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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Wiesenzaun

allen Warnungen zum Trotz, eine Leiter an den flammenden Giebel gelegt und
sei durchs Fenster zu ihr gedrungen und habe sie also gerettet. Aber des Vaters
armes Antlitz sei, als sie ihn wiedergesehen, in furchtbarer Weise verbrannt
gewesen, und bald danach sei er völlig erblindet.

"Seit diesem Tag läßt mich der Vater keine Stund' von sich, und so konnt'
ich ihm auch heut nur heimlich entweichen, da er dem Meister Unfug, der heut'
silberne Hochzeit hält, zum Schmaus aufspielt."

Nach einer Weile, da alle nachdenklich geschwiegen, begann Dürer noch
andere Fragen an Felicitas zu richten, über des Vaters neue Lieder, und ob
das Volk ihm wohl gesinnt sei, und ob er auch vom Doktor Martinus Luther
schon gesungen, "von dem derzeit in aller Welt so groß Gered' sei".

Und während die Jungfrau auf alles eine bescheiden kluge Antwort wußte
und immer zutraulicher plauderte, ward ihr Antlitz von des Meisters unfehl¬
baren Silberstift in all seinem Liebreiz ans ein kleines Blatt gebannt, das ihn:
gerade zur Hand gelegen.

Sobald Felicitas das bemerkte, verstummte sie und hielt ganz ruhig, und
ihre großen Augen verfolgten das Tun des Meisters mit scheuem, andachts¬
vollem Staunen.

Frau Dürerin aber hatte sich indessen wortlos entfernt.

Da war es, als ob es immer stiller und stiller in der hoheitsvollen Stube
wurde. Felicitas wagte kaum zu atmen. Ihre Augen begegneten denen des
Meisters immer tiefer und verlorener.

Es war ihr, als wüchse er immer größer und herrschender vor ihren Blicken
empor, und dann glaubte sie plötzlich angstvoll zu fühlen, es sei ihr Leben ganz
in seine schmale, wundertätige Hand gegeben. Und so völlig bemächtigte sich
ihrer dieses selig widerstandslose Verlorensem, daß ihr das Haupt, als Dürer
sich erhob und den Griffel mit befriedigten Nicken zur Seite legte, mit geschlossenen
Augen und wie leblos auf die fiebernde Brust herabsank.

Da fühlte sie, wie des Meisters Hand ihr Kinn mit sanfter Gewalt emporhob,
und dann vernahm sie seine gütige Stimme: "Und wißt Ihr auch, Felicitas,
woran ich dachte, als ich Euch zeichnete? Ich dachte, so weibesmild und seliger
Sanftheit voll mag auch die Frau gewesen sein, die einst den Gottessohn gebar!"

Da richtete sich die Jungfrau jählings auf. Mit überflammtem Antlitz
stand sie Dürer gegenüber, nun fast so groß und erhaben wie er. Und langsam,
glühend rang sich Wort für Wort von ihren bebenden Lippen ab:

"So sollt' Ihr wissen,---daß ich heut'---nit nur des Vaters
wegen---gekommen bin!"

Des Meisters Antlitz überhuschte eine tödliche Blässe.

Dann aber umfaßte er in jäher Bewegung das Haupt des Mädchens mit
beiden Händen und ließ seinen leuchtenden Blick voll fragend gütiger Betroffenheit
in dem ihren ruhen.

Und dann berührten seine Lippen kühl und leise ihre helle Stirn.


Der Wiesenzaun

allen Warnungen zum Trotz, eine Leiter an den flammenden Giebel gelegt und
sei durchs Fenster zu ihr gedrungen und habe sie also gerettet. Aber des Vaters
armes Antlitz sei, als sie ihn wiedergesehen, in furchtbarer Weise verbrannt
gewesen, und bald danach sei er völlig erblindet.

„Seit diesem Tag läßt mich der Vater keine Stund' von sich, und so konnt'
ich ihm auch heut nur heimlich entweichen, da er dem Meister Unfug, der heut'
silberne Hochzeit hält, zum Schmaus aufspielt."

Nach einer Weile, da alle nachdenklich geschwiegen, begann Dürer noch
andere Fragen an Felicitas zu richten, über des Vaters neue Lieder, und ob
das Volk ihm wohl gesinnt sei, und ob er auch vom Doktor Martinus Luther
schon gesungen, „von dem derzeit in aller Welt so groß Gered' sei".

Und während die Jungfrau auf alles eine bescheiden kluge Antwort wußte
und immer zutraulicher plauderte, ward ihr Antlitz von des Meisters unfehl¬
baren Silberstift in all seinem Liebreiz ans ein kleines Blatt gebannt, das ihn:
gerade zur Hand gelegen.

Sobald Felicitas das bemerkte, verstummte sie und hielt ganz ruhig, und
ihre großen Augen verfolgten das Tun des Meisters mit scheuem, andachts¬
vollem Staunen.

Frau Dürerin aber hatte sich indessen wortlos entfernt.

Da war es, als ob es immer stiller und stiller in der hoheitsvollen Stube
wurde. Felicitas wagte kaum zu atmen. Ihre Augen begegneten denen des
Meisters immer tiefer und verlorener.

Es war ihr, als wüchse er immer größer und herrschender vor ihren Blicken
empor, und dann glaubte sie plötzlich angstvoll zu fühlen, es sei ihr Leben ganz
in seine schmale, wundertätige Hand gegeben. Und so völlig bemächtigte sich
ihrer dieses selig widerstandslose Verlorensem, daß ihr das Haupt, als Dürer
sich erhob und den Griffel mit befriedigten Nicken zur Seite legte, mit geschlossenen
Augen und wie leblos auf die fiebernde Brust herabsank.

Da fühlte sie, wie des Meisters Hand ihr Kinn mit sanfter Gewalt emporhob,
und dann vernahm sie seine gütige Stimme: „Und wißt Ihr auch, Felicitas,
woran ich dachte, als ich Euch zeichnete? Ich dachte, so weibesmild und seliger
Sanftheit voll mag auch die Frau gewesen sein, die einst den Gottessohn gebar!"

Da richtete sich die Jungfrau jählings auf. Mit überflammtem Antlitz
stand sie Dürer gegenüber, nun fast so groß und erhaben wie er. Und langsam,
glühend rang sich Wort für Wort von ihren bebenden Lippen ab:

„So sollt' Ihr wissen,---daß ich heut'---nit nur des Vaters
wegen---gekommen bin!"

Des Meisters Antlitz überhuschte eine tödliche Blässe.

Dann aber umfaßte er in jäher Bewegung das Haupt des Mädchens mit
beiden Händen und ließ seinen leuchtenden Blick voll fragend gütiger Betroffenheit
in dem ihren ruhen.

Und dann berührten seine Lippen kühl und leise ihre helle Stirn.


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[0238] Der Wiesenzaun allen Warnungen zum Trotz, eine Leiter an den flammenden Giebel gelegt und sei durchs Fenster zu ihr gedrungen und habe sie also gerettet. Aber des Vaters armes Antlitz sei, als sie ihn wiedergesehen, in furchtbarer Weise verbrannt gewesen, und bald danach sei er völlig erblindet. „Seit diesem Tag läßt mich der Vater keine Stund' von sich, und so konnt' ich ihm auch heut nur heimlich entweichen, da er dem Meister Unfug, der heut' silberne Hochzeit hält, zum Schmaus aufspielt." Nach einer Weile, da alle nachdenklich geschwiegen, begann Dürer noch andere Fragen an Felicitas zu richten, über des Vaters neue Lieder, und ob das Volk ihm wohl gesinnt sei, und ob er auch vom Doktor Martinus Luther schon gesungen, „von dem derzeit in aller Welt so groß Gered' sei". Und während die Jungfrau auf alles eine bescheiden kluge Antwort wußte und immer zutraulicher plauderte, ward ihr Antlitz von des Meisters unfehl¬ baren Silberstift in all seinem Liebreiz ans ein kleines Blatt gebannt, das ihn: gerade zur Hand gelegen. Sobald Felicitas das bemerkte, verstummte sie und hielt ganz ruhig, und ihre großen Augen verfolgten das Tun des Meisters mit scheuem, andachts¬ vollem Staunen. Frau Dürerin aber hatte sich indessen wortlos entfernt. Da war es, als ob es immer stiller und stiller in der hoheitsvollen Stube wurde. Felicitas wagte kaum zu atmen. Ihre Augen begegneten denen des Meisters immer tiefer und verlorener. Es war ihr, als wüchse er immer größer und herrschender vor ihren Blicken empor, und dann glaubte sie plötzlich angstvoll zu fühlen, es sei ihr Leben ganz in seine schmale, wundertätige Hand gegeben. Und so völlig bemächtigte sich ihrer dieses selig widerstandslose Verlorensem, daß ihr das Haupt, als Dürer sich erhob und den Griffel mit befriedigten Nicken zur Seite legte, mit geschlossenen Augen und wie leblos auf die fiebernde Brust herabsank. Da fühlte sie, wie des Meisters Hand ihr Kinn mit sanfter Gewalt emporhob, und dann vernahm sie seine gütige Stimme: „Und wißt Ihr auch, Felicitas, woran ich dachte, als ich Euch zeichnete? Ich dachte, so weibesmild und seliger Sanftheit voll mag auch die Frau gewesen sein, die einst den Gottessohn gebar!" Da richtete sich die Jungfrau jählings auf. Mit überflammtem Antlitz stand sie Dürer gegenüber, nun fast so groß und erhaben wie er. Und langsam, glühend rang sich Wort für Wort von ihren bebenden Lippen ab: „So sollt' Ihr wissen,---daß ich heut'---nit nur des Vaters wegen---gekommen bin!" Des Meisters Antlitz überhuschte eine tödliche Blässe. Dann aber umfaßte er in jäher Bewegung das Haupt des Mädchens mit beiden Händen und ließ seinen leuchtenden Blick voll fragend gütiger Betroffenheit in dem ihren ruhen. Und dann berührten seine Lippen kühl und leise ihre helle Stirn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/238>, abgerufen am 17.06.2024.