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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der wiesenMui

"Liebe," sagte Dürer gemessen und doch mit bitterem Ernst, "das ist nit,
wie du glaubst, daß ich die Frauen nur zu malen hab', wie sie der hohe Rat
zum Tanze tat. Ein alt' Geschlecht und ein tugendsam Weib sind wohl ein
edel Ding, doch hat mir Gott meine liebe Kunst vor allem gegeben, damit ich
stets das Beste herfürnehme, was Natur geschaffen, ganz unabhängig von der
Menschen Wertung. Der Künstler kennt nur ein Gebot, und das ist Sehen.
Und wo das Sehen sein Herz erfreut, da hat kein anderes Urteil mitzusprechen,
denn dieses überbleibe den Pfaffen und den Schöffen vom Geriesel"

Frau Agnes hatte des Meisters Worte nur mit sichtlicher Ungeduld über
sich ergehen lassen.

"Ein ehrsam Weib," erwiderte sie hastig, "wird stets zuerst nach guter
Sitte fragen. Und dir wär's auch nit recht, wenn's anders wär'!"

"Wir können uns darin wohl nit versteh"," versetzte Dürer achselzuckend.
"Es ist nit gut von dir, daß du dem Kind des Jörg so übel nachsprichst.
Sie ist ein arm Ding, das viel an Unglück zu ertragen hat und das sich
wunderlich rein bewahrt hat trotz allem Schmutz, der um sein traurig Leben
herumfließt. Und daß sie schöner ist, als ich irgend eine Jungfrau in Nürnberg
sah, das soll ihr etwa noch als Sünde angerechnet werden?"

Die Dürerin starrte eine Weile finster und bekümmert vor sich hin. Dann
aber fuhr sie seufzend auf und legte, einem plötzlichen Entschluß folgend, mit
scheuer Gebärde ihre Hand auf des Gatten Arm:

"Versprich mir, daß du die Felicitas nit nackend malst, wie du nach mir
schon andere gemalt. Bei dieser könnt' ich's nit ertragen!"

In Dürers Antlitz wallte zornige Nöte auf. Schon lag ihm eine herbe
Antwort auf den Lippen.

Da sah er aber das ängstlich fragende, herbgealterte Antlitz seines Weibes
ganz nahe vor sich, und aus ihren müd verschleierten Augen spähte es bang
und feucht nach den seinen.

"Ich will dir's gern versprechen, und es fällt mir leicht, dieweil ich's nie
im Sinn gehabt," erwiderte er mit wehmütig ernstem Lächeln und strich ihr
liebkosend über die Wange.

Sie aber nickte ihm dankbar und zufrieden zu, als Hütte sie damit die
dumpfe Beruhigung ihres ärmlich engen, pflichtgetreuen und Pflichten fordernden
Lebens wiedererlangt. (Fortsetzung folgt)




Der wiesenMui

„Liebe," sagte Dürer gemessen und doch mit bitterem Ernst, „das ist nit,
wie du glaubst, daß ich die Frauen nur zu malen hab', wie sie der hohe Rat
zum Tanze tat. Ein alt' Geschlecht und ein tugendsam Weib sind wohl ein
edel Ding, doch hat mir Gott meine liebe Kunst vor allem gegeben, damit ich
stets das Beste herfürnehme, was Natur geschaffen, ganz unabhängig von der
Menschen Wertung. Der Künstler kennt nur ein Gebot, und das ist Sehen.
Und wo das Sehen sein Herz erfreut, da hat kein anderes Urteil mitzusprechen,
denn dieses überbleibe den Pfaffen und den Schöffen vom Geriesel"

Frau Agnes hatte des Meisters Worte nur mit sichtlicher Ungeduld über
sich ergehen lassen.

„Ein ehrsam Weib," erwiderte sie hastig, „wird stets zuerst nach guter
Sitte fragen. Und dir wär's auch nit recht, wenn's anders wär'!"

„Wir können uns darin wohl nit versteh«," versetzte Dürer achselzuckend.
„Es ist nit gut von dir, daß du dem Kind des Jörg so übel nachsprichst.
Sie ist ein arm Ding, das viel an Unglück zu ertragen hat und das sich
wunderlich rein bewahrt hat trotz allem Schmutz, der um sein traurig Leben
herumfließt. Und daß sie schöner ist, als ich irgend eine Jungfrau in Nürnberg
sah, das soll ihr etwa noch als Sünde angerechnet werden?"

Die Dürerin starrte eine Weile finster und bekümmert vor sich hin. Dann
aber fuhr sie seufzend auf und legte, einem plötzlichen Entschluß folgend, mit
scheuer Gebärde ihre Hand auf des Gatten Arm:

„Versprich mir, daß du die Felicitas nit nackend malst, wie du nach mir
schon andere gemalt. Bei dieser könnt' ich's nit ertragen!"

In Dürers Antlitz wallte zornige Nöte auf. Schon lag ihm eine herbe
Antwort auf den Lippen.

Da sah er aber das ängstlich fragende, herbgealterte Antlitz seines Weibes
ganz nahe vor sich, und aus ihren müd verschleierten Augen spähte es bang
und feucht nach den seinen.

„Ich will dir's gern versprechen, und es fällt mir leicht, dieweil ich's nie
im Sinn gehabt," erwiderte er mit wehmütig ernstem Lächeln und strich ihr
liebkosend über die Wange.

Sie aber nickte ihm dankbar und zufrieden zu, als Hütte sie damit die
dumpfe Beruhigung ihres ärmlich engen, pflichtgetreuen und Pflichten fordernden
Lebens wiedererlangt. (Fortsetzung folgt)




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[0243] Der wiesenMui „Liebe," sagte Dürer gemessen und doch mit bitterem Ernst, „das ist nit, wie du glaubst, daß ich die Frauen nur zu malen hab', wie sie der hohe Rat zum Tanze tat. Ein alt' Geschlecht und ein tugendsam Weib sind wohl ein edel Ding, doch hat mir Gott meine liebe Kunst vor allem gegeben, damit ich stets das Beste herfürnehme, was Natur geschaffen, ganz unabhängig von der Menschen Wertung. Der Künstler kennt nur ein Gebot, und das ist Sehen. Und wo das Sehen sein Herz erfreut, da hat kein anderes Urteil mitzusprechen, denn dieses überbleibe den Pfaffen und den Schöffen vom Geriesel" Frau Agnes hatte des Meisters Worte nur mit sichtlicher Ungeduld über sich ergehen lassen. „Ein ehrsam Weib," erwiderte sie hastig, „wird stets zuerst nach guter Sitte fragen. Und dir wär's auch nit recht, wenn's anders wär'!" „Wir können uns darin wohl nit versteh«," versetzte Dürer achselzuckend. „Es ist nit gut von dir, daß du dem Kind des Jörg so übel nachsprichst. Sie ist ein arm Ding, das viel an Unglück zu ertragen hat und das sich wunderlich rein bewahrt hat trotz allem Schmutz, der um sein traurig Leben herumfließt. Und daß sie schöner ist, als ich irgend eine Jungfrau in Nürnberg sah, das soll ihr etwa noch als Sünde angerechnet werden?" Die Dürerin starrte eine Weile finster und bekümmert vor sich hin. Dann aber fuhr sie seufzend auf und legte, einem plötzlichen Entschluß folgend, mit scheuer Gebärde ihre Hand auf des Gatten Arm: „Versprich mir, daß du die Felicitas nit nackend malst, wie du nach mir schon andere gemalt. Bei dieser könnt' ich's nit ertragen!" In Dürers Antlitz wallte zornige Nöte auf. Schon lag ihm eine herbe Antwort auf den Lippen. Da sah er aber das ängstlich fragende, herbgealterte Antlitz seines Weibes ganz nahe vor sich, und aus ihren müd verschleierten Augen spähte es bang und feucht nach den seinen. „Ich will dir's gern versprechen, und es fällt mir leicht, dieweil ich's nie im Sinn gehabt," erwiderte er mit wehmütig ernstem Lächeln und strich ihr liebkosend über die Wange. Sie aber nickte ihm dankbar und zufrieden zu, als Hütte sie damit die dumpfe Beruhigung ihres ärmlich engen, pflichtgetreuen und Pflichten fordernden Lebens wiedererlangt. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/243>, abgerufen am 17.06.2024.