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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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August Strindberg

Oster wohl als andere Sterbliche ist der Tote, dem sich jenseits nun die
Unendlichkeit geöffnet hat, der unüberschreitbaren Schwelle genaht. Er hat sich
tief geneigt, um durch die Spalten zu spähen, hat sich hoch aufgerichtet, um
an dem ehernen Gefüge zu rütteln und ist dann mutlos umgekehrt. Eine kurze
Spanne in Nacht und Verzweiflung, dann erhob sich die nimmermüde Seele
und suchte -- einen neuen Weg. Weil aber Strindberg einer von den ganz
Großen war, hatte er immer eine Gefolgschaft, er hatte sie als Künstler wie
als Sozialist, als Gottesleugner wie als Wahrheitssucher, als Verneiner der
Wissenschaft wie als Mystiker, der aus den verachteten Traditionen des Mittel¬
alters eine neue Philosophie, eine neue Naturwissenschaft aufzubauen strebt.
Aber der Fittich des Geistes, der ihn so rasch über gewundene Pfade dcchin-
trug, war den Nachfolgenden versagt. So ging es zu, daß er ihnen oft schon
zu Beginn des Weges, mit seiner entmutigenden Botschaft zurückkehrend, ent¬
gegentrat. Sie aber schalten ihn als einen irreführender Wegsucher und haßten
ihn dasür, denn sie wußten nicht, daß er in späteren Stadien seiner Entwicklung
eine Richtung einschlagen konnte, die manch augenblicklich Enttäuschter wegsam
finden würde für seinen Fuß.

Eine Vielheit der Temperamente, die schwer übersehbare Zerklüftung der
modernen Lebensanschauungen findet sich bei Strindberg eingeschlossen in eines
einzelnen Hirn und Herz. Hieraus erklärt sich der Widerspruch der ver¬
schiedenen Meinungen über ihn. Hieraus erklärt sich auch die Unschlüssigkeit
des vorurteilsfreien Beobachters, der unwiderstehlich in den Bann dieses Feuer¬
kopfes gezwungen, seine Kometenbahnen berechnen will und sich immer wieder
zweifelnd fragt, ob er ihm Freund oder Feind ist. Ein Geist des Lichtes, der
die Tiefen der Verzweiflung und Sünde durchwandernd, uns den Weg der
Läuterung weisen soll oder ein Dämon der Tiefe, der sich höher und höher
schwingt, den blitzebergenden Wolken entgegen?

Hätten wir nur Strindbergs Dichtungen und seine philosophischen Schriften,
so wäre die Antwort noch sehr viel schwieriger, als sie es infolge der Viel¬
gestalt seines Wesens im Wechsel der einzelnen Perioden seiner Entwicklung ist.
Zu unvermittelt scheint er seine Stellung zu den geistigen Gesichtspunkten, zu
den bewegenden Mächten der modernen Zeitgeschichte zu ändern. Aber die
fünf Bände autobiographischer Schriften geben die Übergänge. Sie lösen so
manches Rätsel, um doch das größte, unlösbare in schärfere Beleuchtung zu
rücken, nämlich die merkwürdige, in diesem Grade wohl einzigartige Spaltung
der Persönlichkeit in ein schöpferisches und ein analytisches Ich. Nur jenes
scheint sich im brausenden Strom des Lebens zu bewegen, glücksuchend in der
Liebe, im dichterischen Schaffen, harmonieerstrebend im grübelnden Kampf mit
der Wissenschaft, mit den Religionen; von all dem unberührt steht das andere
Ich daneben, ein unerbittlicher Beobachter, deß Auge sich nie im Schlummer
schließt. Nicht das stolze Ahnen des werdenden Dichters von künftigem Ruhm,
nicht die ehrfurchtsvollen Regungen der ersten jungen Liebe, noch die Ekstase der


August Strindberg

Oster wohl als andere Sterbliche ist der Tote, dem sich jenseits nun die
Unendlichkeit geöffnet hat, der unüberschreitbaren Schwelle genaht. Er hat sich
tief geneigt, um durch die Spalten zu spähen, hat sich hoch aufgerichtet, um
an dem ehernen Gefüge zu rütteln und ist dann mutlos umgekehrt. Eine kurze
Spanne in Nacht und Verzweiflung, dann erhob sich die nimmermüde Seele
und suchte — einen neuen Weg. Weil aber Strindberg einer von den ganz
Großen war, hatte er immer eine Gefolgschaft, er hatte sie als Künstler wie
als Sozialist, als Gottesleugner wie als Wahrheitssucher, als Verneiner der
Wissenschaft wie als Mystiker, der aus den verachteten Traditionen des Mittel¬
alters eine neue Philosophie, eine neue Naturwissenschaft aufzubauen strebt.
Aber der Fittich des Geistes, der ihn so rasch über gewundene Pfade dcchin-
trug, war den Nachfolgenden versagt. So ging es zu, daß er ihnen oft schon
zu Beginn des Weges, mit seiner entmutigenden Botschaft zurückkehrend, ent¬
gegentrat. Sie aber schalten ihn als einen irreführender Wegsucher und haßten
ihn dasür, denn sie wußten nicht, daß er in späteren Stadien seiner Entwicklung
eine Richtung einschlagen konnte, die manch augenblicklich Enttäuschter wegsam
finden würde für seinen Fuß.

Eine Vielheit der Temperamente, die schwer übersehbare Zerklüftung der
modernen Lebensanschauungen findet sich bei Strindberg eingeschlossen in eines
einzelnen Hirn und Herz. Hieraus erklärt sich der Widerspruch der ver¬
schiedenen Meinungen über ihn. Hieraus erklärt sich auch die Unschlüssigkeit
des vorurteilsfreien Beobachters, der unwiderstehlich in den Bann dieses Feuer¬
kopfes gezwungen, seine Kometenbahnen berechnen will und sich immer wieder
zweifelnd fragt, ob er ihm Freund oder Feind ist. Ein Geist des Lichtes, der
die Tiefen der Verzweiflung und Sünde durchwandernd, uns den Weg der
Läuterung weisen soll oder ein Dämon der Tiefe, der sich höher und höher
schwingt, den blitzebergenden Wolken entgegen?

Hätten wir nur Strindbergs Dichtungen und seine philosophischen Schriften,
so wäre die Antwort noch sehr viel schwieriger, als sie es infolge der Viel¬
gestalt seines Wesens im Wechsel der einzelnen Perioden seiner Entwicklung ist.
Zu unvermittelt scheint er seine Stellung zu den geistigen Gesichtspunkten, zu
den bewegenden Mächten der modernen Zeitgeschichte zu ändern. Aber die
fünf Bände autobiographischer Schriften geben die Übergänge. Sie lösen so
manches Rätsel, um doch das größte, unlösbare in schärfere Beleuchtung zu
rücken, nämlich die merkwürdige, in diesem Grade wohl einzigartige Spaltung
der Persönlichkeit in ein schöpferisches und ein analytisches Ich. Nur jenes
scheint sich im brausenden Strom des Lebens zu bewegen, glücksuchend in der
Liebe, im dichterischen Schaffen, harmonieerstrebend im grübelnden Kampf mit
der Wissenschaft, mit den Religionen; von all dem unberührt steht das andere
Ich daneben, ein unerbittlicher Beobachter, deß Auge sich nie im Schlummer
schließt. Nicht das stolze Ahnen des werdenden Dichters von künftigem Ruhm,
nicht die ehrfurchtsvollen Regungen der ersten jungen Liebe, noch die Ekstase der


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[0392] August Strindberg Oster wohl als andere Sterbliche ist der Tote, dem sich jenseits nun die Unendlichkeit geöffnet hat, der unüberschreitbaren Schwelle genaht. Er hat sich tief geneigt, um durch die Spalten zu spähen, hat sich hoch aufgerichtet, um an dem ehernen Gefüge zu rütteln und ist dann mutlos umgekehrt. Eine kurze Spanne in Nacht und Verzweiflung, dann erhob sich die nimmermüde Seele und suchte — einen neuen Weg. Weil aber Strindberg einer von den ganz Großen war, hatte er immer eine Gefolgschaft, er hatte sie als Künstler wie als Sozialist, als Gottesleugner wie als Wahrheitssucher, als Verneiner der Wissenschaft wie als Mystiker, der aus den verachteten Traditionen des Mittel¬ alters eine neue Philosophie, eine neue Naturwissenschaft aufzubauen strebt. Aber der Fittich des Geistes, der ihn so rasch über gewundene Pfade dcchin- trug, war den Nachfolgenden versagt. So ging es zu, daß er ihnen oft schon zu Beginn des Weges, mit seiner entmutigenden Botschaft zurückkehrend, ent¬ gegentrat. Sie aber schalten ihn als einen irreführender Wegsucher und haßten ihn dasür, denn sie wußten nicht, daß er in späteren Stadien seiner Entwicklung eine Richtung einschlagen konnte, die manch augenblicklich Enttäuschter wegsam finden würde für seinen Fuß. Eine Vielheit der Temperamente, die schwer übersehbare Zerklüftung der modernen Lebensanschauungen findet sich bei Strindberg eingeschlossen in eines einzelnen Hirn und Herz. Hieraus erklärt sich der Widerspruch der ver¬ schiedenen Meinungen über ihn. Hieraus erklärt sich auch die Unschlüssigkeit des vorurteilsfreien Beobachters, der unwiderstehlich in den Bann dieses Feuer¬ kopfes gezwungen, seine Kometenbahnen berechnen will und sich immer wieder zweifelnd fragt, ob er ihm Freund oder Feind ist. Ein Geist des Lichtes, der die Tiefen der Verzweiflung und Sünde durchwandernd, uns den Weg der Läuterung weisen soll oder ein Dämon der Tiefe, der sich höher und höher schwingt, den blitzebergenden Wolken entgegen? Hätten wir nur Strindbergs Dichtungen und seine philosophischen Schriften, so wäre die Antwort noch sehr viel schwieriger, als sie es infolge der Viel¬ gestalt seines Wesens im Wechsel der einzelnen Perioden seiner Entwicklung ist. Zu unvermittelt scheint er seine Stellung zu den geistigen Gesichtspunkten, zu den bewegenden Mächten der modernen Zeitgeschichte zu ändern. Aber die fünf Bände autobiographischer Schriften geben die Übergänge. Sie lösen so manches Rätsel, um doch das größte, unlösbare in schärfere Beleuchtung zu rücken, nämlich die merkwürdige, in diesem Grade wohl einzigartige Spaltung der Persönlichkeit in ein schöpferisches und ein analytisches Ich. Nur jenes scheint sich im brausenden Strom des Lebens zu bewegen, glücksuchend in der Liebe, im dichterischen Schaffen, harmonieerstrebend im grübelnden Kampf mit der Wissenschaft, mit den Religionen; von all dem unberührt steht das andere Ich daneben, ein unerbittlicher Beobachter, deß Auge sich nie im Schlummer schließt. Nicht das stolze Ahnen des werdenden Dichters von künftigem Ruhm, nicht die ehrfurchtsvollen Regungen der ersten jungen Liebe, noch die Ekstase der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/392>, abgerufen am 17.06.2024.