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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

der Geschichte von der schönen Abisag, die den
alten König David Wärmen sollte; vielleicht
das Widerwärtigste für unser verfeinertes Em¬
pfinden im ganzen Alten Testament. Der
Dichter dieses Versdramas (die Jamben wer¬
den nicht durch den Druck kenntlich gemacht)
hat es jedoch verstanden, die Begebenheit alles
Anstößigen in dem Maße zu entkleiden, daß
einer, der den Bibeltext nicht gelesen hat, es
nicht einmal ahnt, die willenlose Despoten¬
sklavin in eine reine, edle Jungfrau, ja in
die Heldin des Dramas umzusch äffen, zu
welchem die Erhebung des Prinzen Aoonja
in den letzten Tagen Davids und seine Er¬
mordung nach Salomos Thronbesteigung den
Stoff liefern. Manche Kritiker werden viel¬
leicht zu viel Modernes finden, sowohl in der
Liebe des unglücklichen Prinzen und Abisags
Gegenliebe, als auch in der kräftigen Ab¬
lehnung der Leute, welche den kriegerischen
Geist mit der Friedensschalmei und mit Schla¬
raffenlandsidealen einzuschläfern suchen, und
in Charakteristiken des Volkes wie der fol¬
genden: "Asa: DaS Volk steht auf Adonjas
Seite. Trabant: Das Volk steht nie. Asa:
So? Was tut's denn, du Schlaukopf? Tra¬
bant: Es torkelt rechts, es torkelt links, weiß
nicht, wohin. Halt' ihm zur rechten Zeit den
rechten Ködervor^die Nase, und hinterdrein rennt
dir der ganze Haufe." Allein, wer die Bibel
kennt, der weiß, daß in ihr solche Charakte¬
ristiken, solche Politische Gegensätze keineswegs
fehlen, und die romantisch-sentimentale Liebe,
die stärker ist als der Tod, findet ja ihre Ver¬
herrlichung im Hohen Liede, dem Gröden die
Wechselgespräche seines Liebespaares zum Teil
entnimmt. Ob sich diese Tragödie zur Auf¬
führung eignet, weiß ich nicht, weil ich von
Theatersachcn nichts verstehe! aber jeder nicht
durch naturalistische Marotten voreingenom¬
mene Leser wird ihr ein Paar Stunden der
Rührung und Erhebung verdanken.

Carl Ientsch
Beiträge zur Fabrikation von Denk-

sprüchen.

Menschen von durchdringender Ein¬
sicht und zugleich von natürlichem Formtalent
haben zu allen Zeiten eine Vorliebe für den
Aphorismus, die schlagende Wahrheit in Ge¬
stalt eines kurzen Spruches, entwickelt, und
schon früh begegnen uns freie Sammlungen

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solcher bunten Steinchen, gleich einer Fenster¬
auslage unorganisch, nur mit Rücksicht auf
Farbenwechsel zusammengestellt. "Was?" sagt
Haus Taps, dem's wohlgeht und der sich also
manchmal langweilt, "das imponiert den
Leuten? Mache ich ja alle Tage, habe bloß
noch nicht daran gedacht, daß man's auf¬
schreiben könnte." Nun tat er es und das
gab treffliche Büchlein, unwillkürliche Selbst¬
bekenntnisse von Wert für die künftig Wohl
einmal hellhörigere, nicht Philologisch verball¬
hornte Kulturgeschichte. Fangen wir zu kurzer
Auslese mit dem an, Was Hans Taps über
seine eignen Motive zur aphoristischen Schrift-
stellerei, über Eitelkeit, Stolz, Selbstbewußt¬
sein u. dergl. -- an anderen beobachtet hat.
Wobei zu vermerken, daß hier keine etwa bös¬
willig ersonnenen Proben, sondern vom deut¬
schen Büchermarkt her belegbare "Denk¬
sprüche" mitgeteilt werden. Wohlan: Das
Freisein von Fehlern kann zur Größe eines
Mannes wesentlich beitragen. ^ Selbstüber¬
schätzung macht unzufrieden und erzeugt den
Wahn, zu Höherem geboren zu sein. --
Eitelkeit ist der Charakterfehler, der den
Schein über das Wesen stellt (wobei Mangel
an Urteil unter die Charakterfehler fiele). --
Eitelkeit leiht dem Schmeichler willig das
Ohr. -- Wichtigtuerei ist eine Form der
Eitelkeit, die namentlich oft im öffentlichen
Leben in Erscheinung tritt. -- Berechtigung
zum Selbstgefühl steht in direktem Verhältnis
zu den vorhandenen Leistungen. Verpflichtung
zur Bescheidenheit im umgekehrten. -- Das
Mißtrauen, hinter anderen zurückgesetzt zu sein,
beruht häufig auf der Erkenntnis, daß man
es Wohl verdiente, so behandelt zu werden
(auf der "Erkenntnis" natürlich nie; das Ganze
ist Gewissenstrost eines Launischen). -- Ein
echter Mann, der sich des eigenen Wertes be¬
wußt ist, will die Gunst einer Frau nur der
Anerkennung verdanken, auf die er Anspruch
hat (geschrieben von jemand, der erweislich
keiner Satire fähig war). -- Wohl jenen, die
Macht wünschen, um Segen verbreiten zu
können. -- Mache deinen schuldigen Dank
nicht von dem Erfolge abhängig, den jemandes
Bemühungen in deinem Interesse hatten (was
in der Praxis eine Strafe auf erfolgreiche
Bemühungen bedeutet hat). Hans Taps ist
hier schon bei der Weltweisheit im allgemeinen

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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der Geschichte von der schönen Abisag, die den
alten König David Wärmen sollte; vielleicht
das Widerwärtigste für unser verfeinertes Em¬
pfinden im ganzen Alten Testament. Der
Dichter dieses Versdramas (die Jamben wer¬
den nicht durch den Druck kenntlich gemacht)
hat es jedoch verstanden, die Begebenheit alles
Anstößigen in dem Maße zu entkleiden, daß
einer, der den Bibeltext nicht gelesen hat, es
nicht einmal ahnt, die willenlose Despoten¬
sklavin in eine reine, edle Jungfrau, ja in
die Heldin des Dramas umzusch äffen, zu
welchem die Erhebung des Prinzen Aoonja
in den letzten Tagen Davids und seine Er¬
mordung nach Salomos Thronbesteigung den
Stoff liefern. Manche Kritiker werden viel¬
leicht zu viel Modernes finden, sowohl in der
Liebe des unglücklichen Prinzen und Abisags
Gegenliebe, als auch in der kräftigen Ab¬
lehnung der Leute, welche den kriegerischen
Geist mit der Friedensschalmei und mit Schla¬
raffenlandsidealen einzuschläfern suchen, und
in Charakteristiken des Volkes wie der fol¬
genden: „Asa: DaS Volk steht auf Adonjas
Seite. Trabant: Das Volk steht nie. Asa:
So? Was tut's denn, du Schlaukopf? Tra¬
bant: Es torkelt rechts, es torkelt links, weiß
nicht, wohin. Halt' ihm zur rechten Zeit den
rechten Ködervor^die Nase, und hinterdrein rennt
dir der ganze Haufe." Allein, wer die Bibel
kennt, der weiß, daß in ihr solche Charakte¬
ristiken, solche Politische Gegensätze keineswegs
fehlen, und die romantisch-sentimentale Liebe,
die stärker ist als der Tod, findet ja ihre Ver¬
herrlichung im Hohen Liede, dem Gröden die
Wechselgespräche seines Liebespaares zum Teil
entnimmt. Ob sich diese Tragödie zur Auf¬
führung eignet, weiß ich nicht, weil ich von
Theatersachcn nichts verstehe! aber jeder nicht
durch naturalistische Marotten voreingenom¬
mene Leser wird ihr ein Paar Stunden der
Rührung und Erhebung verdanken.

Carl Ientsch
Beiträge zur Fabrikation von Denk-

sprüchen.

Menschen von durchdringender Ein¬
sicht und zugleich von natürlichem Formtalent
haben zu allen Zeiten eine Vorliebe für den
Aphorismus, die schlagende Wahrheit in Ge¬
stalt eines kurzen Spruches, entwickelt, und
schon früh begegnen uns freie Sammlungen

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solcher bunten Steinchen, gleich einer Fenster¬
auslage unorganisch, nur mit Rücksicht auf
Farbenwechsel zusammengestellt. „Was?" sagt
Haus Taps, dem's wohlgeht und der sich also
manchmal langweilt, „das imponiert den
Leuten? Mache ich ja alle Tage, habe bloß
noch nicht daran gedacht, daß man's auf¬
schreiben könnte." Nun tat er es und das
gab treffliche Büchlein, unwillkürliche Selbst¬
bekenntnisse von Wert für die künftig Wohl
einmal hellhörigere, nicht Philologisch verball¬
hornte Kulturgeschichte. Fangen wir zu kurzer
Auslese mit dem an, Was Hans Taps über
seine eignen Motive zur aphoristischen Schrift-
stellerei, über Eitelkeit, Stolz, Selbstbewußt¬
sein u. dergl. — an anderen beobachtet hat.
Wobei zu vermerken, daß hier keine etwa bös¬
willig ersonnenen Proben, sondern vom deut¬
schen Büchermarkt her belegbare „Denk¬
sprüche" mitgeteilt werden. Wohlan: Das
Freisein von Fehlern kann zur Größe eines
Mannes wesentlich beitragen. ^ Selbstüber¬
schätzung macht unzufrieden und erzeugt den
Wahn, zu Höherem geboren zu sein. —
Eitelkeit ist der Charakterfehler, der den
Schein über das Wesen stellt (wobei Mangel
an Urteil unter die Charakterfehler fiele). —
Eitelkeit leiht dem Schmeichler willig das
Ohr. — Wichtigtuerei ist eine Form der
Eitelkeit, die namentlich oft im öffentlichen
Leben in Erscheinung tritt. — Berechtigung
zum Selbstgefühl steht in direktem Verhältnis
zu den vorhandenen Leistungen. Verpflichtung
zur Bescheidenheit im umgekehrten. — Das
Mißtrauen, hinter anderen zurückgesetzt zu sein,
beruht häufig auf der Erkenntnis, daß man
es Wohl verdiente, so behandelt zu werden
(auf der „Erkenntnis" natürlich nie; das Ganze
ist Gewissenstrost eines Launischen). — Ein
echter Mann, der sich des eigenen Wertes be¬
wußt ist, will die Gunst einer Frau nur der
Anerkennung verdanken, auf die er Anspruch
hat (geschrieben von jemand, der erweislich
keiner Satire fähig war). — Wohl jenen, die
Macht wünschen, um Segen verbreiten zu
können. — Mache deinen schuldigen Dank
nicht von dem Erfolge abhängig, den jemandes
Bemühungen in deinem Interesse hatten (was
in der Praxis eine Strafe auf erfolgreiche
Bemühungen bedeutet hat). Hans Taps ist
hier schon bei der Weltweisheit im allgemeinen

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[0650] Maßgebliches und Unmaßgebliches der Geschichte von der schönen Abisag, die den alten König David Wärmen sollte; vielleicht das Widerwärtigste für unser verfeinertes Em¬ pfinden im ganzen Alten Testament. Der Dichter dieses Versdramas (die Jamben wer¬ den nicht durch den Druck kenntlich gemacht) hat es jedoch verstanden, die Begebenheit alles Anstößigen in dem Maße zu entkleiden, daß einer, der den Bibeltext nicht gelesen hat, es nicht einmal ahnt, die willenlose Despoten¬ sklavin in eine reine, edle Jungfrau, ja in die Heldin des Dramas umzusch äffen, zu welchem die Erhebung des Prinzen Aoonja in den letzten Tagen Davids und seine Er¬ mordung nach Salomos Thronbesteigung den Stoff liefern. Manche Kritiker werden viel¬ leicht zu viel Modernes finden, sowohl in der Liebe des unglücklichen Prinzen und Abisags Gegenliebe, als auch in der kräftigen Ab¬ lehnung der Leute, welche den kriegerischen Geist mit der Friedensschalmei und mit Schla¬ raffenlandsidealen einzuschläfern suchen, und in Charakteristiken des Volkes wie der fol¬ genden: „Asa: DaS Volk steht auf Adonjas Seite. Trabant: Das Volk steht nie. Asa: So? Was tut's denn, du Schlaukopf? Tra¬ bant: Es torkelt rechts, es torkelt links, weiß nicht, wohin. Halt' ihm zur rechten Zeit den rechten Ködervor^die Nase, und hinterdrein rennt dir der ganze Haufe." Allein, wer die Bibel kennt, der weiß, daß in ihr solche Charakte¬ ristiken, solche Politische Gegensätze keineswegs fehlen, und die romantisch-sentimentale Liebe, die stärker ist als der Tod, findet ja ihre Ver¬ herrlichung im Hohen Liede, dem Gröden die Wechselgespräche seines Liebespaares zum Teil entnimmt. Ob sich diese Tragödie zur Auf¬ führung eignet, weiß ich nicht, weil ich von Theatersachcn nichts verstehe! aber jeder nicht durch naturalistische Marotten voreingenom¬ mene Leser wird ihr ein Paar Stunden der Rührung und Erhebung verdanken. Carl Ientsch Beiträge zur Fabrikation von Denk- sprüchen. Menschen von durchdringender Ein¬ sicht und zugleich von natürlichem Formtalent haben zu allen Zeiten eine Vorliebe für den Aphorismus, die schlagende Wahrheit in Ge¬ stalt eines kurzen Spruches, entwickelt, und schon früh begegnen uns freie Sammlungen solcher bunten Steinchen, gleich einer Fenster¬ auslage unorganisch, nur mit Rücksicht auf Farbenwechsel zusammengestellt. „Was?" sagt Haus Taps, dem's wohlgeht und der sich also manchmal langweilt, „das imponiert den Leuten? Mache ich ja alle Tage, habe bloß noch nicht daran gedacht, daß man's auf¬ schreiben könnte." Nun tat er es und das gab treffliche Büchlein, unwillkürliche Selbst¬ bekenntnisse von Wert für die künftig Wohl einmal hellhörigere, nicht Philologisch verball¬ hornte Kulturgeschichte. Fangen wir zu kurzer Auslese mit dem an, Was Hans Taps über seine eignen Motive zur aphoristischen Schrift- stellerei, über Eitelkeit, Stolz, Selbstbewußt¬ sein u. dergl. — an anderen beobachtet hat. Wobei zu vermerken, daß hier keine etwa bös¬ willig ersonnenen Proben, sondern vom deut¬ schen Büchermarkt her belegbare „Denk¬ sprüche" mitgeteilt werden. Wohlan: Das Freisein von Fehlern kann zur Größe eines Mannes wesentlich beitragen. ^ Selbstüber¬ schätzung macht unzufrieden und erzeugt den Wahn, zu Höherem geboren zu sein. — Eitelkeit ist der Charakterfehler, der den Schein über das Wesen stellt (wobei Mangel an Urteil unter die Charakterfehler fiele). — Eitelkeit leiht dem Schmeichler willig das Ohr. — Wichtigtuerei ist eine Form der Eitelkeit, die namentlich oft im öffentlichen Leben in Erscheinung tritt. — Berechtigung zum Selbstgefühl steht in direktem Verhältnis zu den vorhandenen Leistungen. Verpflichtung zur Bescheidenheit im umgekehrten. — Das Mißtrauen, hinter anderen zurückgesetzt zu sein, beruht häufig auf der Erkenntnis, daß man es Wohl verdiente, so behandelt zu werden (auf der „Erkenntnis" natürlich nie; das Ganze ist Gewissenstrost eines Launischen). — Ein echter Mann, der sich des eigenen Wertes be¬ wußt ist, will die Gunst einer Frau nur der Anerkennung verdanken, auf die er Anspruch hat (geschrieben von jemand, der erweislich keiner Satire fähig war). — Wohl jenen, die Macht wünschen, um Segen verbreiten zu können. — Mache deinen schuldigen Dank nicht von dem Erfolge abhängig, den jemandes Bemühungen in deinem Interesse hatten (was in der Praxis eine Strafe auf erfolgreiche Bemühungen bedeutet hat). Hans Taps ist hier schon bei der Weltweisheit im allgemeinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/650>, abgerufen am 09.06.2024.