Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
"Amerika den Amerikanern!"

zu ziehen hat: sich nicht durch solche Versuche des Gegners, eine stärkere Position
vorzutäuschen als er wirklich einnimmt, irre machen zu lassen und nicht vor
ihnen zurückzuweichen. Gerade den angelsächsischen Nationen gegenüber, die es
lieben, ihre offensiven Machtansprüche mit dem Schein der rechtlich begründeten
Forderung zu umkleiden, ist das von Bedeutung. Und im besonderen Maße
trifft es auf die Amerikaner zu, die solche scheinbaren Forderungen des Rechts
und der Gerechtigkeit noch außerdem ausstatten mit einer Fülle von tönenden
Phrasen, wie sie nur dem Republikaner zur Verfügung stehen.

Aber abgesehen davon, daß man sich von einer starken und selbstbewußten
Politik gegenüber den Vereinigten Staaten durch deren Monroedoktrin und
Imperialismus schon allein aus nationalem Ehrgefühl nicht abbringen lassen
dürfte, auch wenn die Vereinigten Staaten nicht vor einem Kriege zurückschreckten --
ganz abgesehen davon erscheint es überhaupt fraglich, ob die Amerikaner in der
Lage sind, ihre Worte erfolgreich durch die Tat zu bekräftigen "to back
tneir opinion", um ihren Jargon zu gebrauchen. In der Tat scheint die
Vermutung nicht unbegründet, daß sie im sicheren Gefühl der Unangreifbarkeit
und des Schutzes zweier Ozeane ihre Wehrkraft vernachlässigt haben. Daß
Amerikas Hunderttausend-Mann-Armee keine entscheidende Rolle in einem ernsten
Kriege spielen kann, war wohl ohne weiteres klar; und auch seine Flotte verliert
viel von ihrem äußerlich imponierender Eindruck, wenn man die Nachrichten
über die Disziplin auf amerikanischen Schiffen, die zahlreichen Desertionen*) und
die häufigen Unfälle aufmerksam verfolgt. Aber wie wenig Amerika auf einen
großen Krieg vorbereitet ist, das ersieht man erst aus den verzweifelten Warnungs¬
rufen, die Homer Lea in seinem Buche ausstößt. Und wenn man auch einen
Teil seiner Befürchtungen der patriotischen Tendenz des Buches zugute halten
muß, so rechtfertigen allein die von ihm angeführten Tatsachen die Warnung
vor einer Überschätzung der Wehrmacht Amerikas.

Aus all diesen Erwägungen heraus erscheint der Wunsch gerechtfertigt, daß
sich Deutschland -- anders als bisher -- nicht mehr zu sehr saszinieren lassen
möge von der wirtschaftlichen Stärke der Vereinigten Staaten, daß es die von
ihnen erhobenen Ansprüche, und mögen sie auch noch so sehr durch Monroe-
oder andere Doktrinen begründet sein, nüchtern prüfe, und daß es schließlich
alle Übergriffe nicht nur auf politischem, sondern vor allem auf wirtschaftlichem
Gebiet zurückweisen möge. Die Gelegenheit dazu bietet sich oft genug.





") Als die Flotte ihre Triumphfahrt um den amerikanischen Kontinent machte, desertierten
im Frühjahr 1908 allein bei einem Aufenthalt in San FrmiMo tausend Mann.
„Amerika den Amerikanern!"

zu ziehen hat: sich nicht durch solche Versuche des Gegners, eine stärkere Position
vorzutäuschen als er wirklich einnimmt, irre machen zu lassen und nicht vor
ihnen zurückzuweichen. Gerade den angelsächsischen Nationen gegenüber, die es
lieben, ihre offensiven Machtansprüche mit dem Schein der rechtlich begründeten
Forderung zu umkleiden, ist das von Bedeutung. Und im besonderen Maße
trifft es auf die Amerikaner zu, die solche scheinbaren Forderungen des Rechts
und der Gerechtigkeit noch außerdem ausstatten mit einer Fülle von tönenden
Phrasen, wie sie nur dem Republikaner zur Verfügung stehen.

Aber abgesehen davon, daß man sich von einer starken und selbstbewußten
Politik gegenüber den Vereinigten Staaten durch deren Monroedoktrin und
Imperialismus schon allein aus nationalem Ehrgefühl nicht abbringen lassen
dürfte, auch wenn die Vereinigten Staaten nicht vor einem Kriege zurückschreckten —
ganz abgesehen davon erscheint es überhaupt fraglich, ob die Amerikaner in der
Lage sind, ihre Worte erfolgreich durch die Tat zu bekräftigen „to back
tneir opinion", um ihren Jargon zu gebrauchen. In der Tat scheint die
Vermutung nicht unbegründet, daß sie im sicheren Gefühl der Unangreifbarkeit
und des Schutzes zweier Ozeane ihre Wehrkraft vernachlässigt haben. Daß
Amerikas Hunderttausend-Mann-Armee keine entscheidende Rolle in einem ernsten
Kriege spielen kann, war wohl ohne weiteres klar; und auch seine Flotte verliert
viel von ihrem äußerlich imponierender Eindruck, wenn man die Nachrichten
über die Disziplin auf amerikanischen Schiffen, die zahlreichen Desertionen*) und
die häufigen Unfälle aufmerksam verfolgt. Aber wie wenig Amerika auf einen
großen Krieg vorbereitet ist, das ersieht man erst aus den verzweifelten Warnungs¬
rufen, die Homer Lea in seinem Buche ausstößt. Und wenn man auch einen
Teil seiner Befürchtungen der patriotischen Tendenz des Buches zugute halten
muß, so rechtfertigen allein die von ihm angeführten Tatsachen die Warnung
vor einer Überschätzung der Wehrmacht Amerikas.

Aus all diesen Erwägungen heraus erscheint der Wunsch gerechtfertigt, daß
sich Deutschland — anders als bisher — nicht mehr zu sehr saszinieren lassen
möge von der wirtschaftlichen Stärke der Vereinigten Staaten, daß es die von
ihnen erhobenen Ansprüche, und mögen sie auch noch so sehr durch Monroe-
oder andere Doktrinen begründet sein, nüchtern prüfe, und daß es schließlich
alle Übergriffe nicht nur auf politischem, sondern vor allem auf wirtschaftlichem
Gebiet zurückweisen möge. Die Gelegenheit dazu bietet sich oft genug.





") Als die Flotte ihre Triumphfahrt um den amerikanischen Kontinent machte, desertierten
im Frühjahr 1908 allein bei einem Aufenthalt in San FrmiMo tausend Mann.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321166"/>
          <fw type="header" place="top"> &#x201E;Amerika den Amerikanern!"</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_243" prev="#ID_242"> zu ziehen hat: sich nicht durch solche Versuche des Gegners, eine stärkere Position<lb/>
vorzutäuschen als er wirklich einnimmt, irre machen zu lassen und nicht vor<lb/>
ihnen zurückzuweichen. Gerade den angelsächsischen Nationen gegenüber, die es<lb/>
lieben, ihre offensiven Machtansprüche mit dem Schein der rechtlich begründeten<lb/>
Forderung zu umkleiden, ist das von Bedeutung. Und im besonderen Maße<lb/>
trifft es auf die Amerikaner zu, die solche scheinbaren Forderungen des Rechts<lb/>
und der Gerechtigkeit noch außerdem ausstatten mit einer Fülle von tönenden<lb/>
Phrasen, wie sie nur dem Republikaner zur Verfügung stehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_244"> Aber abgesehen davon, daß man sich von einer starken und selbstbewußten<lb/>
Politik gegenüber den Vereinigten Staaten durch deren Monroedoktrin und<lb/>
Imperialismus schon allein aus nationalem Ehrgefühl nicht abbringen lassen<lb/>
dürfte, auch wenn die Vereinigten Staaten nicht vor einem Kriege zurückschreckten &#x2014;<lb/>
ganz abgesehen davon erscheint es überhaupt fraglich, ob die Amerikaner in der<lb/>
Lage sind, ihre Worte erfolgreich durch die Tat zu bekräftigen &#x201E;to back<lb/>
tneir opinion", um ihren Jargon zu gebrauchen. In der Tat scheint die<lb/>
Vermutung nicht unbegründet, daß sie im sicheren Gefühl der Unangreifbarkeit<lb/>
und des Schutzes zweier Ozeane ihre Wehrkraft vernachlässigt haben. Daß<lb/>
Amerikas Hunderttausend-Mann-Armee keine entscheidende Rolle in einem ernsten<lb/>
Kriege spielen kann, war wohl ohne weiteres klar; und auch seine Flotte verliert<lb/>
viel von ihrem äußerlich imponierender Eindruck, wenn man die Nachrichten<lb/>
über die Disziplin auf amerikanischen Schiffen, die zahlreichen Desertionen*) und<lb/>
die häufigen Unfälle aufmerksam verfolgt. Aber wie wenig Amerika auf einen<lb/>
großen Krieg vorbereitet ist, das ersieht man erst aus den verzweifelten Warnungs¬<lb/>
rufen, die Homer Lea in seinem Buche ausstößt. Und wenn man auch einen<lb/>
Teil seiner Befürchtungen der patriotischen Tendenz des Buches zugute halten<lb/>
muß, so rechtfertigen allein die von ihm angeführten Tatsachen die Warnung<lb/>
vor einer Überschätzung der Wehrmacht Amerikas.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245"> Aus all diesen Erwägungen heraus erscheint der Wunsch gerechtfertigt, daß<lb/>
sich Deutschland &#x2014; anders als bisher &#x2014; nicht mehr zu sehr saszinieren lassen<lb/>
möge von der wirtschaftlichen Stärke der Vereinigten Staaten, daß es die von<lb/>
ihnen erhobenen Ansprüche, und mögen sie auch noch so sehr durch Monroe-<lb/>
oder andere Doktrinen begründet sein, nüchtern prüfe, und daß es schließlich<lb/>
alle Übergriffe nicht nur auf politischem, sondern vor allem auf wirtschaftlichem<lb/>
Gebiet zurückweisen möge.  Die Gelegenheit dazu bietet sich oft genug.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> ") Als die Flotte ihre Triumphfahrt um den amerikanischen Kontinent machte, desertierten<lb/>
im Frühjahr 1908 allein bei einem Aufenthalt in San FrmiMo tausend Mann.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] „Amerika den Amerikanern!" zu ziehen hat: sich nicht durch solche Versuche des Gegners, eine stärkere Position vorzutäuschen als er wirklich einnimmt, irre machen zu lassen und nicht vor ihnen zurückzuweichen. Gerade den angelsächsischen Nationen gegenüber, die es lieben, ihre offensiven Machtansprüche mit dem Schein der rechtlich begründeten Forderung zu umkleiden, ist das von Bedeutung. Und im besonderen Maße trifft es auf die Amerikaner zu, die solche scheinbaren Forderungen des Rechts und der Gerechtigkeit noch außerdem ausstatten mit einer Fülle von tönenden Phrasen, wie sie nur dem Republikaner zur Verfügung stehen. Aber abgesehen davon, daß man sich von einer starken und selbstbewußten Politik gegenüber den Vereinigten Staaten durch deren Monroedoktrin und Imperialismus schon allein aus nationalem Ehrgefühl nicht abbringen lassen dürfte, auch wenn die Vereinigten Staaten nicht vor einem Kriege zurückschreckten — ganz abgesehen davon erscheint es überhaupt fraglich, ob die Amerikaner in der Lage sind, ihre Worte erfolgreich durch die Tat zu bekräftigen „to back tneir opinion", um ihren Jargon zu gebrauchen. In der Tat scheint die Vermutung nicht unbegründet, daß sie im sicheren Gefühl der Unangreifbarkeit und des Schutzes zweier Ozeane ihre Wehrkraft vernachlässigt haben. Daß Amerikas Hunderttausend-Mann-Armee keine entscheidende Rolle in einem ernsten Kriege spielen kann, war wohl ohne weiteres klar; und auch seine Flotte verliert viel von ihrem äußerlich imponierender Eindruck, wenn man die Nachrichten über die Disziplin auf amerikanischen Schiffen, die zahlreichen Desertionen*) und die häufigen Unfälle aufmerksam verfolgt. Aber wie wenig Amerika auf einen großen Krieg vorbereitet ist, das ersieht man erst aus den verzweifelten Warnungs¬ rufen, die Homer Lea in seinem Buche ausstößt. Und wenn man auch einen Teil seiner Befürchtungen der patriotischen Tendenz des Buches zugute halten muß, so rechtfertigen allein die von ihm angeführten Tatsachen die Warnung vor einer Überschätzung der Wehrmacht Amerikas. Aus all diesen Erwägungen heraus erscheint der Wunsch gerechtfertigt, daß sich Deutschland — anders als bisher — nicht mehr zu sehr saszinieren lassen möge von der wirtschaftlichen Stärke der Vereinigten Staaten, daß es die von ihnen erhobenen Ansprüche, und mögen sie auch noch so sehr durch Monroe- oder andere Doktrinen begründet sein, nüchtern prüfe, und daß es schließlich alle Übergriffe nicht nur auf politischem, sondern vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet zurückweisen möge. Die Gelegenheit dazu bietet sich oft genug. ") Als die Flotte ihre Triumphfahrt um den amerikanischen Kontinent machte, desertierten im Frühjahr 1908 allein bei einem Aufenthalt in San FrmiMo tausend Mann.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/83>, abgerufen am 17.06.2024.