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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Aus der deutschen Bergarbeiterbewegung

schärfsten Kritik ausgesetzt, und die Arbeiterschaft war trotz Kontraktbruch und
Ausschreitungen gegen Arbeitswillige der Gegenstand der lebhaften Sympathien
des Publikums gewesen. Das ist diesmal völlig anders verlaufen. Der Streik
von 1912 dauerte vom 10. März bis zum 19. März; von Anfang an machte
ein beträchtlicher Teil der Organisierten, nämlich die Christlichen und die nationalen,
nicht mit, und die Sympathie im bürgerlichen Lager beschränkte sich auf demo¬
kratische und freisinnige Kreise, die dem in den Streik verwickelten Hirsch-
Dunckerschen Verband zu sekundieren sich verpflichtet fühlten. Gewiß waren
auch diesmal wirtschaftliche Forderungen gestellt worden, aber es herrschte doch
bei Unbefangenen die Meinung vor, daß nicht diese Forderungen, sondern die
Machtpolitik des Alten Verbandes, daß sozialistische und internationale Fragen
diesmal den Ausschlag gegeben haben. Und gerade das hat den schnellen
moralischen und tatsächlichen Zusammenbruch des Lohnkampfes in acht Tagen
herbeigeführt, des Lohnkampfes, an dem auch während der höchsten Entwicklung
nicht mehr als 60 Prozent der vorhandenen 350000 Arbeiter beteiligt waren.
Die Wandlung der öffentlichen Meinung kann kaum zurückgeführt werden auf
ein größeres Verständnis des Publikums für die heutige Arbeiterbewegung und
ihre Schwächen an sich, sondern sie ist im wesentlichen daraus zu erklären, daß
die Arbeitgeber seit Jahren straff organisiert sind, daß die Gewerkschaften uneinig
waren, daß es an zureichenden Gründen für einen verschärften Konflikt mangelte,
daß die Zechenverwaltungen über einen vortrefflichen Aufklärungsdienst verfügten,
und daß auch nur die Möglichkeit eines Sympathiestreiks zugunsten der eng¬
lischen Bergarbeiter die Sache bei uns unvolkstümlich machen mußte. Außerdem
fehlten in den Forderungen der streikenden Bergarbeiter die packenden Momente
des Jahres 1905: Wagennullen und Zechenstillegung. Gegenüber den heurigen
zehn Beschwerdepunkten gelang es dem Zechenverbande verhältnismäßig leicht
nachzuweisen, daß darum eine Zerrüttung unseres industriellen Lebens nicht
riskiert werden dürfe, zumal da bei dem wichtigsten Punkte, bei der Lohnfrage,
längst vor dem Streik der Zechenverband bedeutende Verbesserungen gewährt
und weitere in Aussicht gestellt hatte.

Die Forderungen, die von den drei Verbänden, dem Alten Verband, der
Polnischen Berufsvereinigung und dem Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein, auf¬
gestellt waren, zielten ab auf 15prozentige Lohnerhöhung für alle Arbeiter/ auf
Änderung der Lohnzahlungstermine, auf Verkürzung der Arbeitszeit, ans
Einschränkung der Überschichten, aus das Wohnwesen, auf paritätischen Arbeits¬
nachweis, Abänderung der Strafen, paritätische Schiedsgerichte und Gewährung
von alkoholfreien Getränken. Man hat den Eindruck, als seien hier mühselig
recht viele Beschwerden und Wünsche zusammengestellt worden. In manchen
Punkten ist die Entwicklung im Fluß, und die Diplomatie der beiden Mächte
kämpft um dies oder jenes Zugeständnis, aber niemals können jene Forderungen
selbst in ihrer Gesamtheit ein so schroffes und unbesonnenes Vorgehen der
Arbeiter rechtfertigen, wie es der Streik von 1912 darstellt. Zunächst die Lohn-


Aus der deutschen Bergarbeiterbewegung

schärfsten Kritik ausgesetzt, und die Arbeiterschaft war trotz Kontraktbruch und
Ausschreitungen gegen Arbeitswillige der Gegenstand der lebhaften Sympathien
des Publikums gewesen. Das ist diesmal völlig anders verlaufen. Der Streik
von 1912 dauerte vom 10. März bis zum 19. März; von Anfang an machte
ein beträchtlicher Teil der Organisierten, nämlich die Christlichen und die nationalen,
nicht mit, und die Sympathie im bürgerlichen Lager beschränkte sich auf demo¬
kratische und freisinnige Kreise, die dem in den Streik verwickelten Hirsch-
Dunckerschen Verband zu sekundieren sich verpflichtet fühlten. Gewiß waren
auch diesmal wirtschaftliche Forderungen gestellt worden, aber es herrschte doch
bei Unbefangenen die Meinung vor, daß nicht diese Forderungen, sondern die
Machtpolitik des Alten Verbandes, daß sozialistische und internationale Fragen
diesmal den Ausschlag gegeben haben. Und gerade das hat den schnellen
moralischen und tatsächlichen Zusammenbruch des Lohnkampfes in acht Tagen
herbeigeführt, des Lohnkampfes, an dem auch während der höchsten Entwicklung
nicht mehr als 60 Prozent der vorhandenen 350000 Arbeiter beteiligt waren.
Die Wandlung der öffentlichen Meinung kann kaum zurückgeführt werden auf
ein größeres Verständnis des Publikums für die heutige Arbeiterbewegung und
ihre Schwächen an sich, sondern sie ist im wesentlichen daraus zu erklären, daß
die Arbeitgeber seit Jahren straff organisiert sind, daß die Gewerkschaften uneinig
waren, daß es an zureichenden Gründen für einen verschärften Konflikt mangelte,
daß die Zechenverwaltungen über einen vortrefflichen Aufklärungsdienst verfügten,
und daß auch nur die Möglichkeit eines Sympathiestreiks zugunsten der eng¬
lischen Bergarbeiter die Sache bei uns unvolkstümlich machen mußte. Außerdem
fehlten in den Forderungen der streikenden Bergarbeiter die packenden Momente
des Jahres 1905: Wagennullen und Zechenstillegung. Gegenüber den heurigen
zehn Beschwerdepunkten gelang es dem Zechenverbande verhältnismäßig leicht
nachzuweisen, daß darum eine Zerrüttung unseres industriellen Lebens nicht
riskiert werden dürfe, zumal da bei dem wichtigsten Punkte, bei der Lohnfrage,
längst vor dem Streik der Zechenverband bedeutende Verbesserungen gewährt
und weitere in Aussicht gestellt hatte.

Die Forderungen, die von den drei Verbänden, dem Alten Verband, der
Polnischen Berufsvereinigung und dem Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein, auf¬
gestellt waren, zielten ab auf 15prozentige Lohnerhöhung für alle Arbeiter/ auf
Änderung der Lohnzahlungstermine, auf Verkürzung der Arbeitszeit, ans
Einschränkung der Überschichten, aus das Wohnwesen, auf paritätischen Arbeits¬
nachweis, Abänderung der Strafen, paritätische Schiedsgerichte und Gewährung
von alkoholfreien Getränken. Man hat den Eindruck, als seien hier mühselig
recht viele Beschwerden und Wünsche zusammengestellt worden. In manchen
Punkten ist die Entwicklung im Fluß, und die Diplomatie der beiden Mächte
kämpft um dies oder jenes Zugeständnis, aber niemals können jene Forderungen
selbst in ihrer Gesamtheit ein so schroffes und unbesonnenes Vorgehen der
Arbeiter rechtfertigen, wie es der Streik von 1912 darstellt. Zunächst die Lohn-


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[0062] Aus der deutschen Bergarbeiterbewegung schärfsten Kritik ausgesetzt, und die Arbeiterschaft war trotz Kontraktbruch und Ausschreitungen gegen Arbeitswillige der Gegenstand der lebhaften Sympathien des Publikums gewesen. Das ist diesmal völlig anders verlaufen. Der Streik von 1912 dauerte vom 10. März bis zum 19. März; von Anfang an machte ein beträchtlicher Teil der Organisierten, nämlich die Christlichen und die nationalen, nicht mit, und die Sympathie im bürgerlichen Lager beschränkte sich auf demo¬ kratische und freisinnige Kreise, die dem in den Streik verwickelten Hirsch- Dunckerschen Verband zu sekundieren sich verpflichtet fühlten. Gewiß waren auch diesmal wirtschaftliche Forderungen gestellt worden, aber es herrschte doch bei Unbefangenen die Meinung vor, daß nicht diese Forderungen, sondern die Machtpolitik des Alten Verbandes, daß sozialistische und internationale Fragen diesmal den Ausschlag gegeben haben. Und gerade das hat den schnellen moralischen und tatsächlichen Zusammenbruch des Lohnkampfes in acht Tagen herbeigeführt, des Lohnkampfes, an dem auch während der höchsten Entwicklung nicht mehr als 60 Prozent der vorhandenen 350000 Arbeiter beteiligt waren. Die Wandlung der öffentlichen Meinung kann kaum zurückgeführt werden auf ein größeres Verständnis des Publikums für die heutige Arbeiterbewegung und ihre Schwächen an sich, sondern sie ist im wesentlichen daraus zu erklären, daß die Arbeitgeber seit Jahren straff organisiert sind, daß die Gewerkschaften uneinig waren, daß es an zureichenden Gründen für einen verschärften Konflikt mangelte, daß die Zechenverwaltungen über einen vortrefflichen Aufklärungsdienst verfügten, und daß auch nur die Möglichkeit eines Sympathiestreiks zugunsten der eng¬ lischen Bergarbeiter die Sache bei uns unvolkstümlich machen mußte. Außerdem fehlten in den Forderungen der streikenden Bergarbeiter die packenden Momente des Jahres 1905: Wagennullen und Zechenstillegung. Gegenüber den heurigen zehn Beschwerdepunkten gelang es dem Zechenverbande verhältnismäßig leicht nachzuweisen, daß darum eine Zerrüttung unseres industriellen Lebens nicht riskiert werden dürfe, zumal da bei dem wichtigsten Punkte, bei der Lohnfrage, längst vor dem Streik der Zechenverband bedeutende Verbesserungen gewährt und weitere in Aussicht gestellt hatte. Die Forderungen, die von den drei Verbänden, dem Alten Verband, der Polnischen Berufsvereinigung und dem Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein, auf¬ gestellt waren, zielten ab auf 15prozentige Lohnerhöhung für alle Arbeiter/ auf Änderung der Lohnzahlungstermine, auf Verkürzung der Arbeitszeit, ans Einschränkung der Überschichten, aus das Wohnwesen, auf paritätischen Arbeits¬ nachweis, Abänderung der Strafen, paritätische Schiedsgerichte und Gewährung von alkoholfreien Getränken. Man hat den Eindruck, als seien hier mühselig recht viele Beschwerden und Wünsche zusammengestellt worden. In manchen Punkten ist die Entwicklung im Fluß, und die Diplomatie der beiden Mächte kämpft um dies oder jenes Zugeständnis, aber niemals können jene Forderungen selbst in ihrer Gesamtheit ein so schroffes und unbesonnenes Vorgehen der Arbeiter rechtfertigen, wie es der Streik von 1912 darstellt. Zunächst die Lohn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/62>, abgerufen am 17.06.2024.