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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und Schweden

Von Norwegen erübrigt es sich zu sprechen, da dieses Land ja erst seit
sieben Jahren selbständig ist, und ihm zur Beeinflussung kontinentaler Ver¬
hältnisse bisher Wille, Fähigkeit und Gelegenheit fehlte.

Als voller Gegensatz zur Geschichte Dänemarks stellt sich die Schwedens
dar. Immer wieder im Ablauf der Jahrhunderte stoßen in abenteuerlich ver¬
wegenen Kriegszug Schwedenkönige in das Machtgefüge Europas und Asiens
hinein, tragen die drei Kronen ihres Wappens bis über die Donau und den
Rhein, durch Polen und Schlesien bis an die Grenzen der Türkei -- und müssen
doch schließlich immer ihre ingrimmig kämpfenden, verbindenden Scharen zurück¬
ziehen und in den Waldtälern der Heimat einsam verharren, bis sie nach
wiederum hundert oder mehr Jahren ein neuer Sturm vorwärtsreißt. Die
Motive der schwedischen Politik sind fast nie Fragen des wirtschaftlichen Aus¬
kommens; oft liegen sie in vermeintlichen oder wirklichen Ehrenkränkungen, oder
im treuen Festhalten an geschlossenen Bündnissen, meist im reinen Willen zur
Tat und zur Macht; deshalb ist sie wagemutig, Gefahr verachtend, oft über-
schwänglich, stolz und repräsentativ, stets im besten Sinne adelig/)

Das Bezeichnendste an schwedischer Geschichte aber ist ihr wogenförmiger
Gang, ihr starkes Vorwärtsdrängen, das in nahezu regelmäßigen Abständen
mit Zeiten des Abschwellens und Zurücksinkens wechselt.

Heute nun, wo hundertzweiundzwanzig Jahre vergangen sind, seit Gustav
der Dritte, der Neffe Friedrichs des Großen, die russische Flottenübermacht im
Svenskasunde schlug, scheint sich eine neue tätige Anteilnahme Schwedens am
Leben Europas wieder anzubahnen.

Zwar besteht in den stilleren Bezirken der Wissenschaft und der Kunst, wie
auch in der Technik schon längst eine tiefer und tiefer dringende Verwachsenheit.
Nunmehr aber scheint auch die Zeit gekommen zu sein, in der der Schwede
das Wort "äußere Politik" nicht mehr meidet oder besten Falles mit saurem
Lächeln ausspricht. Den äußeren Anstoß, der diese innerliche Wandlung zum
Vorschein kommen läßt, bildet das Verhalten Rußlands Finnland gegenüber,
das nach der Revolution einen noch aggressiveren Charakter angenommen hat,
als es zur Zeit Plehwes und Bobrikows schon hatte. Man weiß ja, wie von
jeher das innigste Streben der Zaren auf den Weg zum offenen Meer gerichtet
war, wie er ihnen aber im Süden durch England-Indien und die Türkei, im
Osten nunmehr auch durch Japan versperrt worden ist. Es bleibt für Rußland
also nur der Vorstoß gegen Nordwesten übrig, und zu dem scheint es sich jetzt
zu rüsten. Von jeher hat man im schwedischen Volke von dieser chronischen
Bedrohung gewußt, hat sich aber -- obwohl sie bereits nacheinander Ingerman-
land, Estland und Livland, Karelen und Finnland gekostet hat -- darauf
verlassen, daß "England und Deutschland Einspruch erheben würden"; damit
hat man sich so an die Gefahr gewöhnt, daß man sie schließlich kaum noch sah.



*') Es ist Wohl auch kein Zufall, daß einige der in Deutschland berühmtesten Offiziers¬
geschlechter schwedische Namen führen, wie Klinckowström, Lindeauist, Wrangel, Wulffcrona.
Deutschland und Schweden

Von Norwegen erübrigt es sich zu sprechen, da dieses Land ja erst seit
sieben Jahren selbständig ist, und ihm zur Beeinflussung kontinentaler Ver¬
hältnisse bisher Wille, Fähigkeit und Gelegenheit fehlte.

Als voller Gegensatz zur Geschichte Dänemarks stellt sich die Schwedens
dar. Immer wieder im Ablauf der Jahrhunderte stoßen in abenteuerlich ver¬
wegenen Kriegszug Schwedenkönige in das Machtgefüge Europas und Asiens
hinein, tragen die drei Kronen ihres Wappens bis über die Donau und den
Rhein, durch Polen und Schlesien bis an die Grenzen der Türkei — und müssen
doch schließlich immer ihre ingrimmig kämpfenden, verbindenden Scharen zurück¬
ziehen und in den Waldtälern der Heimat einsam verharren, bis sie nach
wiederum hundert oder mehr Jahren ein neuer Sturm vorwärtsreißt. Die
Motive der schwedischen Politik sind fast nie Fragen des wirtschaftlichen Aus¬
kommens; oft liegen sie in vermeintlichen oder wirklichen Ehrenkränkungen, oder
im treuen Festhalten an geschlossenen Bündnissen, meist im reinen Willen zur
Tat und zur Macht; deshalb ist sie wagemutig, Gefahr verachtend, oft über-
schwänglich, stolz und repräsentativ, stets im besten Sinne adelig/)

Das Bezeichnendste an schwedischer Geschichte aber ist ihr wogenförmiger
Gang, ihr starkes Vorwärtsdrängen, das in nahezu regelmäßigen Abständen
mit Zeiten des Abschwellens und Zurücksinkens wechselt.

Heute nun, wo hundertzweiundzwanzig Jahre vergangen sind, seit Gustav
der Dritte, der Neffe Friedrichs des Großen, die russische Flottenübermacht im
Svenskasunde schlug, scheint sich eine neue tätige Anteilnahme Schwedens am
Leben Europas wieder anzubahnen.

Zwar besteht in den stilleren Bezirken der Wissenschaft und der Kunst, wie
auch in der Technik schon längst eine tiefer und tiefer dringende Verwachsenheit.
Nunmehr aber scheint auch die Zeit gekommen zu sein, in der der Schwede
das Wort „äußere Politik" nicht mehr meidet oder besten Falles mit saurem
Lächeln ausspricht. Den äußeren Anstoß, der diese innerliche Wandlung zum
Vorschein kommen läßt, bildet das Verhalten Rußlands Finnland gegenüber,
das nach der Revolution einen noch aggressiveren Charakter angenommen hat,
als es zur Zeit Plehwes und Bobrikows schon hatte. Man weiß ja, wie von
jeher das innigste Streben der Zaren auf den Weg zum offenen Meer gerichtet
war, wie er ihnen aber im Süden durch England-Indien und die Türkei, im
Osten nunmehr auch durch Japan versperrt worden ist. Es bleibt für Rußland
also nur der Vorstoß gegen Nordwesten übrig, und zu dem scheint es sich jetzt
zu rüsten. Von jeher hat man im schwedischen Volke von dieser chronischen
Bedrohung gewußt, hat sich aber — obwohl sie bereits nacheinander Ingerman-
land, Estland und Livland, Karelen und Finnland gekostet hat — darauf
verlassen, daß „England und Deutschland Einspruch erheben würden"; damit
hat man sich so an die Gefahr gewöhnt, daß man sie schließlich kaum noch sah.



*') Es ist Wohl auch kein Zufall, daß einige der in Deutschland berühmtesten Offiziers¬
geschlechter schwedische Namen führen, wie Klinckowström, Lindeauist, Wrangel, Wulffcrona.
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[0610] Deutschland und Schweden Von Norwegen erübrigt es sich zu sprechen, da dieses Land ja erst seit sieben Jahren selbständig ist, und ihm zur Beeinflussung kontinentaler Ver¬ hältnisse bisher Wille, Fähigkeit und Gelegenheit fehlte. Als voller Gegensatz zur Geschichte Dänemarks stellt sich die Schwedens dar. Immer wieder im Ablauf der Jahrhunderte stoßen in abenteuerlich ver¬ wegenen Kriegszug Schwedenkönige in das Machtgefüge Europas und Asiens hinein, tragen die drei Kronen ihres Wappens bis über die Donau und den Rhein, durch Polen und Schlesien bis an die Grenzen der Türkei — und müssen doch schließlich immer ihre ingrimmig kämpfenden, verbindenden Scharen zurück¬ ziehen und in den Waldtälern der Heimat einsam verharren, bis sie nach wiederum hundert oder mehr Jahren ein neuer Sturm vorwärtsreißt. Die Motive der schwedischen Politik sind fast nie Fragen des wirtschaftlichen Aus¬ kommens; oft liegen sie in vermeintlichen oder wirklichen Ehrenkränkungen, oder im treuen Festhalten an geschlossenen Bündnissen, meist im reinen Willen zur Tat und zur Macht; deshalb ist sie wagemutig, Gefahr verachtend, oft über- schwänglich, stolz und repräsentativ, stets im besten Sinne adelig/) Das Bezeichnendste an schwedischer Geschichte aber ist ihr wogenförmiger Gang, ihr starkes Vorwärtsdrängen, das in nahezu regelmäßigen Abständen mit Zeiten des Abschwellens und Zurücksinkens wechselt. Heute nun, wo hundertzweiundzwanzig Jahre vergangen sind, seit Gustav der Dritte, der Neffe Friedrichs des Großen, die russische Flottenübermacht im Svenskasunde schlug, scheint sich eine neue tätige Anteilnahme Schwedens am Leben Europas wieder anzubahnen. Zwar besteht in den stilleren Bezirken der Wissenschaft und der Kunst, wie auch in der Technik schon längst eine tiefer und tiefer dringende Verwachsenheit. Nunmehr aber scheint auch die Zeit gekommen zu sein, in der der Schwede das Wort „äußere Politik" nicht mehr meidet oder besten Falles mit saurem Lächeln ausspricht. Den äußeren Anstoß, der diese innerliche Wandlung zum Vorschein kommen läßt, bildet das Verhalten Rußlands Finnland gegenüber, das nach der Revolution einen noch aggressiveren Charakter angenommen hat, als es zur Zeit Plehwes und Bobrikows schon hatte. Man weiß ja, wie von jeher das innigste Streben der Zaren auf den Weg zum offenen Meer gerichtet war, wie er ihnen aber im Süden durch England-Indien und die Türkei, im Osten nunmehr auch durch Japan versperrt worden ist. Es bleibt für Rußland also nur der Vorstoß gegen Nordwesten übrig, und zu dem scheint es sich jetzt zu rüsten. Von jeher hat man im schwedischen Volke von dieser chronischen Bedrohung gewußt, hat sich aber — obwohl sie bereits nacheinander Ingerman- land, Estland und Livland, Karelen und Finnland gekostet hat — darauf verlassen, daß „England und Deutschland Einspruch erheben würden"; damit hat man sich so an die Gefahr gewöhnt, daß man sie schließlich kaum noch sah. *') Es ist Wohl auch kein Zufall, daß einige der in Deutschland berühmtesten Offiziers¬ geschlechter schwedische Namen führen, wie Klinckowström, Lindeauist, Wrangel, Wulffcrona.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/610>, abgerufen am 17.06.2024.