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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ver Uliesenzcmn

Frau Agnes, die von seiner Ankunft durch die Magd Susanne erfahren,
setzte sich entschlossen die Haube zurecht, band sich eine frische Schürze um und
begab sich ebenfalls in den Gesellensaal.

Dort fand sie den alten "Störenfried und Widersacher", wie sie ihn gern
und noch etwas schärfer bei sich selbst benannte, mit dem Springinsklee, dem
Scheufelin und den anderen Formschneidern und Malknaben vor den Holz¬
schnitten zu des Kaisers Triumphbogen in ein ernstes und angelegentliches
Kunstgespräch vertieft, wie es der leutselige Ratsherr gern mit der Jugend zu
üben pflegte.

Die Dürerin begrüßte ihn nicht sonderlich freundlich, doch immerhin mit
dem gebührenden Respekt und fragte sogleich, ob Albrecht ihm etwa über die
Missetat des Springinsklee geschrieben, da sie selbst noch keine Zeile darüber
erhalten.

Herr Pirkheimer erwiderte mit lächelnder Höflichkeit, ihre Vermutung sei
allerdings richtig. Der Meister habe sich dahin geäußert, daß er diesem Vorfall
keinerlei schlimme Bedeutung beilege, ja daß er ihm sogar willkommen sei,
denn er hätte der Jungfrau ohnehin früher oder später einen Abdruck des
Bildes übersandt.

Frau Agnes war klug genug, ihren Ärger hinunter zu würgen und sich
im Gegenteil erfreut zu zeigen über die Nachsicht des Gatten, wobei aber dem
jungen Springinsklee aufs neue ein strafender Blick zuteil ward.

Dahingegen wundere es ihn. fuhr der Ratsherr fort und konnte dabei
ein leise spöttelndes Lächeln nicht unterdrücken, daß Frau Agnes ihn nicht nach
weit Wichtigerem als solchen Kleinigkeiten gefragt. Es werde ihr gewiß will¬
kommen sein, zu hören, daß Dürer den gütigen Kaiser Maximilian und manch
andern großen und mächtigen Herrn kunterfeyt und daß ihm hohe Ehren,
darunter auch ein ritterlich Wappen, verliehen worden. Auch habe er die
freudige Botschaft zu überbringen, der Meister werde in kurzer Zeit, vermutlich
schon am Tage "p08t imtivitatiZ Nariae", heimkehren, und habe ihn beauftragt,
dieses auch seiner lieben Hausfrauen mit schönen Grüßen mitzuteilen.

Da gab sich die Dürerin zufrieden und vergaß ein Augenblickchen sogar
ihrer üppig blühenden Abneigung gegen den alten Feind, der nun bereits seit
fünfundzwanzig Jahren in seiner wuchtigen Unbezwinglichkeit zwischen ihr und
dem Gatten stand.

Sie fragte ihn, da die Magd soeben das Frühstückbrot für die Maler¬
knaben brachte, ob ihm ein Gläschen feurigen Ungarweines nicht willkommen
sei, der dem Meister unlängst von einem Verehrer seiner Kunst gesandt worden.
Herr Pirkheimer sträubte sich keineswegs dagegen, ja es schien dem alten, in
allen Sätteln zurechtgewiegten Diplomaten ein besonderes Vergnügen zu sein,
mit Frau Agnes freundlich und artig zu tun, als übersonnte beider Seelen ein
fröhlicher Sommertag, indes in Wahrheit das unterirdische Grollen immer¬
währenden Gewitters vorhanden war.


Ver Uliesenzcmn

Frau Agnes, die von seiner Ankunft durch die Magd Susanne erfahren,
setzte sich entschlossen die Haube zurecht, band sich eine frische Schürze um und
begab sich ebenfalls in den Gesellensaal.

Dort fand sie den alten „Störenfried und Widersacher", wie sie ihn gern
und noch etwas schärfer bei sich selbst benannte, mit dem Springinsklee, dem
Scheufelin und den anderen Formschneidern und Malknaben vor den Holz¬
schnitten zu des Kaisers Triumphbogen in ein ernstes und angelegentliches
Kunstgespräch vertieft, wie es der leutselige Ratsherr gern mit der Jugend zu
üben pflegte.

Die Dürerin begrüßte ihn nicht sonderlich freundlich, doch immerhin mit
dem gebührenden Respekt und fragte sogleich, ob Albrecht ihm etwa über die
Missetat des Springinsklee geschrieben, da sie selbst noch keine Zeile darüber
erhalten.

Herr Pirkheimer erwiderte mit lächelnder Höflichkeit, ihre Vermutung sei
allerdings richtig. Der Meister habe sich dahin geäußert, daß er diesem Vorfall
keinerlei schlimme Bedeutung beilege, ja daß er ihm sogar willkommen sei,
denn er hätte der Jungfrau ohnehin früher oder später einen Abdruck des
Bildes übersandt.

Frau Agnes war klug genug, ihren Ärger hinunter zu würgen und sich
im Gegenteil erfreut zu zeigen über die Nachsicht des Gatten, wobei aber dem
jungen Springinsklee aufs neue ein strafender Blick zuteil ward.

Dahingegen wundere es ihn. fuhr der Ratsherr fort und konnte dabei
ein leise spöttelndes Lächeln nicht unterdrücken, daß Frau Agnes ihn nicht nach
weit Wichtigerem als solchen Kleinigkeiten gefragt. Es werde ihr gewiß will¬
kommen sein, zu hören, daß Dürer den gütigen Kaiser Maximilian und manch
andern großen und mächtigen Herrn kunterfeyt und daß ihm hohe Ehren,
darunter auch ein ritterlich Wappen, verliehen worden. Auch habe er die
freudige Botschaft zu überbringen, der Meister werde in kurzer Zeit, vermutlich
schon am Tage „p08t imtivitatiZ Nariae", heimkehren, und habe ihn beauftragt,
dieses auch seiner lieben Hausfrauen mit schönen Grüßen mitzuteilen.

Da gab sich die Dürerin zufrieden und vergaß ein Augenblickchen sogar
ihrer üppig blühenden Abneigung gegen den alten Feind, der nun bereits seit
fünfundzwanzig Jahren in seiner wuchtigen Unbezwinglichkeit zwischen ihr und
dem Gatten stand.

Sie fragte ihn, da die Magd soeben das Frühstückbrot für die Maler¬
knaben brachte, ob ihm ein Gläschen feurigen Ungarweines nicht willkommen
sei, der dem Meister unlängst von einem Verehrer seiner Kunst gesandt worden.
Herr Pirkheimer sträubte sich keineswegs dagegen, ja es schien dem alten, in
allen Sätteln zurechtgewiegten Diplomaten ein besonderes Vergnügen zu sein,
mit Frau Agnes freundlich und artig zu tun, als übersonnte beider Seelen ein
fröhlicher Sommertag, indes in Wahrheit das unterirdische Grollen immer¬
währenden Gewitters vorhanden war.


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[0295] Ver Uliesenzcmn Frau Agnes, die von seiner Ankunft durch die Magd Susanne erfahren, setzte sich entschlossen die Haube zurecht, band sich eine frische Schürze um und begab sich ebenfalls in den Gesellensaal. Dort fand sie den alten „Störenfried und Widersacher", wie sie ihn gern und noch etwas schärfer bei sich selbst benannte, mit dem Springinsklee, dem Scheufelin und den anderen Formschneidern und Malknaben vor den Holz¬ schnitten zu des Kaisers Triumphbogen in ein ernstes und angelegentliches Kunstgespräch vertieft, wie es der leutselige Ratsherr gern mit der Jugend zu üben pflegte. Die Dürerin begrüßte ihn nicht sonderlich freundlich, doch immerhin mit dem gebührenden Respekt und fragte sogleich, ob Albrecht ihm etwa über die Missetat des Springinsklee geschrieben, da sie selbst noch keine Zeile darüber erhalten. Herr Pirkheimer erwiderte mit lächelnder Höflichkeit, ihre Vermutung sei allerdings richtig. Der Meister habe sich dahin geäußert, daß er diesem Vorfall keinerlei schlimme Bedeutung beilege, ja daß er ihm sogar willkommen sei, denn er hätte der Jungfrau ohnehin früher oder später einen Abdruck des Bildes übersandt. Frau Agnes war klug genug, ihren Ärger hinunter zu würgen und sich im Gegenteil erfreut zu zeigen über die Nachsicht des Gatten, wobei aber dem jungen Springinsklee aufs neue ein strafender Blick zuteil ward. Dahingegen wundere es ihn. fuhr der Ratsherr fort und konnte dabei ein leise spöttelndes Lächeln nicht unterdrücken, daß Frau Agnes ihn nicht nach weit Wichtigerem als solchen Kleinigkeiten gefragt. Es werde ihr gewiß will¬ kommen sein, zu hören, daß Dürer den gütigen Kaiser Maximilian und manch andern großen und mächtigen Herrn kunterfeyt und daß ihm hohe Ehren, darunter auch ein ritterlich Wappen, verliehen worden. Auch habe er die freudige Botschaft zu überbringen, der Meister werde in kurzer Zeit, vermutlich schon am Tage „p08t imtivitatiZ Nariae", heimkehren, und habe ihn beauftragt, dieses auch seiner lieben Hausfrauen mit schönen Grüßen mitzuteilen. Da gab sich die Dürerin zufrieden und vergaß ein Augenblickchen sogar ihrer üppig blühenden Abneigung gegen den alten Feind, der nun bereits seit fünfundzwanzig Jahren in seiner wuchtigen Unbezwinglichkeit zwischen ihr und dem Gatten stand. Sie fragte ihn, da die Magd soeben das Frühstückbrot für die Maler¬ knaben brachte, ob ihm ein Gläschen feurigen Ungarweines nicht willkommen sei, der dem Meister unlängst von einem Verehrer seiner Kunst gesandt worden. Herr Pirkheimer sträubte sich keineswegs dagegen, ja es schien dem alten, in allen Sätteln zurechtgewiegten Diplomaten ein besonderes Vergnügen zu sein, mit Frau Agnes freundlich und artig zu tun, als übersonnte beider Seelen ein fröhlicher Sommertag, indes in Wahrheit das unterirdische Grollen immer¬ währenden Gewitters vorhanden war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/295>, abgerufen am 17.06.2024.