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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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China, Rußland und Lnroxa

am kräftigsten bedienen konnten, nur dann auf der Höhe ihres wirtschaftlichen
Einflusses in China verharren können, wenn sie es verstehen, den Bedürfnissen
des reichen chinesischen Marktes gerecht zu werden. Dazu aber wird wieder
eine möglichst schnelle und sichere Verbindung gehören, wie sie für Europa die
gedachte Linie Moskau--Peking zweifellos wäre.

Nach Lage der Dinge ist es in den letzten Jahren in steigendem Maße
die nordamerikanische Union gewesen, die aus der Eigenart des chinesischen
Eisenbahnnetzes Nutzen ziehen konnte. Das industrielle Nordamerika hat es
verstanden, trotzdem es bisher nur auf dieselbe Wasserstraße angewiesen war,
die auch Westeuropa zur Verfügung steht, nämlich auf den Suezkanal, zum
Beispiel die britische Konkurrenz ganz gehörig zu bedrängen und die russische
bis tief nach Sibirien hinein zu schlagen. Auch die deutsche Industrie steht im
fernen Osten mit Amerika in scharfem Wettbewerb.

Diese Verhältnisse müssen sich nach Eröffnung des Panamakanals noch
ganz erheblich zugunsten Amerikas ausgestalten. Und damit wird dann die
Frage lebendig, ob es denn Rußland allein ist, das ein Interesse am Bau
einer geraden Linie von Moskau nach Peking hat und ob sich nicht Deutschland,
Frankreich England und Belgien ebenso für den Bau der Bahn interessieren
müßten, wie das Reich der Zaren.

Es liegt nicht im Rahmen dieses Aufsatzes den Gedanken weiter auszu-
spinnen und die Bedeutung der neuen Linie für jedes einzelne Land und dessen
verschiedene Gewerbestände zu untersuchen. Vielleicht bietet sich dazu noch
Gelegenheit, sobald die schwebenden Verhandlungen weiter vorgeschritten sind.
Nur soviel soll nicht unerwähnt bleiben: Die einzelnen Völker und Staaten
werden je nach ihrer geographischen Lage und ihrer mehr agrarischen oder mehr
industriellen Entwicklung durchaus verschiedenartig Stellung zu dem Projekt
nehmen. Ernsterer Schwierigkeiten wird man sich aber wohl nur von seiten der
Amerikaner versehen dürfen, deren in der Fertigstellung des Panamakanals
liegender Sieg über Großbritannien durch eine direkte, gute Landverbindnng
zwischen Ostasien und Westeuropa erheblich an Bedeutung verlieren muß.

Dabei wird von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Absicht der
Träger des genialen Gedankens zur Verwirklichung kommt, eine in Rußland
und China konzessionierte Privatgesellschaft zu gründen. Gegen den Bau
dieser Eisenbahn von Staats wegen erheben sicki naturgemäß schwere Bedenken,
da einerseits die Bauzeit erheblich verlängert würde und somit die unproduktiven
Lasten, die Bauzinsen, ungeheuerlich wachsen könnten. Anderseits lehren die
Erfahrungen, die man mit russischen Staatsbahnen gemacht hat, mancherlei, was
nach unserer Auffassung die Absicht der neuen Bahn, nämlich die kürzeste und
sicherste Verbindung zwischen Westeuropa und Ostasien, in Frage stellt.

Die Geldbeschaffung kann Schwierigkeiten nicht bereiten. Die gesamte Bau-
summe, die auf rund 800 Millionen Rubel geschätzt wird, ist nicht so gewaltig,
daß ihre Aufbringung in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren nicht leicht


China, Rußland und Lnroxa

am kräftigsten bedienen konnten, nur dann auf der Höhe ihres wirtschaftlichen
Einflusses in China verharren können, wenn sie es verstehen, den Bedürfnissen
des reichen chinesischen Marktes gerecht zu werden. Dazu aber wird wieder
eine möglichst schnelle und sichere Verbindung gehören, wie sie für Europa die
gedachte Linie Moskau—Peking zweifellos wäre.

Nach Lage der Dinge ist es in den letzten Jahren in steigendem Maße
die nordamerikanische Union gewesen, die aus der Eigenart des chinesischen
Eisenbahnnetzes Nutzen ziehen konnte. Das industrielle Nordamerika hat es
verstanden, trotzdem es bisher nur auf dieselbe Wasserstraße angewiesen war,
die auch Westeuropa zur Verfügung steht, nämlich auf den Suezkanal, zum
Beispiel die britische Konkurrenz ganz gehörig zu bedrängen und die russische
bis tief nach Sibirien hinein zu schlagen. Auch die deutsche Industrie steht im
fernen Osten mit Amerika in scharfem Wettbewerb.

Diese Verhältnisse müssen sich nach Eröffnung des Panamakanals noch
ganz erheblich zugunsten Amerikas ausgestalten. Und damit wird dann die
Frage lebendig, ob es denn Rußland allein ist, das ein Interesse am Bau
einer geraden Linie von Moskau nach Peking hat und ob sich nicht Deutschland,
Frankreich England und Belgien ebenso für den Bau der Bahn interessieren
müßten, wie das Reich der Zaren.

Es liegt nicht im Rahmen dieses Aufsatzes den Gedanken weiter auszu-
spinnen und die Bedeutung der neuen Linie für jedes einzelne Land und dessen
verschiedene Gewerbestände zu untersuchen. Vielleicht bietet sich dazu noch
Gelegenheit, sobald die schwebenden Verhandlungen weiter vorgeschritten sind.
Nur soviel soll nicht unerwähnt bleiben: Die einzelnen Völker und Staaten
werden je nach ihrer geographischen Lage und ihrer mehr agrarischen oder mehr
industriellen Entwicklung durchaus verschiedenartig Stellung zu dem Projekt
nehmen. Ernsterer Schwierigkeiten wird man sich aber wohl nur von seiten der
Amerikaner versehen dürfen, deren in der Fertigstellung des Panamakanals
liegender Sieg über Großbritannien durch eine direkte, gute Landverbindnng
zwischen Ostasien und Westeuropa erheblich an Bedeutung verlieren muß.

Dabei wird von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Absicht der
Träger des genialen Gedankens zur Verwirklichung kommt, eine in Rußland
und China konzessionierte Privatgesellschaft zu gründen. Gegen den Bau
dieser Eisenbahn von Staats wegen erheben sicki naturgemäß schwere Bedenken,
da einerseits die Bauzeit erheblich verlängert würde und somit die unproduktiven
Lasten, die Bauzinsen, ungeheuerlich wachsen könnten. Anderseits lehren die
Erfahrungen, die man mit russischen Staatsbahnen gemacht hat, mancherlei, was
nach unserer Auffassung die Absicht der neuen Bahn, nämlich die kürzeste und
sicherste Verbindung zwischen Westeuropa und Ostasien, in Frage stellt.

Die Geldbeschaffung kann Schwierigkeiten nicht bereiten. Die gesamte Bau-
summe, die auf rund 800 Millionen Rubel geschätzt wird, ist nicht so gewaltig,
daß ihre Aufbringung in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren nicht leicht


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[0475] China, Rußland und Lnroxa am kräftigsten bedienen konnten, nur dann auf der Höhe ihres wirtschaftlichen Einflusses in China verharren können, wenn sie es verstehen, den Bedürfnissen des reichen chinesischen Marktes gerecht zu werden. Dazu aber wird wieder eine möglichst schnelle und sichere Verbindung gehören, wie sie für Europa die gedachte Linie Moskau—Peking zweifellos wäre. Nach Lage der Dinge ist es in den letzten Jahren in steigendem Maße die nordamerikanische Union gewesen, die aus der Eigenart des chinesischen Eisenbahnnetzes Nutzen ziehen konnte. Das industrielle Nordamerika hat es verstanden, trotzdem es bisher nur auf dieselbe Wasserstraße angewiesen war, die auch Westeuropa zur Verfügung steht, nämlich auf den Suezkanal, zum Beispiel die britische Konkurrenz ganz gehörig zu bedrängen und die russische bis tief nach Sibirien hinein zu schlagen. Auch die deutsche Industrie steht im fernen Osten mit Amerika in scharfem Wettbewerb. Diese Verhältnisse müssen sich nach Eröffnung des Panamakanals noch ganz erheblich zugunsten Amerikas ausgestalten. Und damit wird dann die Frage lebendig, ob es denn Rußland allein ist, das ein Interesse am Bau einer geraden Linie von Moskau nach Peking hat und ob sich nicht Deutschland, Frankreich England und Belgien ebenso für den Bau der Bahn interessieren müßten, wie das Reich der Zaren. Es liegt nicht im Rahmen dieses Aufsatzes den Gedanken weiter auszu- spinnen und die Bedeutung der neuen Linie für jedes einzelne Land und dessen verschiedene Gewerbestände zu untersuchen. Vielleicht bietet sich dazu noch Gelegenheit, sobald die schwebenden Verhandlungen weiter vorgeschritten sind. Nur soviel soll nicht unerwähnt bleiben: Die einzelnen Völker und Staaten werden je nach ihrer geographischen Lage und ihrer mehr agrarischen oder mehr industriellen Entwicklung durchaus verschiedenartig Stellung zu dem Projekt nehmen. Ernsterer Schwierigkeiten wird man sich aber wohl nur von seiten der Amerikaner versehen dürfen, deren in der Fertigstellung des Panamakanals liegender Sieg über Großbritannien durch eine direkte, gute Landverbindnng zwischen Ostasien und Westeuropa erheblich an Bedeutung verlieren muß. Dabei wird von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Absicht der Träger des genialen Gedankens zur Verwirklichung kommt, eine in Rußland und China konzessionierte Privatgesellschaft zu gründen. Gegen den Bau dieser Eisenbahn von Staats wegen erheben sicki naturgemäß schwere Bedenken, da einerseits die Bauzeit erheblich verlängert würde und somit die unproduktiven Lasten, die Bauzinsen, ungeheuerlich wachsen könnten. Anderseits lehren die Erfahrungen, die man mit russischen Staatsbahnen gemacht hat, mancherlei, was nach unserer Auffassung die Absicht der neuen Bahn, nämlich die kürzeste und sicherste Verbindung zwischen Westeuropa und Ostasien, in Frage stellt. Die Geldbeschaffung kann Schwierigkeiten nicht bereiten. Die gesamte Bau- summe, die auf rund 800 Millionen Rubel geschätzt wird, ist nicht so gewaltig, daß ihre Aufbringung in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren nicht leicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/475>, abgerufen am 17.06.2024.