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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Iviesenzaun

leuchtenden Blumen bringen, wobei sie, einer guten Hausmutter gleich, die
Säumigen mit launigen Schelten antrieb, die Fleißigen aber liebreich belobte.

Die Witwe Scherltn erschrak nicht wenig über diese Verworrenheit und
meinte, das wäre der böse Fiebergeist, der die Jungfrau so hoffärtig reden
lasse, die ja ansonst ein "fromm lieb Ding" sei. Und sogleich ging sie daran,
nun ihrerseits mit frommem Gebete das sündige Gerede der Kranken ins
Unschädliche abzulenken.

Es war an einem Wintertage gleich jenem, da Dürer die Felicitas zum
erstenmal erblickt hatte, als der junge Scherlin am Bette der Kranken saß und
ihren Schlaf bewachte, wie er es nunmehr seit Wochen zu tun pflegte. Es war der
sanftberuhigte Schlummer einer Genesenden, und er hatte den blassen, fieber¬
verzehrten Wangen sogar einen zarten, rötlichen Schimmer verliehen.

Der junge Scherlin saß mit trotziger Miene da, wie einer, der nun weiß,
was es gilt. Er turnte in seinem Herzen all die verbitterten Tage seiner
Wartezeit auf und fand, es sei genug, die Zeche seines Glückes damit zu
bezahlen. In seinem Hause war Felicitas vom sicheren Untergange zu neuem
Dasein errettet worden. Wem anders durfte sie nun gehören als ihm allein?

Es war ein mildes, weißes Winterlicht in der Stube vom Widerscheine
des Schnees, der auf den hohen Dächern lag. Das leise Atmen der Felicitas
schien Frieden zu bringen und Frieden sich zu holen, als wäre nun hüben und
drüben das gleiche stille Land für sie.

Da lauschte der Scherlin empor -- ein fremder Schritt ward auf der
Treppe laut. Und gleich darauf bewegte sich die Türe, die nur zugekehrt
gewesen, und es zeigte sich auf der Schwelle ein großer, vornehm gekleideter
Mann mit langen, sorgsam gewellten Schulterlocken, der betroffen innehielt, als
er die schlummernde auf dem Lager gewahrte. Seine großen, ernstbesorgten
Blicke gingen fragend hin und nieder.

Nach einer Weile flüsterte er: "Sie schläft?"

Der Scherlin war aufgesprungen, starrte den Unbekannten mißtrauisch
an und gab ihm keine Antwort.

Dieser aber nickte ihm gelassen zu wie einem, dem man nicht böse ist, und
zog, nach einem letzten langen Blick auf die Schlafende, die Türe wieder leise
hinter sich zu.

Der Scherlin besann sich und hörte die Schritte des Fremden auf der
Treppe sich entfernen. Da sprang er hinaus und lauschte ihm nach.

Nun kam auch seine Mutter herauf; die tat geheimnisvoll und sagte, der
fremde Herr sei wohl ein Gönner des blinden Jörg, und er habe sich auch nach
der Felicitas erkundigt und einen schwergewichtigen Beutel guten Silbers da¬
gelassen.

Der Scherlin schüttelte den Kopf, doch war das Silber ihm recht.

Felicitas aber erwachte bald darauf, und nun erzählte ihr der Scherlin,
was unterdes sich zugetragen.


Der Iviesenzaun

leuchtenden Blumen bringen, wobei sie, einer guten Hausmutter gleich, die
Säumigen mit launigen Schelten antrieb, die Fleißigen aber liebreich belobte.

Die Witwe Scherltn erschrak nicht wenig über diese Verworrenheit und
meinte, das wäre der böse Fiebergeist, der die Jungfrau so hoffärtig reden
lasse, die ja ansonst ein „fromm lieb Ding" sei. Und sogleich ging sie daran,
nun ihrerseits mit frommem Gebete das sündige Gerede der Kranken ins
Unschädliche abzulenken.

Es war an einem Wintertage gleich jenem, da Dürer die Felicitas zum
erstenmal erblickt hatte, als der junge Scherlin am Bette der Kranken saß und
ihren Schlaf bewachte, wie er es nunmehr seit Wochen zu tun pflegte. Es war der
sanftberuhigte Schlummer einer Genesenden, und er hatte den blassen, fieber¬
verzehrten Wangen sogar einen zarten, rötlichen Schimmer verliehen.

Der junge Scherlin saß mit trotziger Miene da, wie einer, der nun weiß,
was es gilt. Er turnte in seinem Herzen all die verbitterten Tage seiner
Wartezeit auf und fand, es sei genug, die Zeche seines Glückes damit zu
bezahlen. In seinem Hause war Felicitas vom sicheren Untergange zu neuem
Dasein errettet worden. Wem anders durfte sie nun gehören als ihm allein?

Es war ein mildes, weißes Winterlicht in der Stube vom Widerscheine
des Schnees, der auf den hohen Dächern lag. Das leise Atmen der Felicitas
schien Frieden zu bringen und Frieden sich zu holen, als wäre nun hüben und
drüben das gleiche stille Land für sie.

Da lauschte der Scherlin empor — ein fremder Schritt ward auf der
Treppe laut. Und gleich darauf bewegte sich die Türe, die nur zugekehrt
gewesen, und es zeigte sich auf der Schwelle ein großer, vornehm gekleideter
Mann mit langen, sorgsam gewellten Schulterlocken, der betroffen innehielt, als
er die schlummernde auf dem Lager gewahrte. Seine großen, ernstbesorgten
Blicke gingen fragend hin und nieder.

Nach einer Weile flüsterte er: „Sie schläft?"

Der Scherlin war aufgesprungen, starrte den Unbekannten mißtrauisch
an und gab ihm keine Antwort.

Dieser aber nickte ihm gelassen zu wie einem, dem man nicht böse ist, und
zog, nach einem letzten langen Blick auf die Schlafende, die Türe wieder leise
hinter sich zu.

Der Scherlin besann sich und hörte die Schritte des Fremden auf der
Treppe sich entfernen. Da sprang er hinaus und lauschte ihm nach.

Nun kam auch seine Mutter herauf; die tat geheimnisvoll und sagte, der
fremde Herr sei wohl ein Gönner des blinden Jörg, und er habe sich auch nach
der Felicitas erkundigt und einen schwergewichtigen Beutel guten Silbers da¬
gelassen.

Der Scherlin schüttelte den Kopf, doch war das Silber ihm recht.

Felicitas aber erwachte bald darauf, und nun erzählte ihr der Scherlin,
was unterdes sich zugetragen.


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[0400] Der Iviesenzaun leuchtenden Blumen bringen, wobei sie, einer guten Hausmutter gleich, die Säumigen mit launigen Schelten antrieb, die Fleißigen aber liebreich belobte. Die Witwe Scherltn erschrak nicht wenig über diese Verworrenheit und meinte, das wäre der böse Fiebergeist, der die Jungfrau so hoffärtig reden lasse, die ja ansonst ein „fromm lieb Ding" sei. Und sogleich ging sie daran, nun ihrerseits mit frommem Gebete das sündige Gerede der Kranken ins Unschädliche abzulenken. Es war an einem Wintertage gleich jenem, da Dürer die Felicitas zum erstenmal erblickt hatte, als der junge Scherlin am Bette der Kranken saß und ihren Schlaf bewachte, wie er es nunmehr seit Wochen zu tun pflegte. Es war der sanftberuhigte Schlummer einer Genesenden, und er hatte den blassen, fieber¬ verzehrten Wangen sogar einen zarten, rötlichen Schimmer verliehen. Der junge Scherlin saß mit trotziger Miene da, wie einer, der nun weiß, was es gilt. Er turnte in seinem Herzen all die verbitterten Tage seiner Wartezeit auf und fand, es sei genug, die Zeche seines Glückes damit zu bezahlen. In seinem Hause war Felicitas vom sicheren Untergange zu neuem Dasein errettet worden. Wem anders durfte sie nun gehören als ihm allein? Es war ein mildes, weißes Winterlicht in der Stube vom Widerscheine des Schnees, der auf den hohen Dächern lag. Das leise Atmen der Felicitas schien Frieden zu bringen und Frieden sich zu holen, als wäre nun hüben und drüben das gleiche stille Land für sie. Da lauschte der Scherlin empor — ein fremder Schritt ward auf der Treppe laut. Und gleich darauf bewegte sich die Türe, die nur zugekehrt gewesen, und es zeigte sich auf der Schwelle ein großer, vornehm gekleideter Mann mit langen, sorgsam gewellten Schulterlocken, der betroffen innehielt, als er die schlummernde auf dem Lager gewahrte. Seine großen, ernstbesorgten Blicke gingen fragend hin und nieder. Nach einer Weile flüsterte er: „Sie schläft?" Der Scherlin war aufgesprungen, starrte den Unbekannten mißtrauisch an und gab ihm keine Antwort. Dieser aber nickte ihm gelassen zu wie einem, dem man nicht böse ist, und zog, nach einem letzten langen Blick auf die Schlafende, die Türe wieder leise hinter sich zu. Der Scherlin besann sich und hörte die Schritte des Fremden auf der Treppe sich entfernen. Da sprang er hinaus und lauschte ihm nach. Nun kam auch seine Mutter herauf; die tat geheimnisvoll und sagte, der fremde Herr sei wohl ein Gönner des blinden Jörg, und er habe sich auch nach der Felicitas erkundigt und einen schwergewichtigen Beutel guten Silbers da¬ gelassen. Der Scherlin schüttelte den Kopf, doch war das Silber ihm recht. Felicitas aber erwachte bald darauf, und nun erzählte ihr der Scherlin, was unterdes sich zugetragen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/400>, abgerufen am 17.06.2024.