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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

bedingter Anerkennung der Autorität auf¬
gewachsen war, konnte die "Verweichlichung"
moderner Erziehung und die unberufene
Kritik, die an der Autorität in Schule und
Familie geübt wird, nicht scharf genug ver¬
höhnen. "Drei große Imperative" -- so
sagt er -- "sind die ewigen Leitsterne der
währen Erziehung: Lerne gehorchen I Lerne
dich anstrengen I Lerne dir versagen und deine
Begierden überwintert" Einst hatte Zelter
dem Enkel Goethes "Lerne gehorchen I" ins
Stammbuch geschrieben und als Goethe beim
Durchblättern des Buches diese Worte er¬
blickte, rief er aus: "Das ist doch das einzig
Vernünftige in dem ganzen Wust/' So dachte
anch Paulsen, Die Richtlinien, die dem "Jahr¬
hundert des Kindes" vorgezeichnet scheinen,
eine Erziehung im Geiste moderner, ver¬
feinerter Kultur, waren nicht nach seinem
Sinn. Ein rechtschaffenes Dorf, ein recht¬
schaffenes Bauernhaus, eine rechtschaffene Dorf¬
schule in ihrer Einheit galten ihm in dank¬
barem Gedächtnis als die vollkommenste
Bildungsstätte für die Kinder- und Knaben¬
jahre. Aus der Verklärung, die die Erinne¬
rung über Vergangenes breitet, und aus der
Bitternis, an: Ende tatenreichcr Tage dem
als gut und richtig Erkannten nicht mehr zum
Siege verhelfen zu können, begreifen wir die
denkwürdigen Worte, die Friedrich Paulsen
unter sein Leben setzte: ". . . Der Wahrheit
und der gesunden Vernunft Freund, Feind
der Lüge und dem Schein, ein Anhänger der
guten Sache, auch der nicht siegenden, der
Ehre der Welt nicht allzu begierig, nicht im
Gefolge des Willens zur Macht, der Heimat
treu, den Eltern und Lehrern seiner Jugend
dankbar zugetan, lebte er in einer Zeit, die
von dem allen das Gegenteil hielt, und ver¬
ließ daher nicht unwillig diese Welt in der
Hoffnung einer besseren." Sie sind auf seinen
Wunsch in der Kirche seines Geburtsortes,
des friesischen Dorfes Langenhorn, ihm zum
Gedächtnis eingegraben worden und mögen,
indem sie auch hier ihre Stelle finden seinem
Dr. M. Aelchncr Andenken dienen.

Literatur
Heinrich Spiero: "Verschworene der
Zukunft." Ein Roman. Im Xenien - Verlag
Leipzig, 1911. 3 M.
[Spaltenumbruch]

Dieses etwas breite, aber von sympathi¬
schen Enthusiasmus durchwärmte Buch be¬
handelt das politische Erwachen eines deutschen
Studenten am Ende der achtziger Jahre des
verflossenen Jahrhunderts. Er ist einer von
jenen "Verschworenen der Zukunft", die keine
Verschwörung wollen, sondern "Arbeit für die
Zukunft." Es wäre aufs lebhafteste zu be¬
grüßen, wenn unter unseren Studenten auch
heute sich solche Verschworene in recht großer
Zahl finden wollten, Verschworene, die, wie
der Held des Romans, bevor sie im Partei¬
getriebe untertauchen, harte Arbeit leisten, an
ihrem wissenschaftlichen Rüstzeug sowohl wie
an ihrem Charakter, Arbeit, die sie befähigt,
Phrasen zu zerstreuen und sich in allem
Parteihader das Auge für nationale Ziele
offen zu halten. Und darum sei dies sonnige
Buch mit seinen kernigen Gestalten besonders
unseren wahrhaft national gesinnten Studenten
und ihren Freunden empfohlen. Vielleicht
führt es manchen zur Einsicht und befestigt
manchen Einsichtigen in seinem Entschluß.
Auch diese werden dann, wie die Studenten
von damals, den Worten zujubeln, die am
Ende des Buches der achtzigjährige Bismarck
ihnen zuruft: "Halten wir was wir haben,
vor allen Dingen, ehe wir Neues versuchen.
Fürchten wir uns nicht vor denjenigen, die
uns das nicht gönnen, was wir haben. Es
sind Kämpfe in Deutschland ja immer ge¬
wesen. ... Nur muß man in allen Kämpfen,
sobald die nationale Frage auftaucht, auch
immer einen Sammelpunkt haben, und das
ist für uns das Reich, nicht wie es vielleicht
gewünscht werden könnte, sondern wie es
besteht, das Reich und sein Kaiser." --

-- a--
Drama und Freimaurerei,

so betitelt Hein¬
rich Welckrr eine freimaurerische Betrachtung
über die Dramatik von heute (Berlin, Alfred
Unger; Preis geh. 2 M.), und er liefert da¬
mit einen höchst geschickt geschriebenen Beitrag
zu den keineswegs zahlreichen maurerischen
Veröffentlichungen, die den Nichtmaurer an¬
ziehen können. Denn der Verfasser täuscht
sich durchaus nicht über die geringschätzige
Gleichgültigkeit im öffentlichen Bewußtsein
gegenüber allem Logenwesen. Er räumt sogar
freimütig und ohne jede stilistische Fuchs¬
schwänzerei ein, daß die Schuld hieran nicht

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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bedingter Anerkennung der Autorität auf¬
gewachsen war, konnte die „Verweichlichung"
moderner Erziehung und die unberufene
Kritik, die an der Autorität in Schule und
Familie geübt wird, nicht scharf genug ver¬
höhnen. „Drei große Imperative" — so
sagt er — „sind die ewigen Leitsterne der
währen Erziehung: Lerne gehorchen I Lerne
dich anstrengen I Lerne dir versagen und deine
Begierden überwintert" Einst hatte Zelter
dem Enkel Goethes „Lerne gehorchen I" ins
Stammbuch geschrieben und als Goethe beim
Durchblättern des Buches diese Worte er¬
blickte, rief er aus: „Das ist doch das einzig
Vernünftige in dem ganzen Wust/' So dachte
anch Paulsen, Die Richtlinien, die dem „Jahr¬
hundert des Kindes" vorgezeichnet scheinen,
eine Erziehung im Geiste moderner, ver¬
feinerter Kultur, waren nicht nach seinem
Sinn. Ein rechtschaffenes Dorf, ein recht¬
schaffenes Bauernhaus, eine rechtschaffene Dorf¬
schule in ihrer Einheit galten ihm in dank¬
barem Gedächtnis als die vollkommenste
Bildungsstätte für die Kinder- und Knaben¬
jahre. Aus der Verklärung, die die Erinne¬
rung über Vergangenes breitet, und aus der
Bitternis, an: Ende tatenreichcr Tage dem
als gut und richtig Erkannten nicht mehr zum
Siege verhelfen zu können, begreifen wir die
denkwürdigen Worte, die Friedrich Paulsen
unter sein Leben setzte: „. . . Der Wahrheit
und der gesunden Vernunft Freund, Feind
der Lüge und dem Schein, ein Anhänger der
guten Sache, auch der nicht siegenden, der
Ehre der Welt nicht allzu begierig, nicht im
Gefolge des Willens zur Macht, der Heimat
treu, den Eltern und Lehrern seiner Jugend
dankbar zugetan, lebte er in einer Zeit, die
von dem allen das Gegenteil hielt, und ver¬
ließ daher nicht unwillig diese Welt in der
Hoffnung einer besseren." Sie sind auf seinen
Wunsch in der Kirche seines Geburtsortes,
des friesischen Dorfes Langenhorn, ihm zum
Gedächtnis eingegraben worden und mögen,
indem sie auch hier ihre Stelle finden seinem
Dr. M. Aelchncr Andenken dienen.

Literatur
Heinrich Spiero: „Verschworene der
Zukunft." Ein Roman. Im Xenien - Verlag
Leipzig, 1911. 3 M.
[Spaltenumbruch]

Dieses etwas breite, aber von sympathi¬
schen Enthusiasmus durchwärmte Buch be¬
handelt das politische Erwachen eines deutschen
Studenten am Ende der achtziger Jahre des
verflossenen Jahrhunderts. Er ist einer von
jenen „Verschworenen der Zukunft", die keine
Verschwörung wollen, sondern „Arbeit für die
Zukunft." Es wäre aufs lebhafteste zu be¬
grüßen, wenn unter unseren Studenten auch
heute sich solche Verschworene in recht großer
Zahl finden wollten, Verschworene, die, wie
der Held des Romans, bevor sie im Partei¬
getriebe untertauchen, harte Arbeit leisten, an
ihrem wissenschaftlichen Rüstzeug sowohl wie
an ihrem Charakter, Arbeit, die sie befähigt,
Phrasen zu zerstreuen und sich in allem
Parteihader das Auge für nationale Ziele
offen zu halten. Und darum sei dies sonnige
Buch mit seinen kernigen Gestalten besonders
unseren wahrhaft national gesinnten Studenten
und ihren Freunden empfohlen. Vielleicht
führt es manchen zur Einsicht und befestigt
manchen Einsichtigen in seinem Entschluß.
Auch diese werden dann, wie die Studenten
von damals, den Worten zujubeln, die am
Ende des Buches der achtzigjährige Bismarck
ihnen zuruft: „Halten wir was wir haben,
vor allen Dingen, ehe wir Neues versuchen.
Fürchten wir uns nicht vor denjenigen, die
uns das nicht gönnen, was wir haben. Es
sind Kämpfe in Deutschland ja immer ge¬
wesen. ... Nur muß man in allen Kämpfen,
sobald die nationale Frage auftaucht, auch
immer einen Sammelpunkt haben, und das
ist für uns das Reich, nicht wie es vielleicht
gewünscht werden könnte, sondern wie es
besteht, das Reich und sein Kaiser." —

— a—
Drama und Freimaurerei,

so betitelt Hein¬
rich Welckrr eine freimaurerische Betrachtung
über die Dramatik von heute (Berlin, Alfred
Unger; Preis geh. 2 M.), und er liefert da¬
mit einen höchst geschickt geschriebenen Beitrag
zu den keineswegs zahlreichen maurerischen
Veröffentlichungen, die den Nichtmaurer an¬
ziehen können. Denn der Verfasser täuscht
sich durchaus nicht über die geringschätzige
Gleichgültigkeit im öffentlichen Bewußtsein
gegenüber allem Logenwesen. Er räumt sogar
freimütig und ohne jede stilistische Fuchs¬
schwänzerei ein, daß die Schuld hieran nicht

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[0438] Maßgebliches und Unmaßgebliches bedingter Anerkennung der Autorität auf¬ gewachsen war, konnte die „Verweichlichung" moderner Erziehung und die unberufene Kritik, die an der Autorität in Schule und Familie geübt wird, nicht scharf genug ver¬ höhnen. „Drei große Imperative" — so sagt er — „sind die ewigen Leitsterne der währen Erziehung: Lerne gehorchen I Lerne dich anstrengen I Lerne dir versagen und deine Begierden überwintert" Einst hatte Zelter dem Enkel Goethes „Lerne gehorchen I" ins Stammbuch geschrieben und als Goethe beim Durchblättern des Buches diese Worte er¬ blickte, rief er aus: „Das ist doch das einzig Vernünftige in dem ganzen Wust/' So dachte anch Paulsen, Die Richtlinien, die dem „Jahr¬ hundert des Kindes" vorgezeichnet scheinen, eine Erziehung im Geiste moderner, ver¬ feinerter Kultur, waren nicht nach seinem Sinn. Ein rechtschaffenes Dorf, ein recht¬ schaffenes Bauernhaus, eine rechtschaffene Dorf¬ schule in ihrer Einheit galten ihm in dank¬ barem Gedächtnis als die vollkommenste Bildungsstätte für die Kinder- und Knaben¬ jahre. Aus der Verklärung, die die Erinne¬ rung über Vergangenes breitet, und aus der Bitternis, an: Ende tatenreichcr Tage dem als gut und richtig Erkannten nicht mehr zum Siege verhelfen zu können, begreifen wir die denkwürdigen Worte, die Friedrich Paulsen unter sein Leben setzte: „. . . Der Wahrheit und der gesunden Vernunft Freund, Feind der Lüge und dem Schein, ein Anhänger der guten Sache, auch der nicht siegenden, der Ehre der Welt nicht allzu begierig, nicht im Gefolge des Willens zur Macht, der Heimat treu, den Eltern und Lehrern seiner Jugend dankbar zugetan, lebte er in einer Zeit, die von dem allen das Gegenteil hielt, und ver¬ ließ daher nicht unwillig diese Welt in der Hoffnung einer besseren." Sie sind auf seinen Wunsch in der Kirche seines Geburtsortes, des friesischen Dorfes Langenhorn, ihm zum Gedächtnis eingegraben worden und mögen, indem sie auch hier ihre Stelle finden seinem Dr. M. Aelchncr Andenken dienen. Literatur Heinrich Spiero: „Verschworene der Zukunft." Ein Roman. Im Xenien - Verlag Leipzig, 1911. 3 M. Dieses etwas breite, aber von sympathi¬ schen Enthusiasmus durchwärmte Buch be¬ handelt das politische Erwachen eines deutschen Studenten am Ende der achtziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts. Er ist einer von jenen „Verschworenen der Zukunft", die keine Verschwörung wollen, sondern „Arbeit für die Zukunft." Es wäre aufs lebhafteste zu be¬ grüßen, wenn unter unseren Studenten auch heute sich solche Verschworene in recht großer Zahl finden wollten, Verschworene, die, wie der Held des Romans, bevor sie im Partei¬ getriebe untertauchen, harte Arbeit leisten, an ihrem wissenschaftlichen Rüstzeug sowohl wie an ihrem Charakter, Arbeit, die sie befähigt, Phrasen zu zerstreuen und sich in allem Parteihader das Auge für nationale Ziele offen zu halten. Und darum sei dies sonnige Buch mit seinen kernigen Gestalten besonders unseren wahrhaft national gesinnten Studenten und ihren Freunden empfohlen. Vielleicht führt es manchen zur Einsicht und befestigt manchen Einsichtigen in seinem Entschluß. Auch diese werden dann, wie die Studenten von damals, den Worten zujubeln, die am Ende des Buches der achtzigjährige Bismarck ihnen zuruft: „Halten wir was wir haben, vor allen Dingen, ehe wir Neues versuchen. Fürchten wir uns nicht vor denjenigen, die uns das nicht gönnen, was wir haben. Es sind Kämpfe in Deutschland ja immer ge¬ wesen. ... Nur muß man in allen Kämpfen, sobald die nationale Frage auftaucht, auch immer einen Sammelpunkt haben, und das ist für uns das Reich, nicht wie es vielleicht gewünscht werden könnte, sondern wie es besteht, das Reich und sein Kaiser." — — a— Drama und Freimaurerei, so betitelt Hein¬ rich Welckrr eine freimaurerische Betrachtung über die Dramatik von heute (Berlin, Alfred Unger; Preis geh. 2 M.), und er liefert da¬ mit einen höchst geschickt geschriebenen Beitrag zu den keineswegs zahlreichen maurerischen Veröffentlichungen, die den Nichtmaurer an¬ ziehen können. Denn der Verfasser täuscht sich durchaus nicht über die geringschätzige Gleichgültigkeit im öffentlichen Bewußtsein gegenüber allem Logenwesen. Er räumt sogar freimütig und ohne jede stilistische Fuchs¬ schwänzerei ein, daß die Schuld hieran nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/438>, abgerufen am 18.05.2024.