Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegel

aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß in dieser Bewegung viel Selbst¬
täuschung mit unterläuft. Anfänglich gab den Anstoß nur die börsentechnische
Situation: die Kontermine war stark engagiert; die Deckungskäufe, zu denen sie
bei dem unvermuteten Abbruch des Bergarbeiterstreiks schritt, gaben den ersten
Anlaß zu einer Aufwärtsbewegung der Kurse. Das Tempo, welches die letztere
einschlug, ließ aber deutlich erkennen, wie willkommen der Spekulation der
Tendenzumschlag war und mit welcher Begierde man danach strebte, die
Situation auszunutzen -- vielleicht gerade, weil ein letzter Nest von Unsicherheit
im Grunde bestehen blieb. Es wäre freilich zu weit gegangen, wollte man der
augenblicklichen Börsenkonstellation jede Berechtigung absprechen. Der Optimismus
saugte seine Kraft aus der Zuversicht, daß die Wirtschaftskonjunktur sich
auf ansteigendem Wege befinde. Diese Überzeugung hat im Grunde immer
bestanden; sie war aber durch die bedenklichen Begleiterscheinungen des ersten
Quartals stark zurückgedrängt worden. Nun gaben ihr Äußerungen bedeutender
Industriekapitäne und Bankleiter, die nicht etwa gelegentlich getan, sondern als
wohlüberlegte programmatische Erklärungen in den Generalversammlungen der
Öffentlichkeit übermittelt wurden, neue Nahrung. Soll man daran zweifeln,
daß die Grundlage unseres Wirtschaftslebens gesund ist, wenn Männer wie
Ballin und Kirdorf erklären, daß die Industrie sich in einer Hochkonjunktur
befinde, und wenn die gleiche Zuversicht vou deu Leitern der Großbanken
bekundet wird?

Zeigt doch auch die Entwicklung der Dinge in Amerika, daß dort ein
unverkennbarer Aufschwung eingesetzt hat, der seinen Ausgangspunkt von der
Besserung der Metallmärkte, insbesondere des Kupfermarktes nimmt. Der
Preis des roten Metalls ist im raschen Ansteigen begriffen; die Weltvorräte
sind stark gelichtet, und der Verbrauch wächst augenblicklich anscheinend noch
stärker als die Produktion. Aber dieser starke Einfluß des Kupfermarktes auf
die Tendenz und die Beurteilung der Konjunktur ruft die fatale Erinnerung
an die Jahre 1906 und 1907 wach. Auch damals war es die Kupferhausse,
die den Schlußstein im Gebäude der Hochkonjunktur bildete. In rapiden
Ansteigen wurde damals der Kupferpreis bis auf annähernd 120 Pfund Sterling
pro Tonne getrieben, und im Zusammenhang damit entfaltete sich eine zügel¬
lose Spekulation in Kupferaktien. Der Fall der großen Kupferfirma Heintze
in Neu' Bork gab dann das Signal zum allgemeinen Zusammenbruch: es trat
plötzlich zutage, welche enormen Vorräte aufgespeichert waren, wie man mit
falschen Statistiker die Öffentlichkeit getäuscht hatte, und wie hohl der Boden war,
auf dein ein solches Spekulationsgebäude sich auftürmte. Solche Erinnerungen
zur rechten Zeit vermögen recht heilsam zu wirken. Noch sind wir ja freilich
weit von ähnlichen Preisausschreilungcn entfernt; aber steht der Kupferpreis auch
erst auf 70 Pfund, so ist doch die Aufwärtsbewegung der letzten Wochen eine
beängstigend schnelle. Es fällt schwer zu glauben, daß sie nur auf gesunden
und nicht spekulativen Ursachen beruhen sollte.


Reichsspiegel

aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß in dieser Bewegung viel Selbst¬
täuschung mit unterläuft. Anfänglich gab den Anstoß nur die börsentechnische
Situation: die Kontermine war stark engagiert; die Deckungskäufe, zu denen sie
bei dem unvermuteten Abbruch des Bergarbeiterstreiks schritt, gaben den ersten
Anlaß zu einer Aufwärtsbewegung der Kurse. Das Tempo, welches die letztere
einschlug, ließ aber deutlich erkennen, wie willkommen der Spekulation der
Tendenzumschlag war und mit welcher Begierde man danach strebte, die
Situation auszunutzen — vielleicht gerade, weil ein letzter Nest von Unsicherheit
im Grunde bestehen blieb. Es wäre freilich zu weit gegangen, wollte man der
augenblicklichen Börsenkonstellation jede Berechtigung absprechen. Der Optimismus
saugte seine Kraft aus der Zuversicht, daß die Wirtschaftskonjunktur sich
auf ansteigendem Wege befinde. Diese Überzeugung hat im Grunde immer
bestanden; sie war aber durch die bedenklichen Begleiterscheinungen des ersten
Quartals stark zurückgedrängt worden. Nun gaben ihr Äußerungen bedeutender
Industriekapitäne und Bankleiter, die nicht etwa gelegentlich getan, sondern als
wohlüberlegte programmatische Erklärungen in den Generalversammlungen der
Öffentlichkeit übermittelt wurden, neue Nahrung. Soll man daran zweifeln,
daß die Grundlage unseres Wirtschaftslebens gesund ist, wenn Männer wie
Ballin und Kirdorf erklären, daß die Industrie sich in einer Hochkonjunktur
befinde, und wenn die gleiche Zuversicht vou deu Leitern der Großbanken
bekundet wird?

Zeigt doch auch die Entwicklung der Dinge in Amerika, daß dort ein
unverkennbarer Aufschwung eingesetzt hat, der seinen Ausgangspunkt von der
Besserung der Metallmärkte, insbesondere des Kupfermarktes nimmt. Der
Preis des roten Metalls ist im raschen Ansteigen begriffen; die Weltvorräte
sind stark gelichtet, und der Verbrauch wächst augenblicklich anscheinend noch
stärker als die Produktion. Aber dieser starke Einfluß des Kupfermarktes auf
die Tendenz und die Beurteilung der Konjunktur ruft die fatale Erinnerung
an die Jahre 1906 und 1907 wach. Auch damals war es die Kupferhausse,
die den Schlußstein im Gebäude der Hochkonjunktur bildete. In rapiden
Ansteigen wurde damals der Kupferpreis bis auf annähernd 120 Pfund Sterling
pro Tonne getrieben, und im Zusammenhang damit entfaltete sich eine zügel¬
lose Spekulation in Kupferaktien. Der Fall der großen Kupferfirma Heintze
in Neu' Bork gab dann das Signal zum allgemeinen Zusammenbruch: es trat
plötzlich zutage, welche enormen Vorräte aufgespeichert waren, wie man mit
falschen Statistiker die Öffentlichkeit getäuscht hatte, und wie hohl der Boden war,
auf dein ein solches Spekulationsgebäude sich auftürmte. Solche Erinnerungen
zur rechten Zeit vermögen recht heilsam zu wirken. Noch sind wir ja freilich
weit von ähnlichen Preisausschreilungcn entfernt; aber steht der Kupferpreis auch
erst auf 70 Pfund, so ist doch die Aufwärtsbewegung der letzten Wochen eine
beängstigend schnelle. Es fällt schwer zu glauben, daß sie nur auf gesunden
und nicht spekulativen Ursachen beruhen sollte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321140"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_160" prev="#ID_159"> aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß in dieser Bewegung viel Selbst¬<lb/>
täuschung mit unterläuft. Anfänglich gab den Anstoß nur die börsentechnische<lb/>
Situation: die Kontermine war stark engagiert; die Deckungskäufe, zu denen sie<lb/>
bei dem unvermuteten Abbruch des Bergarbeiterstreiks schritt, gaben den ersten<lb/>
Anlaß zu einer Aufwärtsbewegung der Kurse. Das Tempo, welches die letztere<lb/>
einschlug, ließ aber deutlich erkennen, wie willkommen der Spekulation der<lb/>
Tendenzumschlag war und mit welcher Begierde man danach strebte, die<lb/>
Situation auszunutzen &#x2014; vielleicht gerade, weil ein letzter Nest von Unsicherheit<lb/>
im Grunde bestehen blieb. Es wäre freilich zu weit gegangen, wollte man der<lb/>
augenblicklichen Börsenkonstellation jede Berechtigung absprechen. Der Optimismus<lb/>
saugte seine Kraft aus der Zuversicht, daß die Wirtschaftskonjunktur sich<lb/>
auf ansteigendem Wege befinde. Diese Überzeugung hat im Grunde immer<lb/>
bestanden; sie war aber durch die bedenklichen Begleiterscheinungen des ersten<lb/>
Quartals stark zurückgedrängt worden. Nun gaben ihr Äußerungen bedeutender<lb/>
Industriekapitäne und Bankleiter, die nicht etwa gelegentlich getan, sondern als<lb/>
wohlüberlegte programmatische Erklärungen in den Generalversammlungen der<lb/>
Öffentlichkeit übermittelt wurden, neue Nahrung. Soll man daran zweifeln,<lb/>
daß die Grundlage unseres Wirtschaftslebens gesund ist, wenn Männer wie<lb/>
Ballin und Kirdorf erklären, daß die Industrie sich in einer Hochkonjunktur<lb/>
befinde, und wenn die gleiche Zuversicht vou deu Leitern der Großbanken<lb/>
bekundet wird?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_161"> Zeigt doch auch die Entwicklung der Dinge in Amerika, daß dort ein<lb/>
unverkennbarer Aufschwung eingesetzt hat, der seinen Ausgangspunkt von der<lb/>
Besserung der Metallmärkte, insbesondere des Kupfermarktes nimmt. Der<lb/>
Preis des roten Metalls ist im raschen Ansteigen begriffen; die Weltvorräte<lb/>
sind stark gelichtet, und der Verbrauch wächst augenblicklich anscheinend noch<lb/>
stärker als die Produktion. Aber dieser starke Einfluß des Kupfermarktes auf<lb/>
die Tendenz und die Beurteilung der Konjunktur ruft die fatale Erinnerung<lb/>
an die Jahre 1906 und 1907 wach. Auch damals war es die Kupferhausse,<lb/>
die den Schlußstein im Gebäude der Hochkonjunktur bildete. In rapiden<lb/>
Ansteigen wurde damals der Kupferpreis bis auf annähernd 120 Pfund Sterling<lb/>
pro Tonne getrieben, und im Zusammenhang damit entfaltete sich eine zügel¬<lb/>
lose Spekulation in Kupferaktien. Der Fall der großen Kupferfirma Heintze<lb/>
in Neu' Bork gab dann das Signal zum allgemeinen Zusammenbruch: es trat<lb/>
plötzlich zutage, welche enormen Vorräte aufgespeichert waren, wie man mit<lb/>
falschen Statistiker die Öffentlichkeit getäuscht hatte, und wie hohl der Boden war,<lb/>
auf dein ein solches Spekulationsgebäude sich auftürmte. Solche Erinnerungen<lb/>
zur rechten Zeit vermögen recht heilsam zu wirken. Noch sind wir ja freilich<lb/>
weit von ähnlichen Preisausschreilungcn entfernt; aber steht der Kupferpreis auch<lb/>
erst auf 70 Pfund, so ist doch die Aufwärtsbewegung der letzten Wochen eine<lb/>
beängstigend schnelle. Es fällt schwer zu glauben, daß sie nur auf gesunden<lb/>
und nicht spekulativen Ursachen beruhen sollte.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] Reichsspiegel aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß in dieser Bewegung viel Selbst¬ täuschung mit unterläuft. Anfänglich gab den Anstoß nur die börsentechnische Situation: die Kontermine war stark engagiert; die Deckungskäufe, zu denen sie bei dem unvermuteten Abbruch des Bergarbeiterstreiks schritt, gaben den ersten Anlaß zu einer Aufwärtsbewegung der Kurse. Das Tempo, welches die letztere einschlug, ließ aber deutlich erkennen, wie willkommen der Spekulation der Tendenzumschlag war und mit welcher Begierde man danach strebte, die Situation auszunutzen — vielleicht gerade, weil ein letzter Nest von Unsicherheit im Grunde bestehen blieb. Es wäre freilich zu weit gegangen, wollte man der augenblicklichen Börsenkonstellation jede Berechtigung absprechen. Der Optimismus saugte seine Kraft aus der Zuversicht, daß die Wirtschaftskonjunktur sich auf ansteigendem Wege befinde. Diese Überzeugung hat im Grunde immer bestanden; sie war aber durch die bedenklichen Begleiterscheinungen des ersten Quartals stark zurückgedrängt worden. Nun gaben ihr Äußerungen bedeutender Industriekapitäne und Bankleiter, die nicht etwa gelegentlich getan, sondern als wohlüberlegte programmatische Erklärungen in den Generalversammlungen der Öffentlichkeit übermittelt wurden, neue Nahrung. Soll man daran zweifeln, daß die Grundlage unseres Wirtschaftslebens gesund ist, wenn Männer wie Ballin und Kirdorf erklären, daß die Industrie sich in einer Hochkonjunktur befinde, und wenn die gleiche Zuversicht vou deu Leitern der Großbanken bekundet wird? Zeigt doch auch die Entwicklung der Dinge in Amerika, daß dort ein unverkennbarer Aufschwung eingesetzt hat, der seinen Ausgangspunkt von der Besserung der Metallmärkte, insbesondere des Kupfermarktes nimmt. Der Preis des roten Metalls ist im raschen Ansteigen begriffen; die Weltvorräte sind stark gelichtet, und der Verbrauch wächst augenblicklich anscheinend noch stärker als die Produktion. Aber dieser starke Einfluß des Kupfermarktes auf die Tendenz und die Beurteilung der Konjunktur ruft die fatale Erinnerung an die Jahre 1906 und 1907 wach. Auch damals war es die Kupferhausse, die den Schlußstein im Gebäude der Hochkonjunktur bildete. In rapiden Ansteigen wurde damals der Kupferpreis bis auf annähernd 120 Pfund Sterling pro Tonne getrieben, und im Zusammenhang damit entfaltete sich eine zügel¬ lose Spekulation in Kupferaktien. Der Fall der großen Kupferfirma Heintze in Neu' Bork gab dann das Signal zum allgemeinen Zusammenbruch: es trat plötzlich zutage, welche enormen Vorräte aufgespeichert waren, wie man mit falschen Statistiker die Öffentlichkeit getäuscht hatte, und wie hohl der Boden war, auf dein ein solches Spekulationsgebäude sich auftürmte. Solche Erinnerungen zur rechten Zeit vermögen recht heilsam zu wirken. Noch sind wir ja freilich weit von ähnlichen Preisausschreilungcn entfernt; aber steht der Kupferpreis auch erst auf 70 Pfund, so ist doch die Aufwärtsbewegung der letzten Wochen eine beängstigend schnelle. Es fällt schwer zu glauben, daß sie nur auf gesunden und nicht spekulativen Ursachen beruhen sollte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/57
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/57>, abgerufen am 17.06.2024.