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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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erster Linie der trostlosen Marktlage unserer Staatsanleihen zu Hilfe
kommen soll. Der Kurs unserer Rentenwerte ist auf einen Tiefstand gesunken, welcher
offenbar der Regierung Besorgnisse zu erwecken beginnt. Hat doch der Handelsminister
den ungewöhnlichen Schritt getan, sich an eine Handelskammer zu wenden, in deren
Bezirk eine Bank industrielle Obligationen unter Hinweis auf deren bessere Ver¬
zinsung gegenüberStaatsanleihen empfohlen hatte. Der Minister wünscht mit Recht,
daß man der Bevölkerung stets von neuem einschärft, die absolute Sicherheit
der inländischen Staatsanleihen gegenüber allen anderen Anlageformen nicht zu
gering zu schätzen. Gewiß, unsere Staatspapiere sind sicher; sie sind, wenigstens
was die preußischen Konsols anlangt, sogar die bestfundierten Anleihen der Welt,
denn die preußische Staatsschuld von 9,7 Milliarden findet völlige Deckung schon
in dem Wert der Staatseisenbahnen, deren Erträgnis Jahr für Jahr die Zu¬
führung einiger Hundert Millionen für allgemeine Staatszwecke gestattet. Die
Zinsen sind also sicher gestellt -- aber das Kapital? Kapital zahlt der Staat
ja nicht zurück -- er kennt keine Tilgungsanleihen. Der Gläubiger hat daher
niemals Aussicht, vom schuldnerischen Staat den Nominalbetrag seiner Forderung
zurückgezahlt zu erhalten, sondern er ist lediglich auf den Verkauf der Titel
angewiesen. Insofern bedeutet daher ein dauerndes Sinken des Kursniveans
unter den Emissions- oder Ankaufskurs einen Kursverlust. Der Hinweis auf
die absolute Sicherheit der Kapitalsanlage in Staatspapieren ist also nur zum
Teil richtig; es ist das eine Sicherheit, die den Inhaber nicht vor großen
Kapitalseinbußen schützt. Und diese Verluste sind in den letzten Jahrzehnten so
erheblich gewesen, daß man getrost behaupten kann, kaum an irgend welchen
anderen Wertpapieren zusammengenommen sei so viel verloren worden, als an
diesen erstklassiger Anlagen. Die preußischen dreiprozentigen Konsols und die
dreiprozentige Reichsanleihe standen 1895 über Pari, heute unter 80 Prozent --
dazwischen liegt die Konversion von 1897, welche die damaligen vierprozentigen
Titel beseitigte und den Inhabern die drei- und dreieinhalb verzinslichen auf¬
zwang. Hierdurch haben die Staatsgläubiger die schwersten Kapitals Verluste
erlitten, denn der Rückgang des Kurses der vierprozentigen Titel ist ein weit
geringerer und beträgt gegen den Höchststand nur etwa 7 Prozent. Es hat also
der Staat durch die damalige Konversion, die sich als eine mit der wahren
Lage des Geldmarkts nicht übereinstimmende Maßregel erwies, seinen Gläubigern
die schwersten Verluste zugefügt -- sie haben neben der Zinsverkürzung heute
noch den Verlust von einem Fünftel ihres Kapitals zu beklagen. Diese Be¬
trachtung zeigt, daß der Hinweis auf die absolute Sicherheit der Staatsanleihen
nur in einem beschränkten Sinne richtig ist. Es muß vom Standpunkt des
solidere Anlage suchenden Kapitalisten durchaus bestritten werden, daß
den Staatsanleihen, welche in Rentenform gekleidet sind, ein so
unvergleichlicher Vorzug vor anderen Anlagemöglichkeiten gebühre. Das
Gegenteil ist richtig. Die moderne Zeit hat eine Fülle von Anlage¬
möglichkeiten geschaffen, denen neben besserer Verzinsung ein geringeres


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erster Linie der trostlosen Marktlage unserer Staatsanleihen zu Hilfe
kommen soll. Der Kurs unserer Rentenwerte ist auf einen Tiefstand gesunken, welcher
offenbar der Regierung Besorgnisse zu erwecken beginnt. Hat doch der Handelsminister
den ungewöhnlichen Schritt getan, sich an eine Handelskammer zu wenden, in deren
Bezirk eine Bank industrielle Obligationen unter Hinweis auf deren bessere Ver¬
zinsung gegenüberStaatsanleihen empfohlen hatte. Der Minister wünscht mit Recht,
daß man der Bevölkerung stets von neuem einschärft, die absolute Sicherheit
der inländischen Staatsanleihen gegenüber allen anderen Anlageformen nicht zu
gering zu schätzen. Gewiß, unsere Staatspapiere sind sicher; sie sind, wenigstens
was die preußischen Konsols anlangt, sogar die bestfundierten Anleihen der Welt,
denn die preußische Staatsschuld von 9,7 Milliarden findet völlige Deckung schon
in dem Wert der Staatseisenbahnen, deren Erträgnis Jahr für Jahr die Zu¬
führung einiger Hundert Millionen für allgemeine Staatszwecke gestattet. Die
Zinsen sind also sicher gestellt — aber das Kapital? Kapital zahlt der Staat
ja nicht zurück — er kennt keine Tilgungsanleihen. Der Gläubiger hat daher
niemals Aussicht, vom schuldnerischen Staat den Nominalbetrag seiner Forderung
zurückgezahlt zu erhalten, sondern er ist lediglich auf den Verkauf der Titel
angewiesen. Insofern bedeutet daher ein dauerndes Sinken des Kursniveans
unter den Emissions- oder Ankaufskurs einen Kursverlust. Der Hinweis auf
die absolute Sicherheit der Kapitalsanlage in Staatspapieren ist also nur zum
Teil richtig; es ist das eine Sicherheit, die den Inhaber nicht vor großen
Kapitalseinbußen schützt. Und diese Verluste sind in den letzten Jahrzehnten so
erheblich gewesen, daß man getrost behaupten kann, kaum an irgend welchen
anderen Wertpapieren zusammengenommen sei so viel verloren worden, als an
diesen erstklassiger Anlagen. Die preußischen dreiprozentigen Konsols und die
dreiprozentige Reichsanleihe standen 1895 über Pari, heute unter 80 Prozent —
dazwischen liegt die Konversion von 1897, welche die damaligen vierprozentigen
Titel beseitigte und den Inhabern die drei- und dreieinhalb verzinslichen auf¬
zwang. Hierdurch haben die Staatsgläubiger die schwersten Kapitals Verluste
erlitten, denn der Rückgang des Kurses der vierprozentigen Titel ist ein weit
geringerer und beträgt gegen den Höchststand nur etwa 7 Prozent. Es hat also
der Staat durch die damalige Konversion, die sich als eine mit der wahren
Lage des Geldmarkts nicht übereinstimmende Maßregel erwies, seinen Gläubigern
die schwersten Verluste zugefügt — sie haben neben der Zinsverkürzung heute
noch den Verlust von einem Fünftel ihres Kapitals zu beklagen. Diese Be¬
trachtung zeigt, daß der Hinweis auf die absolute Sicherheit der Staatsanleihen
nur in einem beschränkten Sinne richtig ist. Es muß vom Standpunkt des
solidere Anlage suchenden Kapitalisten durchaus bestritten werden, daß
den Staatsanleihen, welche in Rentenform gekleidet sind, ein so
unvergleichlicher Vorzug vor anderen Anlagemöglichkeiten gebühre. Das
Gegenteil ist richtig. Die moderne Zeit hat eine Fülle von Anlage¬
möglichkeiten geschaffen, denen neben besserer Verzinsung ein geringeres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/653>, abgerufen am 10.06.2024.