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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Lotterie und Literatur

nicht eines idealen Zweckes wegen betreibt, sondern des Gewinnes wegen. Doch
Zureden hilft. Wir verlangen nicht den Verzicht auf den Gewinnertrag. Wir
schlagen etwas anderes vor: Der Staat soll die "Genieteten" nicht leer aus¬
gehen lassen'; er soll den vom Glück betrogenen Nietenbesitzern einen sanften
Trost bereiten, und er soll damit etwas Praktisches wirken zugunsten des Lese-
und Bildungsbedürfnisses.

Wir denken uns die Sache etwa so: Im allgemeinen hat die Lotterie¬
praxis dazu geführt, daß an der Spitze der Lotteriepläne außer sogenannten
"Prämien" eine Reihe fetter Gewinne stehen. Die preußische Lotterie stellt für
den günstigsten Fall 800000Mark in Aussicht, die sächsische ebenfalls 800000Mark.
Es folgen Gewinne von 500000, 300 000, 200000 Mark usw. Es mag sein,
daß diese sogenannten "Prämien" wie überhaupt die in allen Lotteriereklamen
obenanstehenden dicken Ziffern einen Reiz auf die hoffnungsseligen Spieler aus¬
üben; aber würde nun die Kürzung einer "Prämie" von 300000 Mark um
50000 Mark oder der Gewinne von 500000 Mark oder 200000 Mark um je
25000 Mark die Zahl der spiellustigen vermindern und das "Geschäft"
schädigen? Das ist kaum anzunehmen. Gerade gegen dieses Prämiensystem
wie gegen die übertrieben hohen Hauptgewinne lassen sich übrigens aus mancherlei
Gesichtspunkten heraus gewichtige Bedenken geltend machen. Jedenfalls würde
eine Kürzung der Prämien oder der Hauptgewinne leicht die Mittel liefern, um
den "Genieteten" das Kaufrecht auf ein Buch zu verleihen.

Der Vorschlag ließe sich in verschiedener Weise verwirklichen. Der Staat
könnte die Bücher, die als Trostgewinne in die Hände und Häuser der Spieler
gelangen sollen, selbst herstellen. Richtig angefangen, hätte er damit ein vorzüg¬
liches Mittel, der vielbeklagten Unwissenheit in staatlichen Dingen entgegen¬
zuwirken. Zum Beispiel: Es wird ein jährlich neubearbeitetes Staatshandbuch
herausgegeben; nennen wir es Staatskalender. Die Staatseinrichtungen, die
Gesetzgebung, die statistischen Zahlen der Bevölkerungslehre, gemeinnützige
Bestrebungen, Gesundheitspflege usw. werden in volkstümlicher Darstellung
behandelt. Für alle Stände ließe sich da regelmäßig ein sehr nützlicher Stoff
zusammentragen. Man könnte ein jährlich wiederkehrendes Buch, ein Volksbuch,
schaffen, das jedem willkommen wäre. Mit einem Aufwand von 50 bis 100000
Mark ließe sich etwas leisten.

Aber so verlockend wir diesen Vorschlag auch ausmalen möchten -- jede
Negierung wird es einigermaßen scheuen, sich darauf einzulassen. Sie wird die
allezeit fehdelustige Kritik ihrer Gegner fürchten, und welche Regierung hätte
keine Gegner? Wie scharf pflegt man mit den Regierungsblättern umzuspringen,
und wie mißtrauisch würde man erst ein solches literarisches Unternehmen ver¬
folgen! Das müßte freilich nicht so sein. Eine geschickte Handhabung, losgelöst
von bureaukratischer Engherzigkeit und parteipolitischer Zwecken, der Beweis der
guten Absicht würden voraussichtlich jede unberechtigte Kritik niederschlagen.
Aber -- es bleibt bei den: Aber.


Grenzboten II 1912 10
Lotterie und Literatur

nicht eines idealen Zweckes wegen betreibt, sondern des Gewinnes wegen. Doch
Zureden hilft. Wir verlangen nicht den Verzicht auf den Gewinnertrag. Wir
schlagen etwas anderes vor: Der Staat soll die „Genieteten" nicht leer aus¬
gehen lassen'; er soll den vom Glück betrogenen Nietenbesitzern einen sanften
Trost bereiten, und er soll damit etwas Praktisches wirken zugunsten des Lese-
und Bildungsbedürfnisses.

Wir denken uns die Sache etwa so: Im allgemeinen hat die Lotterie¬
praxis dazu geführt, daß an der Spitze der Lotteriepläne außer sogenannten
„Prämien" eine Reihe fetter Gewinne stehen. Die preußische Lotterie stellt für
den günstigsten Fall 800000Mark in Aussicht, die sächsische ebenfalls 800000Mark.
Es folgen Gewinne von 500000, 300 000, 200000 Mark usw. Es mag sein,
daß diese sogenannten „Prämien" wie überhaupt die in allen Lotteriereklamen
obenanstehenden dicken Ziffern einen Reiz auf die hoffnungsseligen Spieler aus¬
üben; aber würde nun die Kürzung einer „Prämie" von 300000 Mark um
50000 Mark oder der Gewinne von 500000 Mark oder 200000 Mark um je
25000 Mark die Zahl der spiellustigen vermindern und das „Geschäft"
schädigen? Das ist kaum anzunehmen. Gerade gegen dieses Prämiensystem
wie gegen die übertrieben hohen Hauptgewinne lassen sich übrigens aus mancherlei
Gesichtspunkten heraus gewichtige Bedenken geltend machen. Jedenfalls würde
eine Kürzung der Prämien oder der Hauptgewinne leicht die Mittel liefern, um
den „Genieteten" das Kaufrecht auf ein Buch zu verleihen.

Der Vorschlag ließe sich in verschiedener Weise verwirklichen. Der Staat
könnte die Bücher, die als Trostgewinne in die Hände und Häuser der Spieler
gelangen sollen, selbst herstellen. Richtig angefangen, hätte er damit ein vorzüg¬
liches Mittel, der vielbeklagten Unwissenheit in staatlichen Dingen entgegen¬
zuwirken. Zum Beispiel: Es wird ein jährlich neubearbeitetes Staatshandbuch
herausgegeben; nennen wir es Staatskalender. Die Staatseinrichtungen, die
Gesetzgebung, die statistischen Zahlen der Bevölkerungslehre, gemeinnützige
Bestrebungen, Gesundheitspflege usw. werden in volkstümlicher Darstellung
behandelt. Für alle Stände ließe sich da regelmäßig ein sehr nützlicher Stoff
zusammentragen. Man könnte ein jährlich wiederkehrendes Buch, ein Volksbuch,
schaffen, das jedem willkommen wäre. Mit einem Aufwand von 50 bis 100000
Mark ließe sich etwas leisten.

Aber so verlockend wir diesen Vorschlag auch ausmalen möchten — jede
Negierung wird es einigermaßen scheuen, sich darauf einzulassen. Sie wird die
allezeit fehdelustige Kritik ihrer Gegner fürchten, und welche Regierung hätte
keine Gegner? Wie scharf pflegt man mit den Regierungsblättern umzuspringen,
und wie mißtrauisch würde man erst ein solches literarisches Unternehmen ver¬
folgen! Das müßte freilich nicht so sein. Eine geschickte Handhabung, losgelöst
von bureaukratischer Engherzigkeit und parteipolitischer Zwecken, der Beweis der
guten Absicht würden voraussichtlich jede unberechtigte Kritik niederschlagen.
Aber — es bleibt bei den: Aber.


Grenzboten II 1912 10
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[0085] Lotterie und Literatur nicht eines idealen Zweckes wegen betreibt, sondern des Gewinnes wegen. Doch Zureden hilft. Wir verlangen nicht den Verzicht auf den Gewinnertrag. Wir schlagen etwas anderes vor: Der Staat soll die „Genieteten" nicht leer aus¬ gehen lassen'; er soll den vom Glück betrogenen Nietenbesitzern einen sanften Trost bereiten, und er soll damit etwas Praktisches wirken zugunsten des Lese- und Bildungsbedürfnisses. Wir denken uns die Sache etwa so: Im allgemeinen hat die Lotterie¬ praxis dazu geführt, daß an der Spitze der Lotteriepläne außer sogenannten „Prämien" eine Reihe fetter Gewinne stehen. Die preußische Lotterie stellt für den günstigsten Fall 800000Mark in Aussicht, die sächsische ebenfalls 800000Mark. Es folgen Gewinne von 500000, 300 000, 200000 Mark usw. Es mag sein, daß diese sogenannten „Prämien" wie überhaupt die in allen Lotteriereklamen obenanstehenden dicken Ziffern einen Reiz auf die hoffnungsseligen Spieler aus¬ üben; aber würde nun die Kürzung einer „Prämie" von 300000 Mark um 50000 Mark oder der Gewinne von 500000 Mark oder 200000 Mark um je 25000 Mark die Zahl der spiellustigen vermindern und das „Geschäft" schädigen? Das ist kaum anzunehmen. Gerade gegen dieses Prämiensystem wie gegen die übertrieben hohen Hauptgewinne lassen sich übrigens aus mancherlei Gesichtspunkten heraus gewichtige Bedenken geltend machen. Jedenfalls würde eine Kürzung der Prämien oder der Hauptgewinne leicht die Mittel liefern, um den „Genieteten" das Kaufrecht auf ein Buch zu verleihen. Der Vorschlag ließe sich in verschiedener Weise verwirklichen. Der Staat könnte die Bücher, die als Trostgewinne in die Hände und Häuser der Spieler gelangen sollen, selbst herstellen. Richtig angefangen, hätte er damit ein vorzüg¬ liches Mittel, der vielbeklagten Unwissenheit in staatlichen Dingen entgegen¬ zuwirken. Zum Beispiel: Es wird ein jährlich neubearbeitetes Staatshandbuch herausgegeben; nennen wir es Staatskalender. Die Staatseinrichtungen, die Gesetzgebung, die statistischen Zahlen der Bevölkerungslehre, gemeinnützige Bestrebungen, Gesundheitspflege usw. werden in volkstümlicher Darstellung behandelt. Für alle Stände ließe sich da regelmäßig ein sehr nützlicher Stoff zusammentragen. Man könnte ein jährlich wiederkehrendes Buch, ein Volksbuch, schaffen, das jedem willkommen wäre. Mit einem Aufwand von 50 bis 100000 Mark ließe sich etwas leisten. Aber so verlockend wir diesen Vorschlag auch ausmalen möchten — jede Negierung wird es einigermaßen scheuen, sich darauf einzulassen. Sie wird die allezeit fehdelustige Kritik ihrer Gegner fürchten, und welche Regierung hätte keine Gegner? Wie scharf pflegt man mit den Regierungsblättern umzuspringen, und wie mißtrauisch würde man erst ein solches literarisches Unternehmen ver¬ folgen! Das müßte freilich nicht so sein. Eine geschickte Handhabung, losgelöst von bureaukratischer Engherzigkeit und parteipolitischer Zwecken, der Beweis der guten Absicht würden voraussichtlich jede unberechtigte Kritik niederschlagen. Aber — es bleibt bei den: Aber. Grenzboten II 1912 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/85>, abgerufen am 17.06.2024.