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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die deutsche Rheinmündung

auferlegt, ein Zustand, der kaum mit dem Buchstaben, sicher aber nicht mit dem
Sinne der Nheinschiffahrtsakte zu vereinen ist.

Die Ausnutzung der deutschen Zwangslage durch jene dreifachen Schiffahrts¬
belastungen sind für Holland um so einträglicher, für Deutschland um so ab¬
träglicher geworden, als gerade in den letzten Jahren die deutsche Verkehrs¬
entwicklung im Rheintal außerordentliche, ja geradezu phänomenale Fortschritte
gemacht hat. Gingen doch um 1895 erst etwa 7^ Millionen Tonnen, vor einem
Jahrzehnt schon rund 15 Millionen Tonnen, im vergangenen Jahre sogar fast
31 Millionen Tonnen zu Berg und zu Tal über die deutsch-holländische Grenze.
Der Verlust, der dem deutschen Volksvermögen hier durch jene dreifachen
holländischen Schiffahrtsbelastungen unmittelbar und mittelbar erwächst, dürfte
sicher auf ein Vielfaches der vielen Millionengewinne Hollands ans dem deutschen
Durchgangsverkehr zu schätzen sein.

Allein schon aus diesen Umständen ist es erklärlich, daß die Beseitigung
der auf die Dauer unerträglich schweren Schädigung der deutschen Rheinschiffahrt
durch die indirekten holländischen Rheinzölle und Schiffahrtsbehinderungen auf
der Tagesordnung steht. Dabei erscheint die Erledigung dieser Frage um so
brennender, als die Ausdehnung der westlichen Industrie und Verkehrs mit
Riesenschritten vorwärts eilt und einen besseren Anschluß, besser noch als selbst
der Rhein ihr zu bieten vermag, an das Meer, die goldene Straße des Welt¬
handels, immer dringender verlangt. Der vielleicht nahe liegende Gedanke, daß
hier die neuen preußischen Kanalwege von der begradigten Eins über Herre
weiter zur Lippe- und Ruhrmündung Abhilfe schaffen, ist irrig, da die
Kanäle infolge ihres geringen Tiefganges von nur 2,5 Metern (gegen 3 bis
4.4 Meter des Rheins), der großen Umwege -- die Strecke Duisburg--Herre--
Emden ist ungefähr doppelt so lang wie die von Duisburg bis Rotterdam --,
der überaus hohen, die Schiffahrt nicht unerheblich verzögernden und erschwerenden
Schleusenzahl, der deshalb notwendig hohen Kanalabgaben und Frachtkosten
ganz untauglich sind zum Wettbewerb mit der weit leistungsfähigeren, kürzeren
und zurzeit noch abgabefreien Rheinstrecke.

Vielmehr sind es drei andere Wege, die hier die Dinge zum Besseren
wenden können. Der Nächstliegende Weg ist der, daß Holland sich auf seine
historische und auch im wohlverstandenen eigenen Interesse liegende Aufgabe
besinnt und die notwendige Besserung des Rhetnfahrwassers beginnt, sei es
selbständig oder mit Hilfe des Deutschen Reiches, für welches diese Frage in
auch Holland Vorteile bietender Weise in dem neuen Schiffahrtsabgabengesetz
geregelt ist. Es ist Hollands Sache, sich hierüber schlüssig zu werden, und nicht
die unsere zu rufen: Holland wach auf!

Aber selbst wenn Holland geneigt ist, auf die eine oder andere Weise
den Rheinweg den Verhältnissen entsprechend zu unterhalten, so bleibt immer
die Frage bestehen, ob selbst dann die verbesserte holländische Rheinstraße der
deutschen Volkswirtschaft, vor allen: der westdeutschen Industrie und dem Bergbau


Die deutsche Rheinmündung

auferlegt, ein Zustand, der kaum mit dem Buchstaben, sicher aber nicht mit dem
Sinne der Nheinschiffahrtsakte zu vereinen ist.

Die Ausnutzung der deutschen Zwangslage durch jene dreifachen Schiffahrts¬
belastungen sind für Holland um so einträglicher, für Deutschland um so ab¬
träglicher geworden, als gerade in den letzten Jahren die deutsche Verkehrs¬
entwicklung im Rheintal außerordentliche, ja geradezu phänomenale Fortschritte
gemacht hat. Gingen doch um 1895 erst etwa 7^ Millionen Tonnen, vor einem
Jahrzehnt schon rund 15 Millionen Tonnen, im vergangenen Jahre sogar fast
31 Millionen Tonnen zu Berg und zu Tal über die deutsch-holländische Grenze.
Der Verlust, der dem deutschen Volksvermögen hier durch jene dreifachen
holländischen Schiffahrtsbelastungen unmittelbar und mittelbar erwächst, dürfte
sicher auf ein Vielfaches der vielen Millionengewinne Hollands ans dem deutschen
Durchgangsverkehr zu schätzen sein.

Allein schon aus diesen Umständen ist es erklärlich, daß die Beseitigung
der auf die Dauer unerträglich schweren Schädigung der deutschen Rheinschiffahrt
durch die indirekten holländischen Rheinzölle und Schiffahrtsbehinderungen auf
der Tagesordnung steht. Dabei erscheint die Erledigung dieser Frage um so
brennender, als die Ausdehnung der westlichen Industrie und Verkehrs mit
Riesenschritten vorwärts eilt und einen besseren Anschluß, besser noch als selbst
der Rhein ihr zu bieten vermag, an das Meer, die goldene Straße des Welt¬
handels, immer dringender verlangt. Der vielleicht nahe liegende Gedanke, daß
hier die neuen preußischen Kanalwege von der begradigten Eins über Herre
weiter zur Lippe- und Ruhrmündung Abhilfe schaffen, ist irrig, da die
Kanäle infolge ihres geringen Tiefganges von nur 2,5 Metern (gegen 3 bis
4.4 Meter des Rheins), der großen Umwege — die Strecke Duisburg—Herre—
Emden ist ungefähr doppelt so lang wie die von Duisburg bis Rotterdam —,
der überaus hohen, die Schiffahrt nicht unerheblich verzögernden und erschwerenden
Schleusenzahl, der deshalb notwendig hohen Kanalabgaben und Frachtkosten
ganz untauglich sind zum Wettbewerb mit der weit leistungsfähigeren, kürzeren
und zurzeit noch abgabefreien Rheinstrecke.

Vielmehr sind es drei andere Wege, die hier die Dinge zum Besseren
wenden können. Der Nächstliegende Weg ist der, daß Holland sich auf seine
historische und auch im wohlverstandenen eigenen Interesse liegende Aufgabe
besinnt und die notwendige Besserung des Rhetnfahrwassers beginnt, sei es
selbständig oder mit Hilfe des Deutschen Reiches, für welches diese Frage in
auch Holland Vorteile bietender Weise in dem neuen Schiffahrtsabgabengesetz
geregelt ist. Es ist Hollands Sache, sich hierüber schlüssig zu werden, und nicht
die unsere zu rufen: Holland wach auf!

Aber selbst wenn Holland geneigt ist, auf die eine oder andere Weise
den Rheinweg den Verhältnissen entsprechend zu unterhalten, so bleibt immer
die Frage bestehen, ob selbst dann die verbesserte holländische Rheinstraße der
deutschen Volkswirtschaft, vor allen: der westdeutschen Industrie und dem Bergbau


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[0062] Die deutsche Rheinmündung auferlegt, ein Zustand, der kaum mit dem Buchstaben, sicher aber nicht mit dem Sinne der Nheinschiffahrtsakte zu vereinen ist. Die Ausnutzung der deutschen Zwangslage durch jene dreifachen Schiffahrts¬ belastungen sind für Holland um so einträglicher, für Deutschland um so ab¬ träglicher geworden, als gerade in den letzten Jahren die deutsche Verkehrs¬ entwicklung im Rheintal außerordentliche, ja geradezu phänomenale Fortschritte gemacht hat. Gingen doch um 1895 erst etwa 7^ Millionen Tonnen, vor einem Jahrzehnt schon rund 15 Millionen Tonnen, im vergangenen Jahre sogar fast 31 Millionen Tonnen zu Berg und zu Tal über die deutsch-holländische Grenze. Der Verlust, der dem deutschen Volksvermögen hier durch jene dreifachen holländischen Schiffahrtsbelastungen unmittelbar und mittelbar erwächst, dürfte sicher auf ein Vielfaches der vielen Millionengewinne Hollands ans dem deutschen Durchgangsverkehr zu schätzen sein. Allein schon aus diesen Umständen ist es erklärlich, daß die Beseitigung der auf die Dauer unerträglich schweren Schädigung der deutschen Rheinschiffahrt durch die indirekten holländischen Rheinzölle und Schiffahrtsbehinderungen auf der Tagesordnung steht. Dabei erscheint die Erledigung dieser Frage um so brennender, als die Ausdehnung der westlichen Industrie und Verkehrs mit Riesenschritten vorwärts eilt und einen besseren Anschluß, besser noch als selbst der Rhein ihr zu bieten vermag, an das Meer, die goldene Straße des Welt¬ handels, immer dringender verlangt. Der vielleicht nahe liegende Gedanke, daß hier die neuen preußischen Kanalwege von der begradigten Eins über Herre weiter zur Lippe- und Ruhrmündung Abhilfe schaffen, ist irrig, da die Kanäle infolge ihres geringen Tiefganges von nur 2,5 Metern (gegen 3 bis 4.4 Meter des Rheins), der großen Umwege — die Strecke Duisburg—Herre— Emden ist ungefähr doppelt so lang wie die von Duisburg bis Rotterdam —, der überaus hohen, die Schiffahrt nicht unerheblich verzögernden und erschwerenden Schleusenzahl, der deshalb notwendig hohen Kanalabgaben und Frachtkosten ganz untauglich sind zum Wettbewerb mit der weit leistungsfähigeren, kürzeren und zurzeit noch abgabefreien Rheinstrecke. Vielmehr sind es drei andere Wege, die hier die Dinge zum Besseren wenden können. Der Nächstliegende Weg ist der, daß Holland sich auf seine historische und auch im wohlverstandenen eigenen Interesse liegende Aufgabe besinnt und die notwendige Besserung des Rhetnfahrwassers beginnt, sei es selbständig oder mit Hilfe des Deutschen Reiches, für welches diese Frage in auch Holland Vorteile bietender Weise in dem neuen Schiffahrtsabgabengesetz geregelt ist. Es ist Hollands Sache, sich hierüber schlüssig zu werden, und nicht die unsere zu rufen: Holland wach auf! Aber selbst wenn Holland geneigt ist, auf die eine oder andere Weise den Rheinweg den Verhältnissen entsprechend zu unterhalten, so bleibt immer die Frage bestehen, ob selbst dann die verbesserte holländische Rheinstraße der deutschen Volkswirtschaft, vor allen: der westdeutschen Industrie und dem Bergbau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/62>, abgerufen am 18.05.2024.