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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Zusammenhänge zwischen (Österreich und Deutschland

aber mehr als je kennzeichnet heute die Beziehungen zwischen Deutschland und
Österreich die deutsche Treue.

Das deutsche Volk im großen Deutschen Reiche und die Deutschen in Öster¬
reich bilden mit ihren Stammesbrüdern in der Schweiz eine große Volks¬
gemeinschaft. Die Grenzen der Staaten durchschneiden zwar das weitausgedehnte
deutsche Besiedlungsgebiet, die Volksseele ist aber dies- und jenseits dieser Grenzen
die gleiche, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß sich manche Ideenkreise
infolge verschiedener staatlicher Einrichtungen und verschiedener wirtschaftlicher
Interessen eigenartig entwickeln. Unveräußerliches gemeinsames Eigentum sind
uus durch unsere Sprache und unser Volkstum unsere Geistesheroen; wir sagen
diesseits und jenseits des Jnn und des Bodensees unser Schiller, unser Goethe,
unser Lessing, unser Grillparzer.

Ebenso gemeinsam ist auf deutschem Boden die Wissenschaftspflege. In
Leipzig wurde mit Wien und München das deutsche Kartell der Akademien der
Wissenschaften gegründet, aus dem später der Internationale Verband der
Akademien der Wissenschaften hervorging. In der nächsten Woche findet hier
in München eine Tagung deutscher Bibliothekare statt. Auf den Wissenschafts¬
gebieten aller Fakultäten der Universitäten Deutschlands, Deutsch-Österreichs
und der deutschen Schweiz findet gemeinschaftliche, sich gegenseitig verstärkende
und ergänzende Geistesarbeit statt. Naturforscher und Ärzte, Philosophen,
Juristen und Nationalökonomen versammeln sich periodisch an verschiedenen
Emporien kulturellen Lebens zu freien Beratungen und diskutieren die Leistungen
der führenden Männer. Politischen Vorurteilen und Vorteilen ist es bis nun
nicht gelungen, diese Bande, die uns Deutsche fest verbinden, zu zerreißen oder
auch nur zu lockern, und die Bundesgenossenschaft der beiden Kaiserreiche sollte,
so meinen wir, ebenso unerschütterlich sein und bleiben, wie unser gemeinsames
Volkstum und die Zusammenhänge unserer geistigen Arbeit. Diese gedeiht nur
im Frieden, der seinerseits wieder durch das Staatenbündnis gewährleistet wird.
So bedingen sich gegenseitig Kultur und Staatsraison.

Um nur einen Faktor aus dem deutschen Geistesleben herauszugreifen,
jenen, auf dem in erster Linie die wirtschaftliche Kraft der Völker beruht, will
ich von den angewandten Naturwissenschaften und der Technik reden. Sie
fanden ihre erste Pflegestätte an den Universitäten und es wurden die Chemie
durch Wühler und Liebig sowie die Technologie durch Beckmann deutsche Wissen¬
schaften. Dann aber gründeten wir Deutsche in Österreich nach französischem
Vorbild in den ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts die polytech¬
nischen Institute in Graz, Prag und Wien und brachten führende Männer hervor
für das deutsche Jngenieurwesen in Schule und Praxis. Wir lieferten den
Organisator des Polytechnischen Institutes in Hannover, Karmarsch, den
bedeutendsten Lehrer des Polytechnikums in Karlsruhe, den Begründer der
Maschinenbauwissenschaft Redtenbacher, die ersten deutschen Eisenbahningenieure
Gerstner, Vater und Sohn, und das geht so fort bis in die Gegenwart, denn


Zusammenhänge zwischen (Österreich und Deutschland

aber mehr als je kennzeichnet heute die Beziehungen zwischen Deutschland und
Österreich die deutsche Treue.

Das deutsche Volk im großen Deutschen Reiche und die Deutschen in Öster¬
reich bilden mit ihren Stammesbrüdern in der Schweiz eine große Volks¬
gemeinschaft. Die Grenzen der Staaten durchschneiden zwar das weitausgedehnte
deutsche Besiedlungsgebiet, die Volksseele ist aber dies- und jenseits dieser Grenzen
die gleiche, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß sich manche Ideenkreise
infolge verschiedener staatlicher Einrichtungen und verschiedener wirtschaftlicher
Interessen eigenartig entwickeln. Unveräußerliches gemeinsames Eigentum sind
uus durch unsere Sprache und unser Volkstum unsere Geistesheroen; wir sagen
diesseits und jenseits des Jnn und des Bodensees unser Schiller, unser Goethe,
unser Lessing, unser Grillparzer.

Ebenso gemeinsam ist auf deutschem Boden die Wissenschaftspflege. In
Leipzig wurde mit Wien und München das deutsche Kartell der Akademien der
Wissenschaften gegründet, aus dem später der Internationale Verband der
Akademien der Wissenschaften hervorging. In der nächsten Woche findet hier
in München eine Tagung deutscher Bibliothekare statt. Auf den Wissenschafts¬
gebieten aller Fakultäten der Universitäten Deutschlands, Deutsch-Österreichs
und der deutschen Schweiz findet gemeinschaftliche, sich gegenseitig verstärkende
und ergänzende Geistesarbeit statt. Naturforscher und Ärzte, Philosophen,
Juristen und Nationalökonomen versammeln sich periodisch an verschiedenen
Emporien kulturellen Lebens zu freien Beratungen und diskutieren die Leistungen
der führenden Männer. Politischen Vorurteilen und Vorteilen ist es bis nun
nicht gelungen, diese Bande, die uns Deutsche fest verbinden, zu zerreißen oder
auch nur zu lockern, und die Bundesgenossenschaft der beiden Kaiserreiche sollte,
so meinen wir, ebenso unerschütterlich sein und bleiben, wie unser gemeinsames
Volkstum und die Zusammenhänge unserer geistigen Arbeit. Diese gedeiht nur
im Frieden, der seinerseits wieder durch das Staatenbündnis gewährleistet wird.
So bedingen sich gegenseitig Kultur und Staatsraison.

Um nur einen Faktor aus dem deutschen Geistesleben herauszugreifen,
jenen, auf dem in erster Linie die wirtschaftliche Kraft der Völker beruht, will
ich von den angewandten Naturwissenschaften und der Technik reden. Sie
fanden ihre erste Pflegestätte an den Universitäten und es wurden die Chemie
durch Wühler und Liebig sowie die Technologie durch Beckmann deutsche Wissen¬
schaften. Dann aber gründeten wir Deutsche in Österreich nach französischem
Vorbild in den ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts die polytech¬
nischen Institute in Graz, Prag und Wien und brachten führende Männer hervor
für das deutsche Jngenieurwesen in Schule und Praxis. Wir lieferten den
Organisator des Polytechnischen Institutes in Hannover, Karmarsch, den
bedeutendsten Lehrer des Polytechnikums in Karlsruhe, den Begründer der
Maschinenbauwissenschaft Redtenbacher, die ersten deutschen Eisenbahningenieure
Gerstner, Vater und Sohn, und das geht so fort bis in die Gegenwart, denn


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[0626] Zusammenhänge zwischen (Österreich und Deutschland aber mehr als je kennzeichnet heute die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich die deutsche Treue. Das deutsche Volk im großen Deutschen Reiche und die Deutschen in Öster¬ reich bilden mit ihren Stammesbrüdern in der Schweiz eine große Volks¬ gemeinschaft. Die Grenzen der Staaten durchschneiden zwar das weitausgedehnte deutsche Besiedlungsgebiet, die Volksseele ist aber dies- und jenseits dieser Grenzen die gleiche, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß sich manche Ideenkreise infolge verschiedener staatlicher Einrichtungen und verschiedener wirtschaftlicher Interessen eigenartig entwickeln. Unveräußerliches gemeinsames Eigentum sind uus durch unsere Sprache und unser Volkstum unsere Geistesheroen; wir sagen diesseits und jenseits des Jnn und des Bodensees unser Schiller, unser Goethe, unser Lessing, unser Grillparzer. Ebenso gemeinsam ist auf deutschem Boden die Wissenschaftspflege. In Leipzig wurde mit Wien und München das deutsche Kartell der Akademien der Wissenschaften gegründet, aus dem später der Internationale Verband der Akademien der Wissenschaften hervorging. In der nächsten Woche findet hier in München eine Tagung deutscher Bibliothekare statt. Auf den Wissenschafts¬ gebieten aller Fakultäten der Universitäten Deutschlands, Deutsch-Österreichs und der deutschen Schweiz findet gemeinschaftliche, sich gegenseitig verstärkende und ergänzende Geistesarbeit statt. Naturforscher und Ärzte, Philosophen, Juristen und Nationalökonomen versammeln sich periodisch an verschiedenen Emporien kulturellen Lebens zu freien Beratungen und diskutieren die Leistungen der führenden Männer. Politischen Vorurteilen und Vorteilen ist es bis nun nicht gelungen, diese Bande, die uns Deutsche fest verbinden, zu zerreißen oder auch nur zu lockern, und die Bundesgenossenschaft der beiden Kaiserreiche sollte, so meinen wir, ebenso unerschütterlich sein und bleiben, wie unser gemeinsames Volkstum und die Zusammenhänge unserer geistigen Arbeit. Diese gedeiht nur im Frieden, der seinerseits wieder durch das Staatenbündnis gewährleistet wird. So bedingen sich gegenseitig Kultur und Staatsraison. Um nur einen Faktor aus dem deutschen Geistesleben herauszugreifen, jenen, auf dem in erster Linie die wirtschaftliche Kraft der Völker beruht, will ich von den angewandten Naturwissenschaften und der Technik reden. Sie fanden ihre erste Pflegestätte an den Universitäten und es wurden die Chemie durch Wühler und Liebig sowie die Technologie durch Beckmann deutsche Wissen¬ schaften. Dann aber gründeten wir Deutsche in Österreich nach französischem Vorbild in den ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts die polytech¬ nischen Institute in Graz, Prag und Wien und brachten führende Männer hervor für das deutsche Jngenieurwesen in Schule und Praxis. Wir lieferten den Organisator des Polytechnischen Institutes in Hannover, Karmarsch, den bedeutendsten Lehrer des Polytechnikums in Karlsruhe, den Begründer der Maschinenbauwissenschaft Redtenbacher, die ersten deutschen Eisenbahningenieure Gerstner, Vater und Sohn, und das geht so fort bis in die Gegenwart, denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/626>, abgerufen am 17.06.2024.