Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Iviesenzaun

So war man unversehens und allzufrüh zur Herberg gelangt, allwo nun
Dürer mit den Seinen von den frohgemuten Brüdern in Apelles Abschied nahm.

Sie riefen ihm noch lange vor dem Hause zu, und er mußte sich am
Fenster seines Stübchens zeigen. Dann zogen sie endlich mit Sang und
Klang vorüber.

Schon früher hatte der Wirt dem Meister mitgeteilt, es läge ein Brief für
ihn auf dem Tisch, der sei mit der Handelsfuhr aus dem Süden gekommen.

Er war an der schöngeschnörkelten Handschrift leicht zu erkennen: so schrieb
nur Willibald, der Vielgetreue. Was mochte es Neues in Nürnberg geben?
Die Zeiten dort unten waren schlimm genug.

Dürer erbrach den Brief mit Ungeduld. Gewiß -- es mußte Unerfreu¬
liches sein, was Pirkheimer ihm mitzuteilen hatte, denn die sonst so schalkhafte
Anrede fehlte. Er nannte ihn heute bloß: "Mein Lieber."

Der Meister hatte nur allzu richtig vermutet! Nun hatte die Pest, die
unten in Nürnberg wütete, aufs neue zwei der lieben Getreuen hinweggerafft!
Nun war auch Steffen Paumgartner dahin, und der Peter Weisbecher, der
allzeit Unbekümmerte, hatte auch daran glauben müssen. Der Weisbecher hatte
ihn vor seiner Abfahrt nach den Niederlanden nicht wenig verhöhnt und ihn
einen Hasenschwanz genannt ob seiner Furcht vor der Pest. Der Gute konnte
ja nicht wissen, daß andere Dinge ihn aus Nürnberg fortgetrieben als die
Angst vor dem Tode.

Was schrieb der Pirkheimer weiteres?

"Item dem Jörgen Graff hat all sein groß Geschrey nit viel genützt. Ist
mir zwar gelungen, das peinlich Fragen von ihm abzuwenden, doch hat der
hohe Rath ihn auf ein Jahr im weißen Turm, so hinter dem Wildbad liegt,
zur Haft gesetzt. Indes, es war mein Bitten nit umbsunst, dieweil man ihn
vorzeit hat laufen lassen. Er hat nun Ursehd schwören müssen und ward mit
einer Zehrung gen Regensburg gefertigt, mit dem Verbot, für alle Zeit nit
wieder heimzukehren. Doch glaub' ich nit, daß dies ihn bessern wird. Es
geht betrüblich abwärts mit dem Jörg.

Item, es hat der Himmel ihn gar grausamlich vorausbestraft, dieweil sein
Kind Felicitas, müßt Ihr wissen, am Samstag nach Jakobi still und sanft in
Christo verschieden ist. Der allmächtig Gott sey ihr gnädig! Ihr wißt, sie
hat im Vorjahr schon den Bäcker Scherlin zum Mann genommen. Ist aber
kein vergnüglich Ehelied gewesen. Wie ziemt steh's auch, daß solch ein Maul¬
wurf ein Röslein schmauset oder solch ein Brummelbär den Schmetterling betazt?
Ja, ja, wie mag Euch jetzt zumute sein? Ich möcht Euch gern erheitern, wenn
ich's könnt, doch würgt's mir selbst ein weniges im Hals. Und immer frag'
ich schlimmer Sünder mich, und frag mich immer wieder: Habt Ihr auch recht
getan mit Eurem Wiesenzaun? Habt Ihr vielleicht die Lieb nicht von der Lust
ein wenig allzu streng getrennt? O Meister, lieber Meister, verzeiht, daß meinem
alten Hirn solch gotteslästerlich Zeug' entschlüpft. Wir sind ja all nur arme


Der Iviesenzaun

So war man unversehens und allzufrüh zur Herberg gelangt, allwo nun
Dürer mit den Seinen von den frohgemuten Brüdern in Apelles Abschied nahm.

Sie riefen ihm noch lange vor dem Hause zu, und er mußte sich am
Fenster seines Stübchens zeigen. Dann zogen sie endlich mit Sang und
Klang vorüber.

Schon früher hatte der Wirt dem Meister mitgeteilt, es läge ein Brief für
ihn auf dem Tisch, der sei mit der Handelsfuhr aus dem Süden gekommen.

Er war an der schöngeschnörkelten Handschrift leicht zu erkennen: so schrieb
nur Willibald, der Vielgetreue. Was mochte es Neues in Nürnberg geben?
Die Zeiten dort unten waren schlimm genug.

Dürer erbrach den Brief mit Ungeduld. Gewiß — es mußte Unerfreu¬
liches sein, was Pirkheimer ihm mitzuteilen hatte, denn die sonst so schalkhafte
Anrede fehlte. Er nannte ihn heute bloß: „Mein Lieber."

Der Meister hatte nur allzu richtig vermutet! Nun hatte die Pest, die
unten in Nürnberg wütete, aufs neue zwei der lieben Getreuen hinweggerafft!
Nun war auch Steffen Paumgartner dahin, und der Peter Weisbecher, der
allzeit Unbekümmerte, hatte auch daran glauben müssen. Der Weisbecher hatte
ihn vor seiner Abfahrt nach den Niederlanden nicht wenig verhöhnt und ihn
einen Hasenschwanz genannt ob seiner Furcht vor der Pest. Der Gute konnte
ja nicht wissen, daß andere Dinge ihn aus Nürnberg fortgetrieben als die
Angst vor dem Tode.

Was schrieb der Pirkheimer weiteres?

„Item dem Jörgen Graff hat all sein groß Geschrey nit viel genützt. Ist
mir zwar gelungen, das peinlich Fragen von ihm abzuwenden, doch hat der
hohe Rath ihn auf ein Jahr im weißen Turm, so hinter dem Wildbad liegt,
zur Haft gesetzt. Indes, es war mein Bitten nit umbsunst, dieweil man ihn
vorzeit hat laufen lassen. Er hat nun Ursehd schwören müssen und ward mit
einer Zehrung gen Regensburg gefertigt, mit dem Verbot, für alle Zeit nit
wieder heimzukehren. Doch glaub' ich nit, daß dies ihn bessern wird. Es
geht betrüblich abwärts mit dem Jörg.

Item, es hat der Himmel ihn gar grausamlich vorausbestraft, dieweil sein
Kind Felicitas, müßt Ihr wissen, am Samstag nach Jakobi still und sanft in
Christo verschieden ist. Der allmächtig Gott sey ihr gnädig! Ihr wißt, sie
hat im Vorjahr schon den Bäcker Scherlin zum Mann genommen. Ist aber
kein vergnüglich Ehelied gewesen. Wie ziemt steh's auch, daß solch ein Maul¬
wurf ein Röslein schmauset oder solch ein Brummelbär den Schmetterling betazt?
Ja, ja, wie mag Euch jetzt zumute sein? Ich möcht Euch gern erheitern, wenn
ich's könnt, doch würgt's mir selbst ein weniges im Hals. Und immer frag'
ich schlimmer Sünder mich, und frag mich immer wieder: Habt Ihr auch recht
getan mit Eurem Wiesenzaun? Habt Ihr vielleicht die Lieb nicht von der Lust
ein wenig allzu streng getrennt? O Meister, lieber Meister, verzeiht, daß meinem
alten Hirn solch gotteslästerlich Zeug' entschlüpft. Wir sind ja all nur arme


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321485"/>
            <fw type="header" place="top"> Der Iviesenzaun</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1707"> So war man unversehens und allzufrüh zur Herberg gelangt, allwo nun<lb/>
Dürer mit den Seinen von den frohgemuten Brüdern in Apelles Abschied nahm.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1708"> Sie riefen ihm noch lange vor dem Hause zu, und er mußte sich am<lb/>
Fenster seines Stübchens zeigen. Dann zogen sie endlich mit Sang und<lb/>
Klang vorüber.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1709"> Schon früher hatte der Wirt dem Meister mitgeteilt, es läge ein Brief für<lb/>
ihn auf dem Tisch, der sei mit der Handelsfuhr aus dem Süden gekommen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1710"> Er war an der schöngeschnörkelten Handschrift leicht zu erkennen: so schrieb<lb/>
nur Willibald, der Vielgetreue. Was mochte es Neues in Nürnberg geben?<lb/>
Die Zeiten dort unten waren schlimm genug.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1711"> Dürer erbrach den Brief mit Ungeduld. Gewiß &#x2014; es mußte Unerfreu¬<lb/>
liches sein, was Pirkheimer ihm mitzuteilen hatte, denn die sonst so schalkhafte<lb/>
Anrede fehlte.  Er nannte ihn heute bloß: &#x201E;Mein Lieber."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1712"> Der Meister hatte nur allzu richtig vermutet! Nun hatte die Pest, die<lb/>
unten in Nürnberg wütete, aufs neue zwei der lieben Getreuen hinweggerafft!<lb/>
Nun war auch Steffen Paumgartner dahin, und der Peter Weisbecher, der<lb/>
allzeit Unbekümmerte, hatte auch daran glauben müssen. Der Weisbecher hatte<lb/>
ihn vor seiner Abfahrt nach den Niederlanden nicht wenig verhöhnt und ihn<lb/>
einen Hasenschwanz genannt ob seiner Furcht vor der Pest. Der Gute konnte<lb/>
ja nicht wissen, daß andere Dinge ihn aus Nürnberg fortgetrieben als die<lb/>
Angst vor dem Tode.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1713"> Was schrieb der Pirkheimer weiteres?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1714"> &#x201E;Item dem Jörgen Graff hat all sein groß Geschrey nit viel genützt. Ist<lb/>
mir zwar gelungen, das peinlich Fragen von ihm abzuwenden, doch hat der<lb/>
hohe Rath ihn auf ein Jahr im weißen Turm, so hinter dem Wildbad liegt,<lb/>
zur Haft gesetzt. Indes, es war mein Bitten nit umbsunst, dieweil man ihn<lb/>
vorzeit hat laufen lassen. Er hat nun Ursehd schwören müssen und ward mit<lb/>
einer Zehrung gen Regensburg gefertigt, mit dem Verbot, für alle Zeit nit<lb/>
wieder heimzukehren. Doch glaub' ich nit, daß dies ihn bessern wird. Es<lb/>
geht betrüblich abwärts mit dem Jörg.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1715" next="#ID_1716"> Item, es hat der Himmel ihn gar grausamlich vorausbestraft, dieweil sein<lb/>
Kind Felicitas, müßt Ihr wissen, am Samstag nach Jakobi still und sanft in<lb/>
Christo verschieden ist. Der allmächtig Gott sey ihr gnädig! Ihr wißt, sie<lb/>
hat im Vorjahr schon den Bäcker Scherlin zum Mann genommen. Ist aber<lb/>
kein vergnüglich Ehelied gewesen. Wie ziemt steh's auch, daß solch ein Maul¬<lb/>
wurf ein Röslein schmauset oder solch ein Brummelbär den Schmetterling betazt?<lb/>
Ja, ja, wie mag Euch jetzt zumute sein? Ich möcht Euch gern erheitern, wenn<lb/>
ich's könnt, doch würgt's mir selbst ein weniges im Hals. Und immer frag'<lb/>
ich schlimmer Sünder mich, und frag mich immer wieder: Habt Ihr auch recht<lb/>
getan mit Eurem Wiesenzaun? Habt Ihr vielleicht die Lieb nicht von der Lust<lb/>
ein wenig allzu streng getrennt? O Meister, lieber Meister, verzeiht, daß meinem<lb/>
alten Hirn solch gotteslästerlich Zeug' entschlüpft.  Wir sind ja all nur arme</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] Der Iviesenzaun So war man unversehens und allzufrüh zur Herberg gelangt, allwo nun Dürer mit den Seinen von den frohgemuten Brüdern in Apelles Abschied nahm. Sie riefen ihm noch lange vor dem Hause zu, und er mußte sich am Fenster seines Stübchens zeigen. Dann zogen sie endlich mit Sang und Klang vorüber. Schon früher hatte der Wirt dem Meister mitgeteilt, es läge ein Brief für ihn auf dem Tisch, der sei mit der Handelsfuhr aus dem Süden gekommen. Er war an der schöngeschnörkelten Handschrift leicht zu erkennen: so schrieb nur Willibald, der Vielgetreue. Was mochte es Neues in Nürnberg geben? Die Zeiten dort unten waren schlimm genug. Dürer erbrach den Brief mit Ungeduld. Gewiß — es mußte Unerfreu¬ liches sein, was Pirkheimer ihm mitzuteilen hatte, denn die sonst so schalkhafte Anrede fehlte. Er nannte ihn heute bloß: „Mein Lieber." Der Meister hatte nur allzu richtig vermutet! Nun hatte die Pest, die unten in Nürnberg wütete, aufs neue zwei der lieben Getreuen hinweggerafft! Nun war auch Steffen Paumgartner dahin, und der Peter Weisbecher, der allzeit Unbekümmerte, hatte auch daran glauben müssen. Der Weisbecher hatte ihn vor seiner Abfahrt nach den Niederlanden nicht wenig verhöhnt und ihn einen Hasenschwanz genannt ob seiner Furcht vor der Pest. Der Gute konnte ja nicht wissen, daß andere Dinge ihn aus Nürnberg fortgetrieben als die Angst vor dem Tode. Was schrieb der Pirkheimer weiteres? „Item dem Jörgen Graff hat all sein groß Geschrey nit viel genützt. Ist mir zwar gelungen, das peinlich Fragen von ihm abzuwenden, doch hat der hohe Rath ihn auf ein Jahr im weißen Turm, so hinter dem Wildbad liegt, zur Haft gesetzt. Indes, es war mein Bitten nit umbsunst, dieweil man ihn vorzeit hat laufen lassen. Er hat nun Ursehd schwören müssen und ward mit einer Zehrung gen Regensburg gefertigt, mit dem Verbot, für alle Zeit nit wieder heimzukehren. Doch glaub' ich nit, daß dies ihn bessern wird. Es geht betrüblich abwärts mit dem Jörg. Item, es hat der Himmel ihn gar grausamlich vorausbestraft, dieweil sein Kind Felicitas, müßt Ihr wissen, am Samstag nach Jakobi still und sanft in Christo verschieden ist. Der allmächtig Gott sey ihr gnädig! Ihr wißt, sie hat im Vorjahr schon den Bäcker Scherlin zum Mann genommen. Ist aber kein vergnüglich Ehelied gewesen. Wie ziemt steh's auch, daß solch ein Maul¬ wurf ein Röslein schmauset oder solch ein Brummelbär den Schmetterling betazt? Ja, ja, wie mag Euch jetzt zumute sein? Ich möcht Euch gern erheitern, wenn ich's könnt, doch würgt's mir selbst ein weniges im Hals. Und immer frag' ich schlimmer Sünder mich, und frag mich immer wieder: Habt Ihr auch recht getan mit Eurem Wiesenzaun? Habt Ihr vielleicht die Lieb nicht von der Lust ein wenig allzu streng getrennt? O Meister, lieber Meister, verzeiht, daß meinem alten Hirn solch gotteslästerlich Zeug' entschlüpft. Wir sind ja all nur arme

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/402>, abgerufen am 17.06.2024.