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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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malerischen Andeutungen für die gegenständlichen und plastischen Einzelheiten
begnügte. So blieb die individuelle Ausgestaltung des Raumes nach den
Bedürfnissen der Handlung, die sich in ihm abspielte, und seine Füllung mit
plastischen Einzelheiten in der Hauptsache der Phantasie des Zuschauers über¬
lassen, der jene mageren Andeutungen genügen mußten und -- genügten.

Mitten in dem so ausgestalteten Raume aber stehen nun die handelnden
Personen der Dichtung und besitzen die runde, dreidimensionale Plastik in
Wirklichkeit, die den raumfüllenden Einzelheiten die Phantasie leiht. Es könnte
der Gedanke naheliegen, daß dieser Gegensatz sich in der Einheitlichkeit des
Bühnenbildes störend bemerkbar machen und die Illusion vernichten möchte.
Dieser Gedanke ist zum Teil später für die selbständige, naturalistische Behandlung
des Details der leitende gewesen. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall.
In der Bühnenaufführung soll sich das volle Interesse des Zuschauers auf die
Handlung und die volle Plastik ihrer tragenden Personen konzentrieren. Auf
ihnen ruht die Hauptmacht des ästhetischen Interesses. Es genügt daher voll¬
ständig, wenn sie allein rund und voll im Raum stehen und wenn alle sie
umgebenden Einzelheiten lediglich durch Andeutungen für die Phantasie repräsentiert
sind, so daß diese sie nach Bedürfnis ergreifen und plastisch ausgestalten kann.
Die bloß illusionistische Plastik der Einzelheiten steht der wirklichen Plastik der
Bühnenfignren im Grade nach, sie wird aber in ihrer Art als die notwendige
räumliche Füllung zwischen den plastischen Figuren und dem umgebenden Raume
ihrer Aufgabe völlig gerecht.

Eine solche Verbindung zwischen den Figuren und dem Bühnenraume ist
jedoch notwendig. Denn auch die Figuren und ihre Plastik müssen sich dem¬
selben dekorativen Grundgesetz unterordnen, dein der ganze Bühnenraum folgt,
sie müssen auf Ansicht gearbeitet, nach vorne orientiert sein. Allerdings bedeutet
dieses Gesetz nur in beschränktem Maße eine Vorschrift für deu Dramatiker.
Er darf etwa seine Hauptfiguren uicht dazu zwingen, ihre wichtigsten Hand¬
lungen im Hintergrunde der Bühne auszuführen, wenn nicht schwerwiegende
ästhetische Gründe dafür maßgebend sind (Teils Apfelschuß, Geßlers Erschießung).
In erster Reihe bedeutet jener dekorative Grundsatz eine Vorschrift für den
Schailspieler. Er muß seine Gestalten "auf Vorderansicht" arbeiten und sie
möglichst nach vorne zu bringen suchen. Die plastische Füllung des Raumes
durch die phantastemäßig ausgestalteten Einzelheiten verhindert es nun, daß
dem Schauspieler der Zusammenhang mit dem Bühnenraume etwa gänzlich verloren
geht, wenn er nur einseitig dem Einflüsse jenes dekorativen Gesetzes folgen und
seine Verpflichtung, als Mitträger der Handlung im Zusammenhange mit den
übrigen Bühnenfiguren zu bleiben, mißachten wollte. Die runde und lebendige
Plastik der Figuren strebt eben schon an sich aus dem Bühnenraume hinaus.

Deshalb ist auch der ganze Aufbau der modernen Bühne darauf berechnet,
die fast zu selbständige und lebendige Plastik der dramatischen Figuren ini Bühnen-
wume zu halten. Der Zuschauer hat die moderne Bühne vor sich wie einen


Menzbotci, II 1912 24
Z5i"chncnplastik und Li'chncnraum

malerischen Andeutungen für die gegenständlichen und plastischen Einzelheiten
begnügte. So blieb die individuelle Ausgestaltung des Raumes nach den
Bedürfnissen der Handlung, die sich in ihm abspielte, und seine Füllung mit
plastischen Einzelheiten in der Hauptsache der Phantasie des Zuschauers über¬
lassen, der jene mageren Andeutungen genügen mußten und — genügten.

Mitten in dem so ausgestalteten Raume aber stehen nun die handelnden
Personen der Dichtung und besitzen die runde, dreidimensionale Plastik in
Wirklichkeit, die den raumfüllenden Einzelheiten die Phantasie leiht. Es könnte
der Gedanke naheliegen, daß dieser Gegensatz sich in der Einheitlichkeit des
Bühnenbildes störend bemerkbar machen und die Illusion vernichten möchte.
Dieser Gedanke ist zum Teil später für die selbständige, naturalistische Behandlung
des Details der leitende gewesen. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall.
In der Bühnenaufführung soll sich das volle Interesse des Zuschauers auf die
Handlung und die volle Plastik ihrer tragenden Personen konzentrieren. Auf
ihnen ruht die Hauptmacht des ästhetischen Interesses. Es genügt daher voll¬
ständig, wenn sie allein rund und voll im Raum stehen und wenn alle sie
umgebenden Einzelheiten lediglich durch Andeutungen für die Phantasie repräsentiert
sind, so daß diese sie nach Bedürfnis ergreifen und plastisch ausgestalten kann.
Die bloß illusionistische Plastik der Einzelheiten steht der wirklichen Plastik der
Bühnenfignren im Grade nach, sie wird aber in ihrer Art als die notwendige
räumliche Füllung zwischen den plastischen Figuren und dem umgebenden Raume
ihrer Aufgabe völlig gerecht.

Eine solche Verbindung zwischen den Figuren und dem Bühnenraume ist
jedoch notwendig. Denn auch die Figuren und ihre Plastik müssen sich dem¬
selben dekorativen Grundgesetz unterordnen, dein der ganze Bühnenraum folgt,
sie müssen auf Ansicht gearbeitet, nach vorne orientiert sein. Allerdings bedeutet
dieses Gesetz nur in beschränktem Maße eine Vorschrift für deu Dramatiker.
Er darf etwa seine Hauptfiguren uicht dazu zwingen, ihre wichtigsten Hand¬
lungen im Hintergrunde der Bühne auszuführen, wenn nicht schwerwiegende
ästhetische Gründe dafür maßgebend sind (Teils Apfelschuß, Geßlers Erschießung).
In erster Reihe bedeutet jener dekorative Grundsatz eine Vorschrift für den
Schailspieler. Er muß seine Gestalten „auf Vorderansicht" arbeiten und sie
möglichst nach vorne zu bringen suchen. Die plastische Füllung des Raumes
durch die phantastemäßig ausgestalteten Einzelheiten verhindert es nun, daß
dem Schauspieler der Zusammenhang mit dem Bühnenraume etwa gänzlich verloren
geht, wenn er nur einseitig dem Einflüsse jenes dekorativen Gesetzes folgen und
seine Verpflichtung, als Mitträger der Handlung im Zusammenhange mit den
übrigen Bühnenfiguren zu bleiben, mißachten wollte. Die runde und lebendige
Plastik der Figuren strebt eben schon an sich aus dem Bühnenraume hinaus.

Deshalb ist auch der ganze Aufbau der modernen Bühne darauf berechnet,
die fast zu selbständige und lebendige Plastik der dramatischen Figuren ini Bühnen-
wume zu halten. Der Zuschauer hat die moderne Bühne vor sich wie einen


Menzbotci, II 1912 24
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[0197] Z5i"chncnplastik und Li'chncnraum malerischen Andeutungen für die gegenständlichen und plastischen Einzelheiten begnügte. So blieb die individuelle Ausgestaltung des Raumes nach den Bedürfnissen der Handlung, die sich in ihm abspielte, und seine Füllung mit plastischen Einzelheiten in der Hauptsache der Phantasie des Zuschauers über¬ lassen, der jene mageren Andeutungen genügen mußten und — genügten. Mitten in dem so ausgestalteten Raume aber stehen nun die handelnden Personen der Dichtung und besitzen die runde, dreidimensionale Plastik in Wirklichkeit, die den raumfüllenden Einzelheiten die Phantasie leiht. Es könnte der Gedanke naheliegen, daß dieser Gegensatz sich in der Einheitlichkeit des Bühnenbildes störend bemerkbar machen und die Illusion vernichten möchte. Dieser Gedanke ist zum Teil später für die selbständige, naturalistische Behandlung des Details der leitende gewesen. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. In der Bühnenaufführung soll sich das volle Interesse des Zuschauers auf die Handlung und die volle Plastik ihrer tragenden Personen konzentrieren. Auf ihnen ruht die Hauptmacht des ästhetischen Interesses. Es genügt daher voll¬ ständig, wenn sie allein rund und voll im Raum stehen und wenn alle sie umgebenden Einzelheiten lediglich durch Andeutungen für die Phantasie repräsentiert sind, so daß diese sie nach Bedürfnis ergreifen und plastisch ausgestalten kann. Die bloß illusionistische Plastik der Einzelheiten steht der wirklichen Plastik der Bühnenfignren im Grade nach, sie wird aber in ihrer Art als die notwendige räumliche Füllung zwischen den plastischen Figuren und dem umgebenden Raume ihrer Aufgabe völlig gerecht. Eine solche Verbindung zwischen den Figuren und dem Bühnenraume ist jedoch notwendig. Denn auch die Figuren und ihre Plastik müssen sich dem¬ selben dekorativen Grundgesetz unterordnen, dein der ganze Bühnenraum folgt, sie müssen auf Ansicht gearbeitet, nach vorne orientiert sein. Allerdings bedeutet dieses Gesetz nur in beschränktem Maße eine Vorschrift für deu Dramatiker. Er darf etwa seine Hauptfiguren uicht dazu zwingen, ihre wichtigsten Hand¬ lungen im Hintergrunde der Bühne auszuführen, wenn nicht schwerwiegende ästhetische Gründe dafür maßgebend sind (Teils Apfelschuß, Geßlers Erschießung). In erster Reihe bedeutet jener dekorative Grundsatz eine Vorschrift für den Schailspieler. Er muß seine Gestalten „auf Vorderansicht" arbeiten und sie möglichst nach vorne zu bringen suchen. Die plastische Füllung des Raumes durch die phantastemäßig ausgestalteten Einzelheiten verhindert es nun, daß dem Schauspieler der Zusammenhang mit dem Bühnenraume etwa gänzlich verloren geht, wenn er nur einseitig dem Einflüsse jenes dekorativen Gesetzes folgen und seine Verpflichtung, als Mitträger der Handlung im Zusammenhange mit den übrigen Bühnenfiguren zu bleiben, mißachten wollte. Die runde und lebendige Plastik der Figuren strebt eben schon an sich aus dem Bühnenraume hinaus. Deshalb ist auch der ganze Aufbau der modernen Bühne darauf berechnet, die fast zu selbständige und lebendige Plastik der dramatischen Figuren ini Bühnen- wume zu halten. Der Zuschauer hat die moderne Bühne vor sich wie einen Menzbotci, II 1912 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/197>, abgerufen am 17.06.2024.