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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

ängstlich festhalte, obwohl es weder die Aufgabe noch die Fähigkeit habe, die
Beziehungen der weißen zur schwarzen Rasse oder der Angehörigen der schwarzen
Rasse untereinander zu regeln. Die Ursachen der überspannten Anwendung des
der Eingeborenenjustiz inadäquaten Europäerrechts erblickt die Handelskammer
zunächst in der mangelnden Kenntnis der Eingeborenensprache und des
Eingeborenenrechts bei der Mehrzahl der zur Rechtsprechung berufenen
Beamten. Diese Ausstellungen möchten wir uns freilich nicht in vollem Umfange
zu eigen machen. Denn gerade in den letzten Jahren ist für die Ausbildung
der Kolonialbeamten in den Eingeborenensprachen außerordentlich viel geschehen;
allerdings ist der Erfolg dadurch beeinträchtigt, daß die Verwaltung sich immer
noch nicht entschlossen hat, gegen die Verwendung des Negerenglisch seitens der
Behörden energisch vorzugehen. Und was die Kenntnis des Eingeborenenrechts
anbetrifft, so läßt sich diese, wie der Bericht selbst ganz richtig sagt, "erst durch
langjährige Erfahrungen und gründliche Kenntnis des Charakters der Ein¬
geborenen" erwerben. Das einzige, was die Kolonialverwaltung in dieser
Richtung tun kann, ist, daß sie den "Lehrgang" der Eingeborenenrichter nicht
durch vermeidbare Versetzungen von einem Ort zum anderen unterbricht.
Zustimmung dagegen verdient es, wenn es die Handelskammer als einen schweren
Mißgriff der Verwaltung bezeichnet, daß die Eingeborenenrechtspflege unter die
Oberaufsicht des Oberrichters, d. h. der höchsten Instanz der Weißenrechtspflege,
gestellt ist. Denn wenn das Gesetz die Eingeborenenjustiz als Verwaltuugs-
angelegenheit, deren oberstes Prinzip die kolonialpolitische Zweckmäßigkeit ist,
behandelt und sie deshalb dem Bezirksamtmann überträgt, dann ist es wider¬
sinnig, an ihre Spitze einen Beamten zu stellen, der mit der aktiven Verwaltung
keine berufliche Fühlung hat; dessen Hauptberufstätigkeit vielmehr gerade darauf
abgestellt ist, Erwägungen der politischen Zweckmäßigkeit nicht zur Geltung
kommen zu lassen.

Die nachteiligen Folgen der unzeitgemäßer Europäisierung der Eingeborenen¬
rechtspflege werden dann näher nachgewiesen. Namentlich in der Strafjustiz
mache sich unter dem Druck der Zentralstelle eine humanisierende Tendenz geltend,
die von den Eingeborenen als Schwäche oder gar als Furcht gedeutet werde,
die Aufgabe des Bezirksamtmanns, kriegerische und unruhige Stämme im Zaum
zu halten, nicht eben erleichtere und eine steigende Kriminalität zur Folge habe.
Charakteristisch ist auch die Mitteilung, daß, als im Jahre 1909 eine Reihe von
Angehörigen des Ngumbastammes wegen gewerbsmäßiger Begehung von Dieb¬
stählen, Betrügereien, Unterschlagungen und Hehlereien zu geringen Freiheits¬
strafen verurteilt worden waren, Unzufriedenheit unter den Angesehenen jenes
Stammes entstand, weil die verhängten Strafen zu -- milde seien: die schuldigen
Landsleute müßten gehängt werden, weil auf andere Weise ihrem Treiben kein
Ziel gesetzt werde, und weil dieses Treiben den ganzen Stamm in Mißkredit
bringe. Auch wir glauben, daß diese Anschauung der Eingeborenen, welche die
deutsche Strafrechtslehre kurz als Abschreckungstheorie bezeichnet, von einer


Reichsspiegel

ängstlich festhalte, obwohl es weder die Aufgabe noch die Fähigkeit habe, die
Beziehungen der weißen zur schwarzen Rasse oder der Angehörigen der schwarzen
Rasse untereinander zu regeln. Die Ursachen der überspannten Anwendung des
der Eingeborenenjustiz inadäquaten Europäerrechts erblickt die Handelskammer
zunächst in der mangelnden Kenntnis der Eingeborenensprache und des
Eingeborenenrechts bei der Mehrzahl der zur Rechtsprechung berufenen
Beamten. Diese Ausstellungen möchten wir uns freilich nicht in vollem Umfange
zu eigen machen. Denn gerade in den letzten Jahren ist für die Ausbildung
der Kolonialbeamten in den Eingeborenensprachen außerordentlich viel geschehen;
allerdings ist der Erfolg dadurch beeinträchtigt, daß die Verwaltung sich immer
noch nicht entschlossen hat, gegen die Verwendung des Negerenglisch seitens der
Behörden energisch vorzugehen. Und was die Kenntnis des Eingeborenenrechts
anbetrifft, so läßt sich diese, wie der Bericht selbst ganz richtig sagt, „erst durch
langjährige Erfahrungen und gründliche Kenntnis des Charakters der Ein¬
geborenen" erwerben. Das einzige, was die Kolonialverwaltung in dieser
Richtung tun kann, ist, daß sie den „Lehrgang" der Eingeborenenrichter nicht
durch vermeidbare Versetzungen von einem Ort zum anderen unterbricht.
Zustimmung dagegen verdient es, wenn es die Handelskammer als einen schweren
Mißgriff der Verwaltung bezeichnet, daß die Eingeborenenrechtspflege unter die
Oberaufsicht des Oberrichters, d. h. der höchsten Instanz der Weißenrechtspflege,
gestellt ist. Denn wenn das Gesetz die Eingeborenenjustiz als Verwaltuugs-
angelegenheit, deren oberstes Prinzip die kolonialpolitische Zweckmäßigkeit ist,
behandelt und sie deshalb dem Bezirksamtmann überträgt, dann ist es wider¬
sinnig, an ihre Spitze einen Beamten zu stellen, der mit der aktiven Verwaltung
keine berufliche Fühlung hat; dessen Hauptberufstätigkeit vielmehr gerade darauf
abgestellt ist, Erwägungen der politischen Zweckmäßigkeit nicht zur Geltung
kommen zu lassen.

Die nachteiligen Folgen der unzeitgemäßer Europäisierung der Eingeborenen¬
rechtspflege werden dann näher nachgewiesen. Namentlich in der Strafjustiz
mache sich unter dem Druck der Zentralstelle eine humanisierende Tendenz geltend,
die von den Eingeborenen als Schwäche oder gar als Furcht gedeutet werde,
die Aufgabe des Bezirksamtmanns, kriegerische und unruhige Stämme im Zaum
zu halten, nicht eben erleichtere und eine steigende Kriminalität zur Folge habe.
Charakteristisch ist auch die Mitteilung, daß, als im Jahre 1909 eine Reihe von
Angehörigen des Ngumbastammes wegen gewerbsmäßiger Begehung von Dieb¬
stählen, Betrügereien, Unterschlagungen und Hehlereien zu geringen Freiheits¬
strafen verurteilt worden waren, Unzufriedenheit unter den Angesehenen jenes
Stammes entstand, weil die verhängten Strafen zu — milde seien: die schuldigen
Landsleute müßten gehängt werden, weil auf andere Weise ihrem Treiben kein
Ziel gesetzt werde, und weil dieses Treiben den ganzen Stamm in Mißkredit
bringe. Auch wir glauben, daß diese Anschauung der Eingeborenen, welche die
deutsche Strafrechtslehre kurz als Abschreckungstheorie bezeichnet, von einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/510>, abgerufen am 17.06.2024.