenen Glieder unseres Volkes ist einer
der wundesten Punkte unseres Volkskörpers.

Heinrich Reuß [Ende Spaltensatz]


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[0155] Ulcißgeblichcs und Unmaßgebliches es also nicht rechtlos dastehen. An Stelle der bisherigen, zum Teil sehr kurzen Verjährungs¬ fristen der kantonalen Stechte tritt die ein¬ jährige Klngefrist für Ansprüche gegenüber dem außerehelichen Vater; auch für möglichst rasche materielle Hilfe für Mutter und Kind wird vorgesorgt. Wird die Vaterschaft glaub¬ haft gemacht, und befindet sich die Mutter in Not, so kann der Richter den Vater auch ohne den Nachweis, daß der Anspruch gefährdet sei, schon bor dem Urteil anhalten, die unerlä߬ lichen .Kosten der Entbindung und des Unter¬ halts des Kindes für die ersten drei Monate nach der Geburt sicher zu stellen. Bon hoher Wichtigkeit muß ferner jedem Praktiker, der weiß, wie oft der außereheliche Vater durch Wegzug in eine andere Stadt oder in ein anderes Land, besonders nach Frankreich, sich der Zahlungspflicht zu entziehen und eine Klage zu verhindern oder zu erschweren sucht, die Norm des neuen Rechts erscheinen, daß die Klage c^egen den außerehelichen Vater nicht nur an seinem Wohnort, sondern auch beim Richter am schweizerischen Wohnort der klagenden Partei gestattet wird. Ebenso schafft das neue schweizerische Recht den Gerichtsstand der Heimat für Vaterschaftsklagen. Gegen einen Schweizer, der im Auslande wohnt, kann die Klage, wenn Mutter und Kind eben¬ falls im Auslande ihren Wohnsitz haben, beim Richter seines Heimatsorts angebracht werden. Nur .unzüchtiger Lebenswandel der Mutter' zur Zeit der Geburt schließt die Vaterschafts¬ klage aus. Jedes außereheliche Kind erhält bald nach der Geburt einen Beistand. Der Beistand wird nach Durchführung der Klage oder nach Ablauf der Klagefrist durch einen Bormund ersetzt, wenn die Vormundschafts¬ behörde es nicht für angezeigt erachtet, das Kind unter die elterliche Gewalt der Mutter oder des Vaters zu stellen. Eine Zusprechung des Kindes an den außerehelichen Vater mit Standesrechten erfolgt auf Begehren des Klä¬ gers, wenn der Bater der Mutter die Ehe versprochen oder sich mit der Beiwohnung an ihr eines Verbrechens schuldig gemacht oder die ihm zustehende Gewalt mißbraucht hat. Gegenüber einem Ehemanne ist dieZusPrechung mit Standesfolgen ausgeschlossen, wenn er zur Zeit der Beiwohnung schon verheiratet war. In- Falle einer Anerkennung oder ge¬ richtlichen Zusprechung erhält das Kind auch ein, wenn auch beschränktes Erbrecht gegen¬ über der väterlichen Verwandtschaft. Ani dem außerehelichen Kinde auch die Absolvierung einer rechten Berufslehre zu erleichtern, wird die Alimentationspflicht des außerehelichen Vaters künftig bis zum achtzehnten Altersjahr des Kindes festgesetzt. Andern sich später die Verhältnisse des außerehelichen Vaters, so kann der Richter die Höhe des Beitrages nach¬ träglich abändern. Gelangt der Vater also nachträglich zu größerem Einkommen und Ver¬ mögen, während ihm zur Zeit der Vater¬ schaftsklage nur eine bescheidene Existenz be- schieden war, so ist auf Klage des Kindes der Alimentationsbeitrag den Verhältnissen des Vaters entsprechend zu erhöhen I" Bedenkt man, daß unser bürgerliches Gesetz¬ buch den Alimentationsbeitrag nicht nach dem sozialen Stand des außerehelichen Vaters, sondern höchst unsozial und höchst klassenjustiz¬ mäßig nach dem Stand der Mutter festsetzt und dadurch den Makel der unehelichen Geburt gesetzlich sanktioniert, erwägt man ferner, daß die Säuglingssterblichkeit unter den unehelich geborenen Kindern in Deutschland fast doppelt so groß ist wie unter den ehelich geborenen Kindern, zieht man ferner in Betracht, daß die Zahl der Heeresuntauglichen unter den unehelich Geborenen unverhältnismäßig groß ist, stellt man endlich in Rechnung, daß trotz dieser Dozimierung der unehelich Geborenen die Zahl der unehelich geborenen prostituierten Dirnen und der unehelich geborenen jungen und alten Verbrecher im Verhältnis immer noch eine sehr große ist, so wird man dem Verfasser, der als Zivilgerichtspräsident in Basel deutsche, schweizerische und französische Verhältnisse als Praktiker überschaut, danken müssen, daß er durch diese seine vergleichende Rechtsstudie den sozialen Fortschritt vorbildlich dort aufweist, wo er zu suchen und wo er am nötigsten ist. Die soziale Fürsorge der deutschen Rechtsgesetzgebung für die unehelich geborenen Glieder unseres Volkes ist einer der wundesten Punkte unseres Volkskörpers. Heinrich Reuß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/155>, abgerufen am 17.06.2024.