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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Iviescnzmm

Das wiederholte sich nun immer häufiger, und es geschah auch noch
in diesen Tagen, da Dürer sich längst in Augsburg beim kaiserlichen Hofhalt
befand. Felicitas hatte zwar von seiner rühmlichen Sendung erfahren, zumal
in Nürnberg viel davon gesprochen wurde, denn man war in der Bürgerschaft
und allem Volk nicht wenig stolz darauf, den großen Meister als getreuen Sohn
der Stadt vor des Kaisers Angesicht zu wissen.

Doch konnte sich Felicitas in ihrer wunderlich verworrenen Sehnsucht nicht
enthalten, den: Vater zu entfliehen und nach dem Erker des vornehmen, stillen
Hauses hinaufzuspcihen, ob der Zurückgekehrte nicht etwa doch das Fenster öffne
und sich ihr zeige.

Einmal aber, an einem Abend im Sommer, da sie schon wochenlang ver¬
geblich gewartet, pochte sie kurz entschlossen an des Meisters Tor, eine etwaige
Ausrede über die Ursache ihres GeHabens gar nicht erwägend.

Und im Augenblick wurde ihr auch schon geöffnet und zwar von einem
hübschen, zierlichen Jüngling, der ein fröhlich buntes Barett auf den langen
blonden Locken trug und offenbar das Haus gerade verlassen wollte.

Kaum sah er der Jungfrau blasses und erregtes Antlitz, als er mit großem
Erstaunen rief: "Ihr seid dem Jörgen Graff sein Kind! Das freut mich, schönes
Fräulein, daß ich Euch endlich in Wirklichkeit schaue! Mir ist Euer holdselig
Antlitz gar wohl vertraut, und manches Stündlein seid Ihr schon mit mir allein
im Kämmerlein gesessen!"

Felicitas aber, seine tolle Rede nicht beachtend, erwiderte kurz und streng,
sie wünsche zu Herrn Albrecht Dürer geführt zu werden.

Der wohlgelaunte Jüngling versetzte hierauf, der Meister weile noch in
Augsburg und dürfte dort geraume Zeit noch bleiben, da ihm mancherlei ehren¬
volle Aufträge zuteil geworden.

Er zog sodann mit artigen Anstand das Barettlein und erklärte, er sei
der Hans Springinsklee aus Dinkelsbühl, und die Jungfrau möge sich vor ihm
nicht fürchten, er wolle ihr vielmehr etwas Wunderliches zeigen, das ihr gar
sehr gefallen werde.

Und ohne ihre Antwort abzuwarten, ergriff er sie vertraulich und doch so
ehrerbietig an der Hand, daß ihm Felicitas wortlos die Treppe hinauf folgte,
in einen luftigen Saal mit hohen Fenstern, wo auf langen Tischen allerlei
Handwerkzeug herumlag, indes die Wände entlang und rings in allen Ecken
die wunderlichsten Dinge aufgestapelt waren, wie große Hirschgeweihe und Muschel¬
gewächse, erotische Tongefäße und Schnitzereien, Standarten und Rüstungen,
Gliederpuppen und Gipsmodelle, die sich alle in phantastischer Unordnung zu
befehden schienen.

Indes Felicitas den Raum erstaunt betrachtete, hatte der junge Springinsklee
rasch einen Holzstock geschwärzt und auf einer Handpresse einen kleinen Druck
hergestellt, den er nun der Jungfrau mit zuversichtlichen Lächeln überreichte
Es war des Meisters köstliches Bildnis "Maria, von vielen Engeln verehrt!"


Grenzbowi II 1Se2
Der Iviescnzmm

Das wiederholte sich nun immer häufiger, und es geschah auch noch
in diesen Tagen, da Dürer sich längst in Augsburg beim kaiserlichen Hofhalt
befand. Felicitas hatte zwar von seiner rühmlichen Sendung erfahren, zumal
in Nürnberg viel davon gesprochen wurde, denn man war in der Bürgerschaft
und allem Volk nicht wenig stolz darauf, den großen Meister als getreuen Sohn
der Stadt vor des Kaisers Angesicht zu wissen.

Doch konnte sich Felicitas in ihrer wunderlich verworrenen Sehnsucht nicht
enthalten, den: Vater zu entfliehen und nach dem Erker des vornehmen, stillen
Hauses hinaufzuspcihen, ob der Zurückgekehrte nicht etwa doch das Fenster öffne
und sich ihr zeige.

Einmal aber, an einem Abend im Sommer, da sie schon wochenlang ver¬
geblich gewartet, pochte sie kurz entschlossen an des Meisters Tor, eine etwaige
Ausrede über die Ursache ihres GeHabens gar nicht erwägend.

Und im Augenblick wurde ihr auch schon geöffnet und zwar von einem
hübschen, zierlichen Jüngling, der ein fröhlich buntes Barett auf den langen
blonden Locken trug und offenbar das Haus gerade verlassen wollte.

Kaum sah er der Jungfrau blasses und erregtes Antlitz, als er mit großem
Erstaunen rief: „Ihr seid dem Jörgen Graff sein Kind! Das freut mich, schönes
Fräulein, daß ich Euch endlich in Wirklichkeit schaue! Mir ist Euer holdselig
Antlitz gar wohl vertraut, und manches Stündlein seid Ihr schon mit mir allein
im Kämmerlein gesessen!"

Felicitas aber, seine tolle Rede nicht beachtend, erwiderte kurz und streng,
sie wünsche zu Herrn Albrecht Dürer geführt zu werden.

Der wohlgelaunte Jüngling versetzte hierauf, der Meister weile noch in
Augsburg und dürfte dort geraume Zeit noch bleiben, da ihm mancherlei ehren¬
volle Aufträge zuteil geworden.

Er zog sodann mit artigen Anstand das Barettlein und erklärte, er sei
der Hans Springinsklee aus Dinkelsbühl, und die Jungfrau möge sich vor ihm
nicht fürchten, er wolle ihr vielmehr etwas Wunderliches zeigen, das ihr gar
sehr gefallen werde.

Und ohne ihre Antwort abzuwarten, ergriff er sie vertraulich und doch so
ehrerbietig an der Hand, daß ihm Felicitas wortlos die Treppe hinauf folgte,
in einen luftigen Saal mit hohen Fenstern, wo auf langen Tischen allerlei
Handwerkzeug herumlag, indes die Wände entlang und rings in allen Ecken
die wunderlichsten Dinge aufgestapelt waren, wie große Hirschgeweihe und Muschel¬
gewächse, erotische Tongefäße und Schnitzereien, Standarten und Rüstungen,
Gliederpuppen und Gipsmodelle, die sich alle in phantastischer Unordnung zu
befehden schienen.

Indes Felicitas den Raum erstaunt betrachtete, hatte der junge Springinsklee
rasch einen Holzstock geschwärzt und auf einer Handpresse einen kleinen Druck
hergestellt, den er nun der Jungfrau mit zuversichtlichen Lächeln überreichte
Es war des Meisters köstliches Bildnis „Maria, von vielen Engeln verehrt!"


Grenzbowi II 1Se2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/293>, abgerufen am 17.06.2024.