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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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"Amerika den Amerikanern!

Völker mit diesem Schlagwort gewissermaßen zu hypnotisieren und sie zu ver¬
hindern, den diesem Schlagwort zu Grunde liegenden Anspruch auf seine Be¬
rechtigung hin nachzuprüfen. Niemand ist dies so gelungen, wie den Amerikanern
mit ihrem nun fast ein Jahrhundert alten Schlagwort: "Amerika den
Amerikanern." Und doch könnte die auswärtige Politik Amerikas dem
denkenden Deutschen zu soviel Fragen Anlaß geben: Mit welchem Recht treibt
Amerika die stärkste Expansionspolitik von allen Völkern der Erde? Ist es
übervölkert? Muß es sich auf diese Art neue Absatzgebiete schaffen? Mit
welchem Recht überfällt es schwächere Staaten und nimmt ihnen Kolonien ab,
die mit ihm selbst weder in wirtschaftlichem noch geographischem Zusammenhange
stehen? Mit welchem Recht verhindert es andere Großmächte, mit den selb¬
ständigen Staaten des südafrikanischen Kontinents in Verhandlung zu treten?
Auf alle diese Fragen, wenn sie überhaupt gestellt werden, erfolgt von drüben
nur die eine, stereotype Antwort: "Amerika den Amerikanern!" Und beschämt
zieht sich der Frager zurück, besinnt sich auf die Monroedoktrin und erkennt
willig die Ansprüche an, die so sicher fundiert sind.

Wenn man aber dann sieht, mit welch naiver Selbstverständlichkeit solche
Forderungen in der neueren amerikanischen Literatur erhoben werden, wie für
die weitestgehenden imperialistischen Ansprüche nicht einmal die Spur eines Be¬
weises versucht wird, sondern alles mit dem Hinweis auf die Monroedoktrin
abgetan wird, so wird man doch nachdenklich gestimmt und legt sich die Frage
vor: Wie weit sind solche Ansprüche berechtigt? Inwiefern ist es zulässig, sich
auf die Monroedoktrin zu stützen?

Mir selber gab den Anstoß zu diesen Fragen das Lesen eines Buches,
das einen amerikanischen Offizier zum Verfasser hat: 1"Ire valor ok i^noranLL
von Isomer I^en (London und New Uork, Harper Brothers). Es ist das
Buch eines tapferen und ehrlichen Patrioten, der sein Volk vor den Gefahren
warnen möchte, die ihm bevorstehen. Insbesondere will er seine Landsleute
hinweisen auf den bevorstehenden Kampf um die Vorherrschaft auf dem
Stillen Ozean und will ihnen dartun, daß ihre jetzige Sinnesart und
Nüstungsweise ihre notwendige Niederlage in diesem Kampf zur Folge
haben müßte. An der Hand von teilweise recht weitläufigen historischen Exkursen
und philosophischen Betrachtungen gelangt der Verfasser zur Aufstellung
einer Reihe vou Axiomen, die, so sehr sie auch dem deutschen Volk in Fleisch
und Blut übergegangen sein wogen, angesichts der herrschenden Strömung in
Amerika doch eine bemerkenswerte Objektivität und Einsicht beweisen. So z. B.
wenn er seinen Landsleuten vorhält, daß sie nicht mehr in der Betätigung des
Krämergeistes ihren einzigen Lebenszweck sehen dürften; daß es ein Irrtum sei,
in dem Reichtum eines Volkes eine Quelle militärischer Kraft zu sehen; daß
die Freunde des ewigen Friedens und der Schiedsverträge von falschen Voraus¬
setzungen ausgingen; daß die Milizarmeen eine mittelalterliche Einrichtung ohne
irgend welchen Kampfeswert für die Gegenwart seien. Nur große stehende


„Amerika den Amerikanern!

Völker mit diesem Schlagwort gewissermaßen zu hypnotisieren und sie zu ver¬
hindern, den diesem Schlagwort zu Grunde liegenden Anspruch auf seine Be¬
rechtigung hin nachzuprüfen. Niemand ist dies so gelungen, wie den Amerikanern
mit ihrem nun fast ein Jahrhundert alten Schlagwort: „Amerika den
Amerikanern." Und doch könnte die auswärtige Politik Amerikas dem
denkenden Deutschen zu soviel Fragen Anlaß geben: Mit welchem Recht treibt
Amerika die stärkste Expansionspolitik von allen Völkern der Erde? Ist es
übervölkert? Muß es sich auf diese Art neue Absatzgebiete schaffen? Mit
welchem Recht überfällt es schwächere Staaten und nimmt ihnen Kolonien ab,
die mit ihm selbst weder in wirtschaftlichem noch geographischem Zusammenhange
stehen? Mit welchem Recht verhindert es andere Großmächte, mit den selb¬
ständigen Staaten des südafrikanischen Kontinents in Verhandlung zu treten?
Auf alle diese Fragen, wenn sie überhaupt gestellt werden, erfolgt von drüben
nur die eine, stereotype Antwort: „Amerika den Amerikanern!" Und beschämt
zieht sich der Frager zurück, besinnt sich auf die Monroedoktrin und erkennt
willig die Ansprüche an, die so sicher fundiert sind.

Wenn man aber dann sieht, mit welch naiver Selbstverständlichkeit solche
Forderungen in der neueren amerikanischen Literatur erhoben werden, wie für
die weitestgehenden imperialistischen Ansprüche nicht einmal die Spur eines Be¬
weises versucht wird, sondern alles mit dem Hinweis auf die Monroedoktrin
abgetan wird, so wird man doch nachdenklich gestimmt und legt sich die Frage
vor: Wie weit sind solche Ansprüche berechtigt? Inwiefern ist es zulässig, sich
auf die Monroedoktrin zu stützen?

Mir selber gab den Anstoß zu diesen Fragen das Lesen eines Buches,
das einen amerikanischen Offizier zum Verfasser hat: 1"Ire valor ok i^noranLL
von Isomer I^en (London und New Uork, Harper Brothers). Es ist das
Buch eines tapferen und ehrlichen Patrioten, der sein Volk vor den Gefahren
warnen möchte, die ihm bevorstehen. Insbesondere will er seine Landsleute
hinweisen auf den bevorstehenden Kampf um die Vorherrschaft auf dem
Stillen Ozean und will ihnen dartun, daß ihre jetzige Sinnesart und
Nüstungsweise ihre notwendige Niederlage in diesem Kampf zur Folge
haben müßte. An der Hand von teilweise recht weitläufigen historischen Exkursen
und philosophischen Betrachtungen gelangt der Verfasser zur Aufstellung
einer Reihe vou Axiomen, die, so sehr sie auch dem deutschen Volk in Fleisch
und Blut übergegangen sein wogen, angesichts der herrschenden Strömung in
Amerika doch eine bemerkenswerte Objektivität und Einsicht beweisen. So z. B.
wenn er seinen Landsleuten vorhält, daß sie nicht mehr in der Betätigung des
Krämergeistes ihren einzigen Lebenszweck sehen dürften; daß es ein Irrtum sei,
in dem Reichtum eines Volkes eine Quelle militärischer Kraft zu sehen; daß
die Freunde des ewigen Friedens und der Schiedsverträge von falschen Voraus¬
setzungen ausgingen; daß die Milizarmeen eine mittelalterliche Einrichtung ohne
irgend welchen Kampfeswert für die Gegenwart seien. Nur große stehende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/70>, abgerufen am 17.06.2024.