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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie?

jenigen, die sich mit dieser Frage eingehender beschäftigt haben, wie auch des
Reichsgerichtes als unerfüllbar bezeichnet werden. Wirtschaftliche Begriffe haben
nun einmal die in ihrem Wesen begründete Tendenz, einer festen juristische"
Fassung zu widerstreben. Das zeigt sich in ganz besonderem Maße bei den
Begriffen "Fabrik" und "Handwerk", die, wie schon früher bemerkt wurde,
ständig im Flusse sind, eine Menge Übergangsformen und Spielarten aufweisen
und so dehnbar sind, daß, selbst wenn man für diese Frage jetzt eine juristische
Lösung finden könnte, eine solche schon kurze Zeit danach kaum noch stimmen
würde. Es kann daher dieser Weg als gangbar nicht erachtet werden, zumal
er andernfalls von der Negierung wohl schon längst beschritten worden wäre,
um auf diese Weise dem Streite ein Ende zu machen.

Der zweite aus Jndustriekreisen stammende Vorschlag, durch eine Instanz
die beiden fraglichen Begriffe authentisch deklarieren zu lassen, läuft darauf
hinaus, eine Stelle zu schaffen, die in Streitfällen als oberste Entscheidungs¬
behörde waltet. Er unterscheidet sich von den aus den Handwerkerkreisen ver-
lautbarten Wünschen grundsätzlich dadurch, daß er die bisher beobachteten gesetz¬
lichen Scheidungslinien von "Fabrik" und "Handwerk" aufrecht erhalten und
nur die bestehenden gesetzlichen Rechte und Pflichten für beide Teile unzwei¬
deutig klarstellen will. Es leuchtet ein, daß dieser Vorschlag viel für sich
hat. Er ist von der Regierung auch bereits aufgenommen worden,
indem in der von feiten des Reichsamts des Innern auf den 7. April 1911
einberufenen Konferenz die Frage zur Erörterung gestellt worden war/)
ob eine Verminderung der Schwierigkeiten nicht dadurch bewirkt werden könne,
daß in der Angelegenheit eine einzige oberste Instanz zur Entscheidung berufen
werde. Die Verwirklichung dieser Erwägung dürfte sehr wohl geeignet sein,
die Kontroverse, wenn auch nicht ganz aus der Welt zu schaffen, so doch der
Lösung erheblich näherzuführen, jedenfalls aber die Streitfälle herabzumindern.
Es mag hier zunächst dahingestellt bleiben, in welcher Form jener Vorschlag
zur Ausführung gebracht werden kann und inwieweit die aus Jndustriekreisen
in dieser Richtung gemachten besonderen Vorschläge praktisch und durchführbar sind.
Wenn die mehrfach angezogene Denkschrift der Leipziger Handelskammer bei der
derzeitigen Sachlage einen Ausgleich darin erblickt, daß eine genügende formale
Bürgschaft für eine dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragende, für beide
Rechtsgebiete (Handels- und Gewerberecht) einheitliche Auslegung der genannten
Begriffe ("Fabrik" und "Handwerk") und Bestimmungen geschaffen werde, so
kommt sie jedenfalls hiermit dem oben erwähnten Vorschlage sehr nahe. Eine solche
formale Bürgschaft ist allein darin zu finden, daß die Entscheidung über die aus
Htz 100 n, 103 n und 103 o der Gewerbeordnung entstehenden Streitigkeiten, soweit
es sich dabei um die Begriffe "Fabrik" und "Handwerk" und die Auffassung der
Betriebe als ein einheitliches Ganzes oder getrennt zu behandelnde Doppel-



") Vgl. auch die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs des Innern in der Reichstngs-
sitznng tom 5. Marz 1912, Reichstagsverhandlnngen S, 477.
Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie?

jenigen, die sich mit dieser Frage eingehender beschäftigt haben, wie auch des
Reichsgerichtes als unerfüllbar bezeichnet werden. Wirtschaftliche Begriffe haben
nun einmal die in ihrem Wesen begründete Tendenz, einer festen juristische«
Fassung zu widerstreben. Das zeigt sich in ganz besonderem Maße bei den
Begriffen „Fabrik" und „Handwerk", die, wie schon früher bemerkt wurde,
ständig im Flusse sind, eine Menge Übergangsformen und Spielarten aufweisen
und so dehnbar sind, daß, selbst wenn man für diese Frage jetzt eine juristische
Lösung finden könnte, eine solche schon kurze Zeit danach kaum noch stimmen
würde. Es kann daher dieser Weg als gangbar nicht erachtet werden, zumal
er andernfalls von der Negierung wohl schon längst beschritten worden wäre,
um auf diese Weise dem Streite ein Ende zu machen.

Der zweite aus Jndustriekreisen stammende Vorschlag, durch eine Instanz
die beiden fraglichen Begriffe authentisch deklarieren zu lassen, läuft darauf
hinaus, eine Stelle zu schaffen, die in Streitfällen als oberste Entscheidungs¬
behörde waltet. Er unterscheidet sich von den aus den Handwerkerkreisen ver-
lautbarten Wünschen grundsätzlich dadurch, daß er die bisher beobachteten gesetz¬
lichen Scheidungslinien von „Fabrik" und „Handwerk" aufrecht erhalten und
nur die bestehenden gesetzlichen Rechte und Pflichten für beide Teile unzwei¬
deutig klarstellen will. Es leuchtet ein, daß dieser Vorschlag viel für sich
hat. Er ist von der Regierung auch bereits aufgenommen worden,
indem in der von feiten des Reichsamts des Innern auf den 7. April 1911
einberufenen Konferenz die Frage zur Erörterung gestellt worden war/)
ob eine Verminderung der Schwierigkeiten nicht dadurch bewirkt werden könne,
daß in der Angelegenheit eine einzige oberste Instanz zur Entscheidung berufen
werde. Die Verwirklichung dieser Erwägung dürfte sehr wohl geeignet sein,
die Kontroverse, wenn auch nicht ganz aus der Welt zu schaffen, so doch der
Lösung erheblich näherzuführen, jedenfalls aber die Streitfälle herabzumindern.
Es mag hier zunächst dahingestellt bleiben, in welcher Form jener Vorschlag
zur Ausführung gebracht werden kann und inwieweit die aus Jndustriekreisen
in dieser Richtung gemachten besonderen Vorschläge praktisch und durchführbar sind.
Wenn die mehrfach angezogene Denkschrift der Leipziger Handelskammer bei der
derzeitigen Sachlage einen Ausgleich darin erblickt, daß eine genügende formale
Bürgschaft für eine dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragende, für beide
Rechtsgebiete (Handels- und Gewerberecht) einheitliche Auslegung der genannten
Begriffe („Fabrik" und „Handwerk") und Bestimmungen geschaffen werde, so
kommt sie jedenfalls hiermit dem oben erwähnten Vorschlage sehr nahe. Eine solche
formale Bürgschaft ist allein darin zu finden, daß die Entscheidung über die aus
Htz 100 n, 103 n und 103 o der Gewerbeordnung entstehenden Streitigkeiten, soweit
es sich dabei um die Begriffe „Fabrik" und „Handwerk" und die Auffassung der
Betriebe als ein einheitliches Ganzes oder getrennt zu behandelnde Doppel-



") Vgl. auch die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs des Innern in der Reichstngs-
sitznng tom 5. Marz 1912, Reichstagsverhandlnngen S, 477.
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[0224] Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie? jenigen, die sich mit dieser Frage eingehender beschäftigt haben, wie auch des Reichsgerichtes als unerfüllbar bezeichnet werden. Wirtschaftliche Begriffe haben nun einmal die in ihrem Wesen begründete Tendenz, einer festen juristische« Fassung zu widerstreben. Das zeigt sich in ganz besonderem Maße bei den Begriffen „Fabrik" und „Handwerk", die, wie schon früher bemerkt wurde, ständig im Flusse sind, eine Menge Übergangsformen und Spielarten aufweisen und so dehnbar sind, daß, selbst wenn man für diese Frage jetzt eine juristische Lösung finden könnte, eine solche schon kurze Zeit danach kaum noch stimmen würde. Es kann daher dieser Weg als gangbar nicht erachtet werden, zumal er andernfalls von der Negierung wohl schon längst beschritten worden wäre, um auf diese Weise dem Streite ein Ende zu machen. Der zweite aus Jndustriekreisen stammende Vorschlag, durch eine Instanz die beiden fraglichen Begriffe authentisch deklarieren zu lassen, läuft darauf hinaus, eine Stelle zu schaffen, die in Streitfällen als oberste Entscheidungs¬ behörde waltet. Er unterscheidet sich von den aus den Handwerkerkreisen ver- lautbarten Wünschen grundsätzlich dadurch, daß er die bisher beobachteten gesetz¬ lichen Scheidungslinien von „Fabrik" und „Handwerk" aufrecht erhalten und nur die bestehenden gesetzlichen Rechte und Pflichten für beide Teile unzwei¬ deutig klarstellen will. Es leuchtet ein, daß dieser Vorschlag viel für sich hat. Er ist von der Regierung auch bereits aufgenommen worden, indem in der von feiten des Reichsamts des Innern auf den 7. April 1911 einberufenen Konferenz die Frage zur Erörterung gestellt worden war/) ob eine Verminderung der Schwierigkeiten nicht dadurch bewirkt werden könne, daß in der Angelegenheit eine einzige oberste Instanz zur Entscheidung berufen werde. Die Verwirklichung dieser Erwägung dürfte sehr wohl geeignet sein, die Kontroverse, wenn auch nicht ganz aus der Welt zu schaffen, so doch der Lösung erheblich näherzuführen, jedenfalls aber die Streitfälle herabzumindern. Es mag hier zunächst dahingestellt bleiben, in welcher Form jener Vorschlag zur Ausführung gebracht werden kann und inwieweit die aus Jndustriekreisen in dieser Richtung gemachten besonderen Vorschläge praktisch und durchführbar sind. Wenn die mehrfach angezogene Denkschrift der Leipziger Handelskammer bei der derzeitigen Sachlage einen Ausgleich darin erblickt, daß eine genügende formale Bürgschaft für eine dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragende, für beide Rechtsgebiete (Handels- und Gewerberecht) einheitliche Auslegung der genannten Begriffe („Fabrik" und „Handwerk") und Bestimmungen geschaffen werde, so kommt sie jedenfalls hiermit dem oben erwähnten Vorschlage sehr nahe. Eine solche formale Bürgschaft ist allein darin zu finden, daß die Entscheidung über die aus Htz 100 n, 103 n und 103 o der Gewerbeordnung entstehenden Streitigkeiten, soweit es sich dabei um die Begriffe „Fabrik" und „Handwerk" und die Auffassung der Betriebe als ein einheitliches Ganzes oder getrennt zu behandelnde Doppel- ") Vgl. auch die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs des Innern in der Reichstngs- sitznng tom 5. Marz 1912, Reichstagsverhandlnngen S, 477.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/224>, abgerufen am 17.06.2024.