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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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leicht ist es aber zweckmäßig, diesem Werke
eine um die gleiche Zeit erschienene kleine Ab¬
handlung des deutschen Altmeisters der Psycho¬
logie gegenüberzustellen, das in seiner Nüch¬
ternheit und naturwissenschaftlichen Strenge
gewissermaßen als Heilserum gegen alle ge¬
fühlsmäßigen Beeinflussungen auf diesem Ge¬
biete allgemein zu empfehlen ist. Es ist der
in zweiter Auflage bei W. Engelmann-Leipzig
erschienene Sonderabdruck "Hypnotismus und
Suggestion" von Wilhelm Wundt, 1911,69 S.

Seit der ersten Auflage dieses Werkchens
sind etwa zwanzig Jahre verstrichen. Die
"okkultistische Hochflut" in Deutschland, gegen
die sich die Schrift besonders richtete, ist, so¬
weit sie überhaupt fachwissenschaftliche Kreise
berührt hatte, inzwischen ganz abgeklungen.
Von einigen, heute nicht mehr angebrachten
Polemischen Bemerkungen abgesehen, hatWundt
dieseSchrift im wesentlichen unverändertwieder
herausgeben dürfen. Und in der Tat haben
die dort aufgestellten allgemeinen Prinzipien
heute noch wie damals volle Gültigkeit: auf
der einen Seite die Anerkennung und Fest¬
legung der unzweifelhaften Tatsachen des Hyp¬
notismus, die Notwendigkeit, sie in den all¬
gemeinen gesetzmäßigen Zusammenhang mit
der Psychologischen und Physiologischen Wissen¬
schaft zu bringen, auf der anderen Seite
schärfste Abtrennung und Ablehnung aller über
die Grenze des Erfahrbaren hinausgehenden
mystischen Spekulationen und verworrenen
Hypothesen -- mögen sie unter der Flagge des
tierischen Magnetismus, der Telepathie, des
Spiritismus oder auch unter dem Namen
"Suggestion" segeln und sich die Anhänger¬
schaft gläubiger Gemüter erworben haben.

Zu welchen Konsequenzen, fragt sich Wundt,
würden uns schließlich die Ergebnisse dieser
vermeintlichen Wissenschaften führen, wenn sie
wirklich zu siecht bestünden? Wir müßten
"offenbar zu der Annahme gelangen", sagt
er wörtlich, "daß die Welt, die uns umgibt,
eigentlich aus zwei völlig verschiedenen Welten
zusammengesetzt sei. Die eine Welt ist die
eines Kopernikus, Galilei und Newton, eines
Leibniz und Kant, jenes Universum ewig un¬
veränderlicher Gesetze, in dem das Kleinste
wie das Größte harmonisch dem Ganzen sich
einfügt. Neben dieser großen Welt, die bei
jedem Schritt, den wir vorwärts tun, in ge-

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steigerten! Maße unsere Bewunderung erregt,
würde es aber noch eine andere kleine Welt
geben, eine Welt derHuzelmännchen und Klopf¬
geister, der Hexen und magnetischen Medien;
und in dieser kleinen Welt ist alles, was in
jener großen, erhabenen Welt geschieht, auf
den Kopf gestellt, alle sonst unabänderlichen
Gesetze werden zum Nutzen höchst gewöhn¬
licher, meist hysterischer Personen gelegentlich
außer Gebrauch gesetzt." Und diese Umwäl¬
zung geschieht, wie Wundt weiter ausführt,
keineswegs um etwa wichtige Ereignisse vor¬
auszusagen, sondern um irgend welcher un¬
bedeutender familiärer Dinge halber, die oft
auch auf natürlichem Wege mit annähernd
gleicher Sicherheit hätten vermutet werden
können. Schon aus diesen allgemeinen Er¬
wägungen heraus lehnt Wundt jede ernsthafte
Beschäftigung mit derartigen "Psychischen Stu¬
dien", denen selbst einzelne, ans anderen Ge¬
bieten bedeutende Gelehrte zum Opfer ge¬
fallen sind, grundsätzlich ab.

Jedoch Wundt geht in seiner berechtigten
Zurückhaltung hier wie in der früheren
Auflage, wie uns scheint, zu weit. Gewiß
kann die Wissenschaft nicht verpflichtet sein,
jede törichte Behauptung, jede auf krankhafter
Wahrnehmung und mangelnder Vorkenntnis
beruhende Täuschung eingehend zu unter¬
suchen. Aber, abgesehen von der Gefahr,
daß eine zu weitgehende Skepsis zum Dogma¬
tismus führen kann, abgesehen von der Not¬
wendigkeit, sich bisweilen im Interesse all¬
gemeiner Aufklärung auch mit offenbar un¬
sinnigen Behauptungen der Laien befassen zu
müssen, will Wundt selbst die anerkannten
Tatsachen hypnotischer Zustände aus den
Arbeiten seines Laboratoriums aus dem
"Arbeitsraum des Psychologen" verbannt und
ausschließlich in das Krankenzimmer verlegt
haben. Man mag ihm ruhig zugeben, daß
der hypnotische Schlaf "ein abnormer Zu¬
stand" ist, es bleibt dennoch die unbestreitbare
Tatsache bestehen, daß das psychologische
Studium gerade von abnormen Seelen¬
zuständen, der natürlichen wie der künstlich
erzeugten -- ich erinnere nur an Kräpelins
Experimente -- außerordentlich befruchtend
auf die Forschung der letzten Jahrzehnte ein¬
gewirkt hat, und daß trotz Wundes Ablehnung
eine Reihe einwandfreier und unschädlicher

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Grenzboten III 191212
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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leicht ist es aber zweckmäßig, diesem Werke
eine um die gleiche Zeit erschienene kleine Ab¬
handlung des deutschen Altmeisters der Psycho¬
logie gegenüberzustellen, das in seiner Nüch¬
ternheit und naturwissenschaftlichen Strenge
gewissermaßen als Heilserum gegen alle ge¬
fühlsmäßigen Beeinflussungen auf diesem Ge¬
biete allgemein zu empfehlen ist. Es ist der
in zweiter Auflage bei W. Engelmann-Leipzig
erschienene Sonderabdruck „Hypnotismus und
Suggestion" von Wilhelm Wundt, 1911,69 S.

Seit der ersten Auflage dieses Werkchens
sind etwa zwanzig Jahre verstrichen. Die
„okkultistische Hochflut" in Deutschland, gegen
die sich die Schrift besonders richtete, ist, so¬
weit sie überhaupt fachwissenschaftliche Kreise
berührt hatte, inzwischen ganz abgeklungen.
Von einigen, heute nicht mehr angebrachten
Polemischen Bemerkungen abgesehen, hatWundt
dieseSchrift im wesentlichen unverändertwieder
herausgeben dürfen. Und in der Tat haben
die dort aufgestellten allgemeinen Prinzipien
heute noch wie damals volle Gültigkeit: auf
der einen Seite die Anerkennung und Fest¬
legung der unzweifelhaften Tatsachen des Hyp¬
notismus, die Notwendigkeit, sie in den all¬
gemeinen gesetzmäßigen Zusammenhang mit
der Psychologischen und Physiologischen Wissen¬
schaft zu bringen, auf der anderen Seite
schärfste Abtrennung und Ablehnung aller über
die Grenze des Erfahrbaren hinausgehenden
mystischen Spekulationen und verworrenen
Hypothesen — mögen sie unter der Flagge des
tierischen Magnetismus, der Telepathie, des
Spiritismus oder auch unter dem Namen
„Suggestion" segeln und sich die Anhänger¬
schaft gläubiger Gemüter erworben haben.

Zu welchen Konsequenzen, fragt sich Wundt,
würden uns schließlich die Ergebnisse dieser
vermeintlichen Wissenschaften führen, wenn sie
wirklich zu siecht bestünden? Wir müßten
„offenbar zu der Annahme gelangen", sagt
er wörtlich, „daß die Welt, die uns umgibt,
eigentlich aus zwei völlig verschiedenen Welten
zusammengesetzt sei. Die eine Welt ist die
eines Kopernikus, Galilei und Newton, eines
Leibniz und Kant, jenes Universum ewig un¬
veränderlicher Gesetze, in dem das Kleinste
wie das Größte harmonisch dem Ganzen sich
einfügt. Neben dieser großen Welt, die bei
jedem Schritt, den wir vorwärts tun, in ge-

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steigerten! Maße unsere Bewunderung erregt,
würde es aber noch eine andere kleine Welt
geben, eine Welt derHuzelmännchen und Klopf¬
geister, der Hexen und magnetischen Medien;
und in dieser kleinen Welt ist alles, was in
jener großen, erhabenen Welt geschieht, auf
den Kopf gestellt, alle sonst unabänderlichen
Gesetze werden zum Nutzen höchst gewöhn¬
licher, meist hysterischer Personen gelegentlich
außer Gebrauch gesetzt." Und diese Umwäl¬
zung geschieht, wie Wundt weiter ausführt,
keineswegs um etwa wichtige Ereignisse vor¬
auszusagen, sondern um irgend welcher un¬
bedeutender familiärer Dinge halber, die oft
auch auf natürlichem Wege mit annähernd
gleicher Sicherheit hätten vermutet werden
können. Schon aus diesen allgemeinen Er¬
wägungen heraus lehnt Wundt jede ernsthafte
Beschäftigung mit derartigen „Psychischen Stu¬
dien", denen selbst einzelne, ans anderen Ge¬
bieten bedeutende Gelehrte zum Opfer ge¬
fallen sind, grundsätzlich ab.

Jedoch Wundt geht in seiner berechtigten
Zurückhaltung hier wie in der früheren
Auflage, wie uns scheint, zu weit. Gewiß
kann die Wissenschaft nicht verpflichtet sein,
jede törichte Behauptung, jede auf krankhafter
Wahrnehmung und mangelnder Vorkenntnis
beruhende Täuschung eingehend zu unter¬
suchen. Aber, abgesehen von der Gefahr,
daß eine zu weitgehende Skepsis zum Dogma¬
tismus führen kann, abgesehen von der Not¬
wendigkeit, sich bisweilen im Interesse all¬
gemeiner Aufklärung auch mit offenbar un¬
sinnigen Behauptungen der Laien befassen zu
müssen, will Wundt selbst die anerkannten
Tatsachen hypnotischer Zustände aus den
Arbeiten seines Laboratoriums aus dem
„Arbeitsraum des Psychologen" verbannt und
ausschließlich in das Krankenzimmer verlegt
haben. Man mag ihm ruhig zugeben, daß
der hypnotische Schlaf „ein abnormer Zu¬
stand" ist, es bleibt dennoch die unbestreitbare
Tatsache bestehen, daß das psychologische
Studium gerade von abnormen Seelen¬
zuständen, der natürlichen wie der künstlich
erzeugten — ich erinnere nur an Kräpelins
Experimente — außerordentlich befruchtend
auf die Forschung der letzten Jahrzehnte ein¬
gewirkt hat, und daß trotz Wundes Ablehnung
eine Reihe einwandfreier und unschädlicher

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Grenzboten III 191212
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[0101] Maßgebliches und Unmaßgebliches leicht ist es aber zweckmäßig, diesem Werke eine um die gleiche Zeit erschienene kleine Ab¬ handlung des deutschen Altmeisters der Psycho¬ logie gegenüberzustellen, das in seiner Nüch¬ ternheit und naturwissenschaftlichen Strenge gewissermaßen als Heilserum gegen alle ge¬ fühlsmäßigen Beeinflussungen auf diesem Ge¬ biete allgemein zu empfehlen ist. Es ist der in zweiter Auflage bei W. Engelmann-Leipzig erschienene Sonderabdruck „Hypnotismus und Suggestion" von Wilhelm Wundt, 1911,69 S. Seit der ersten Auflage dieses Werkchens sind etwa zwanzig Jahre verstrichen. Die „okkultistische Hochflut" in Deutschland, gegen die sich die Schrift besonders richtete, ist, so¬ weit sie überhaupt fachwissenschaftliche Kreise berührt hatte, inzwischen ganz abgeklungen. Von einigen, heute nicht mehr angebrachten Polemischen Bemerkungen abgesehen, hatWundt dieseSchrift im wesentlichen unverändertwieder herausgeben dürfen. Und in der Tat haben die dort aufgestellten allgemeinen Prinzipien heute noch wie damals volle Gültigkeit: auf der einen Seite die Anerkennung und Fest¬ legung der unzweifelhaften Tatsachen des Hyp¬ notismus, die Notwendigkeit, sie in den all¬ gemeinen gesetzmäßigen Zusammenhang mit der Psychologischen und Physiologischen Wissen¬ schaft zu bringen, auf der anderen Seite schärfste Abtrennung und Ablehnung aller über die Grenze des Erfahrbaren hinausgehenden mystischen Spekulationen und verworrenen Hypothesen — mögen sie unter der Flagge des tierischen Magnetismus, der Telepathie, des Spiritismus oder auch unter dem Namen „Suggestion" segeln und sich die Anhänger¬ schaft gläubiger Gemüter erworben haben. Zu welchen Konsequenzen, fragt sich Wundt, würden uns schließlich die Ergebnisse dieser vermeintlichen Wissenschaften führen, wenn sie wirklich zu siecht bestünden? Wir müßten „offenbar zu der Annahme gelangen", sagt er wörtlich, „daß die Welt, die uns umgibt, eigentlich aus zwei völlig verschiedenen Welten zusammengesetzt sei. Die eine Welt ist die eines Kopernikus, Galilei und Newton, eines Leibniz und Kant, jenes Universum ewig un¬ veränderlicher Gesetze, in dem das Kleinste wie das Größte harmonisch dem Ganzen sich einfügt. Neben dieser großen Welt, die bei jedem Schritt, den wir vorwärts tun, in ge- steigerten! Maße unsere Bewunderung erregt, würde es aber noch eine andere kleine Welt geben, eine Welt derHuzelmännchen und Klopf¬ geister, der Hexen und magnetischen Medien; und in dieser kleinen Welt ist alles, was in jener großen, erhabenen Welt geschieht, auf den Kopf gestellt, alle sonst unabänderlichen Gesetze werden zum Nutzen höchst gewöhn¬ licher, meist hysterischer Personen gelegentlich außer Gebrauch gesetzt." Und diese Umwäl¬ zung geschieht, wie Wundt weiter ausführt, keineswegs um etwa wichtige Ereignisse vor¬ auszusagen, sondern um irgend welcher un¬ bedeutender familiärer Dinge halber, die oft auch auf natürlichem Wege mit annähernd gleicher Sicherheit hätten vermutet werden können. Schon aus diesen allgemeinen Er¬ wägungen heraus lehnt Wundt jede ernsthafte Beschäftigung mit derartigen „Psychischen Stu¬ dien", denen selbst einzelne, ans anderen Ge¬ bieten bedeutende Gelehrte zum Opfer ge¬ fallen sind, grundsätzlich ab. Jedoch Wundt geht in seiner berechtigten Zurückhaltung hier wie in der früheren Auflage, wie uns scheint, zu weit. Gewiß kann die Wissenschaft nicht verpflichtet sein, jede törichte Behauptung, jede auf krankhafter Wahrnehmung und mangelnder Vorkenntnis beruhende Täuschung eingehend zu unter¬ suchen. Aber, abgesehen von der Gefahr, daß eine zu weitgehende Skepsis zum Dogma¬ tismus führen kann, abgesehen von der Not¬ wendigkeit, sich bisweilen im Interesse all¬ gemeiner Aufklärung auch mit offenbar un¬ sinnigen Behauptungen der Laien befassen zu müssen, will Wundt selbst die anerkannten Tatsachen hypnotischer Zustände aus den Arbeiten seines Laboratoriums aus dem „Arbeitsraum des Psychologen" verbannt und ausschließlich in das Krankenzimmer verlegt haben. Man mag ihm ruhig zugeben, daß der hypnotische Schlaf „ein abnormer Zu¬ stand" ist, es bleibt dennoch die unbestreitbare Tatsache bestehen, daß das psychologische Studium gerade von abnormen Seelen¬ zuständen, der natürlichen wie der künstlich erzeugten — ich erinnere nur an Kräpelins Experimente — außerordentlich befruchtend auf die Forschung der letzten Jahrzehnte ein¬ gewirkt hat, und daß trotz Wundes Ablehnung eine Reihe einwandfreier und unschädlicher Grenzboten III 191212

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/101>, abgerufen am 18.05.2024.