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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Strömungen innerhalb der Kcnirumspartei

gerichteten Bestrebungen prägte Julius Bachem mit der Überschrift seines
bekannten Artikels in den Historisch-politischen Blättern (Heft 5, 1906): "Wir
müssen aus dem Turm heraus".




Die erste praktische Arbeitsgemeinschaft für Katholiken und Nichtkatholiken
in größerem Maßstabe bildeten die christlichen Gewerkschaften. Ihre Gründung
ging von katholischer Seite aus; schon dieser Umstand genügte, sie bei der
nichtkatholischen Arbeiterschaft verdächtig zu machen, und es dauerte manches
Jahr, bis dort das Mißtrauen gegen sie zu schwinden begann. Erst in den
letzten Jahren sind ihnen in einzelnen Revieren auch Nichtkatholiken in größerer
Zahl beigeireten. Dabei haben gerade die christlichen Gewerkschaften von Anfang
an alles getan, um ihren Charakter als neutrale Organisation zu wahren. In
diesem ängstlichen Bestreben, den Nichtkatholiken und den Nichtzentrumsanhängeru
keinen Anlaß zum Anstoß zu geben, sind einzelne Führer der christlichen Gewerk¬
schaften mitunter sogar so weit gegangen, daß sie auf katholischer Seite und in
Zentrumskreisen Anlaß zu Tadel geboten haben. Um von manchem anderen
M schweigen, genügt es hier wohl, an die Vorgänge auf dem Züricher Kongreß
zu erinnern.

Die Gründung der christlichen Gewerkschaften sollte, wie betont, vor allem
der Arbeitsgemeinschaft zwischen Katholiken und Nichtkatholiken auf sozialem
Gebiete dienen und mit dazu beitragen, die in nichtkatholischen Kreisen gegen
die Katholiken gehegten Vorurteile zu verscheuchen. Sie sollte mit ihrer Aus-
scheidung des spezifisch konfessionellen Moments in nichtkatholischen Kreisen werbend
für die sozialen katholischen Anschauungen wirken und gleichzeitig das gemeinsame
christliche Bewußtsein stärken. Das tat sie auch, aber zugleich wirkte sie zer¬
splitternd in den eigenen katholischen Kreisen. Nach dem Fuldaer Pastorale
vom 22. August 1900, dem Begleitschreiben des Erzbischofs Dr. Nörder von
Freiburg vom 1. Oktober 1900, der Kölner Resolution des Ausschusses des
Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften (8. November 1900) und dem
dritten Kongreß der christlichen Gewerkschaften zu Krefeld (1901), auf dem
deren prinzipielle Stellung festgelegt wurde, trat die sogenannte Berliner Arbeiter-
bewegung ins Leben, die im Gegensatz zu den christlichen Gewerkschaften eine
Organisation der katholischen Arbeiterschaft -- auch in gewerkschaftlicher Hinsicht --
auf rein katholisch-konfessioneller Grundlage (in sogenannten Fachabteilungen)
verlangt.

Diese doppelte Organisierung der Arbeiterschaft in christlichen Gewerk¬
schaften und in katholischen Fachabteilungen führte naturnotwendig nicht nur
M einem schon durch die gegenseitige Konkurrenz gegebenen Kampf der beiden
Organisationen, ihrer Führer und Organe gegeneinander, sondern sie gab auch
den ersten Anlaß zur gegenseitigen Befehdung von Zentrumsangehörigen und
Zentrumsblättern. Dieser Streit zeitigte weiter, etwas im katholischen Deutschland


Strömungen innerhalb der Kcnirumspartei

gerichteten Bestrebungen prägte Julius Bachem mit der Überschrift seines
bekannten Artikels in den Historisch-politischen Blättern (Heft 5, 1906): „Wir
müssen aus dem Turm heraus".




Die erste praktische Arbeitsgemeinschaft für Katholiken und Nichtkatholiken
in größerem Maßstabe bildeten die christlichen Gewerkschaften. Ihre Gründung
ging von katholischer Seite aus; schon dieser Umstand genügte, sie bei der
nichtkatholischen Arbeiterschaft verdächtig zu machen, und es dauerte manches
Jahr, bis dort das Mißtrauen gegen sie zu schwinden begann. Erst in den
letzten Jahren sind ihnen in einzelnen Revieren auch Nichtkatholiken in größerer
Zahl beigeireten. Dabei haben gerade die christlichen Gewerkschaften von Anfang
an alles getan, um ihren Charakter als neutrale Organisation zu wahren. In
diesem ängstlichen Bestreben, den Nichtkatholiken und den Nichtzentrumsanhängeru
keinen Anlaß zum Anstoß zu geben, sind einzelne Führer der christlichen Gewerk¬
schaften mitunter sogar so weit gegangen, daß sie auf katholischer Seite und in
Zentrumskreisen Anlaß zu Tadel geboten haben. Um von manchem anderen
M schweigen, genügt es hier wohl, an die Vorgänge auf dem Züricher Kongreß
zu erinnern.

Die Gründung der christlichen Gewerkschaften sollte, wie betont, vor allem
der Arbeitsgemeinschaft zwischen Katholiken und Nichtkatholiken auf sozialem
Gebiete dienen und mit dazu beitragen, die in nichtkatholischen Kreisen gegen
die Katholiken gehegten Vorurteile zu verscheuchen. Sie sollte mit ihrer Aus-
scheidung des spezifisch konfessionellen Moments in nichtkatholischen Kreisen werbend
für die sozialen katholischen Anschauungen wirken und gleichzeitig das gemeinsame
christliche Bewußtsein stärken. Das tat sie auch, aber zugleich wirkte sie zer¬
splitternd in den eigenen katholischen Kreisen. Nach dem Fuldaer Pastorale
vom 22. August 1900, dem Begleitschreiben des Erzbischofs Dr. Nörder von
Freiburg vom 1. Oktober 1900, der Kölner Resolution des Ausschusses des
Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften (8. November 1900) und dem
dritten Kongreß der christlichen Gewerkschaften zu Krefeld (1901), auf dem
deren prinzipielle Stellung festgelegt wurde, trat die sogenannte Berliner Arbeiter-
bewegung ins Leben, die im Gegensatz zu den christlichen Gewerkschaften eine
Organisation der katholischen Arbeiterschaft — auch in gewerkschaftlicher Hinsicht —
auf rein katholisch-konfessioneller Grundlage (in sogenannten Fachabteilungen)
verlangt.

Diese doppelte Organisierung der Arbeiterschaft in christlichen Gewerk¬
schaften und in katholischen Fachabteilungen führte naturnotwendig nicht nur
M einem schon durch die gegenseitige Konkurrenz gegebenen Kampf der beiden
Organisationen, ihrer Führer und Organe gegeneinander, sondern sie gab auch
den ersten Anlaß zur gegenseitigen Befehdung von Zentrumsangehörigen und
Zentrumsblättern. Dieser Streit zeitigte weiter, etwas im katholischen Deutschland


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[0525] Strömungen innerhalb der Kcnirumspartei gerichteten Bestrebungen prägte Julius Bachem mit der Überschrift seines bekannten Artikels in den Historisch-politischen Blättern (Heft 5, 1906): „Wir müssen aus dem Turm heraus". Die erste praktische Arbeitsgemeinschaft für Katholiken und Nichtkatholiken in größerem Maßstabe bildeten die christlichen Gewerkschaften. Ihre Gründung ging von katholischer Seite aus; schon dieser Umstand genügte, sie bei der nichtkatholischen Arbeiterschaft verdächtig zu machen, und es dauerte manches Jahr, bis dort das Mißtrauen gegen sie zu schwinden begann. Erst in den letzten Jahren sind ihnen in einzelnen Revieren auch Nichtkatholiken in größerer Zahl beigeireten. Dabei haben gerade die christlichen Gewerkschaften von Anfang an alles getan, um ihren Charakter als neutrale Organisation zu wahren. In diesem ängstlichen Bestreben, den Nichtkatholiken und den Nichtzentrumsanhängeru keinen Anlaß zum Anstoß zu geben, sind einzelne Führer der christlichen Gewerk¬ schaften mitunter sogar so weit gegangen, daß sie auf katholischer Seite und in Zentrumskreisen Anlaß zu Tadel geboten haben. Um von manchem anderen M schweigen, genügt es hier wohl, an die Vorgänge auf dem Züricher Kongreß zu erinnern. Die Gründung der christlichen Gewerkschaften sollte, wie betont, vor allem der Arbeitsgemeinschaft zwischen Katholiken und Nichtkatholiken auf sozialem Gebiete dienen und mit dazu beitragen, die in nichtkatholischen Kreisen gegen die Katholiken gehegten Vorurteile zu verscheuchen. Sie sollte mit ihrer Aus- scheidung des spezifisch konfessionellen Moments in nichtkatholischen Kreisen werbend für die sozialen katholischen Anschauungen wirken und gleichzeitig das gemeinsame christliche Bewußtsein stärken. Das tat sie auch, aber zugleich wirkte sie zer¬ splitternd in den eigenen katholischen Kreisen. Nach dem Fuldaer Pastorale vom 22. August 1900, dem Begleitschreiben des Erzbischofs Dr. Nörder von Freiburg vom 1. Oktober 1900, der Kölner Resolution des Ausschusses des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften (8. November 1900) und dem dritten Kongreß der christlichen Gewerkschaften zu Krefeld (1901), auf dem deren prinzipielle Stellung festgelegt wurde, trat die sogenannte Berliner Arbeiter- bewegung ins Leben, die im Gegensatz zu den christlichen Gewerkschaften eine Organisation der katholischen Arbeiterschaft — auch in gewerkschaftlicher Hinsicht — auf rein katholisch-konfessioneller Grundlage (in sogenannten Fachabteilungen) verlangt. Diese doppelte Organisierung der Arbeiterschaft in christlichen Gewerk¬ schaften und in katholischen Fachabteilungen führte naturnotwendig nicht nur M einem schon durch die gegenseitige Konkurrenz gegebenen Kampf der beiden Organisationen, ihrer Führer und Organe gegeneinander, sondern sie gab auch den ersten Anlaß zur gegenseitigen Befehdung von Zentrumsangehörigen und Zentrumsblättern. Dieser Streit zeitigte weiter, etwas im katholischen Deutschland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/525>, abgerufen am 17.06.2024.