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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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An der Wiege des Wnigreichs Rumänien

Kunde geworden sei, welche ich bereits in meinem allgemeinen Bericht vom
10. d. Mes. erwähnt habe. Der Besuch beim englischen Botschafter war ziemlich
kurz, da er eben eine militärische Deputation erwartete, zu deren Empfang er
sich anschickte; doch war der Besuch vollkommen genügend, die Stellung desselben zur
vorliegenden Frage klar zu machen. Seine Regierung -- so sagte Lord Strat-
ford -- habe ihn angewiesen, die Union beider Fürstentümer auf das kräftigste
zu unterstützen, die Union sei aber ganz unausführbar; auf meine Bemerkung,
daß, wenn seine Regierung diese Ansicht habe, es eigentümlich sei, daß man
etwas wolle, was man selbst für unausführbar halte, bemerkte er. daß diese
letzte Äußerung nicht die des britischen Botschafters, sondern seine, Lords Strat-
fords, Privatansicht sei, und daß er glaube, daß Lord Stratford, der Privat¬
mann, richtiger urteile, als Lord Stratford, der Botschafter. Wenigstens war
dies der Sinn seiner Worte; er begründete dies insbesondere dadurch, daß die
Vereinigung der Fürstentümer, indem sie den Ländern einen ganz andern, und
notwendigerweise unabhängigeren Charakter gebe, und insofern das türkische Reich
notwendig schwächen müßte, im Widerspruch mit der allgemeinen Politik der
Westmächte stehe, die darauf gerichtet sei, die Türkei in ihrer Macht und Stärke
zu erhalten. Die Worte Lord Stratfords, des Privatmanns, finden natürlich
bei der Pforte mehr Achtung, als die Lord Stratfords, des Botschafters, und
hierin wird eine wesentliche Schwierigkeit liegen, die Pforte zur Nachgiebigkeit
zu bestimmen. Indes wird viel von Mr. Bulwers Instruktionen und Auf¬
treten und der Haltung abhängen, die er sich gegenüber dem doppelten Auf¬
treten Lord Stratfords wird geben können; man weiß jetzt, daß Mr. Bulwer
bereits unterwegs ist, Lord Stratford aber erwähnte seiner nicht mit einem Worte.

Der österreichische Jnternuntius Baron Prokesch empfing uns mit großer
Freundlichkeit und mit der Nachricht, daß er soeben die am 27. Juli c. erst
von dem Kaiser vollzogene Nomination des Barons von Koller zum Mitgliede
der Reorganisationskommission erhalten habe; bisher habe man ihm hierüber gar
nichts geschrieben, auch nicht -- sich an mich wendend -- über mich. Im
Verlaufe des weiteren Gespräches hatte ich die Gelegenheit, die Frage an ihn
zu stellen, ob man ihn über Mr. Bulwers Ernennung zur Kommission unter¬
richtet habe, was er ebenfalls verneinte.

Ich nahm alsbald Veranlassung, ihm von meinem Besuche bei den tür¬
kischen Ministern zu sprechen und ihm unter anderem mitzuteilen, daß der Kom-
missarius der Pforte Savfet Effendi, wie er mir gesagt, nur auf das baldige
Eintreffen der übrigen Kommissare warte, um den Zusammentritt der Kommisston
zu veranlassen, von dem er mich zu unterrichten sogleich sich beeilen werde, und
daß Saffet Effendi mir bereits viel von den gemeinsam zu überwindenden
großen Schwierigkeiten, mit denen die Kommission zu kämpfen haben werde,
gesprochen habe.

Baron Prokesch bemerkte, daß er die Ansichten über dieje Schwierigkeiten
vollständig teile; er erwähnte indes der Vereinigung gar nicht und stellte sich


An der Wiege des Wnigreichs Rumänien

Kunde geworden sei, welche ich bereits in meinem allgemeinen Bericht vom
10. d. Mes. erwähnt habe. Der Besuch beim englischen Botschafter war ziemlich
kurz, da er eben eine militärische Deputation erwartete, zu deren Empfang er
sich anschickte; doch war der Besuch vollkommen genügend, die Stellung desselben zur
vorliegenden Frage klar zu machen. Seine Regierung — so sagte Lord Strat-
ford — habe ihn angewiesen, die Union beider Fürstentümer auf das kräftigste
zu unterstützen, die Union sei aber ganz unausführbar; auf meine Bemerkung,
daß, wenn seine Regierung diese Ansicht habe, es eigentümlich sei, daß man
etwas wolle, was man selbst für unausführbar halte, bemerkte er. daß diese
letzte Äußerung nicht die des britischen Botschafters, sondern seine, Lords Strat-
fords, Privatansicht sei, und daß er glaube, daß Lord Stratford, der Privat¬
mann, richtiger urteile, als Lord Stratford, der Botschafter. Wenigstens war
dies der Sinn seiner Worte; er begründete dies insbesondere dadurch, daß die
Vereinigung der Fürstentümer, indem sie den Ländern einen ganz andern, und
notwendigerweise unabhängigeren Charakter gebe, und insofern das türkische Reich
notwendig schwächen müßte, im Widerspruch mit der allgemeinen Politik der
Westmächte stehe, die darauf gerichtet sei, die Türkei in ihrer Macht und Stärke
zu erhalten. Die Worte Lord Stratfords, des Privatmanns, finden natürlich
bei der Pforte mehr Achtung, als die Lord Stratfords, des Botschafters, und
hierin wird eine wesentliche Schwierigkeit liegen, die Pforte zur Nachgiebigkeit
zu bestimmen. Indes wird viel von Mr. Bulwers Instruktionen und Auf¬
treten und der Haltung abhängen, die er sich gegenüber dem doppelten Auf¬
treten Lord Stratfords wird geben können; man weiß jetzt, daß Mr. Bulwer
bereits unterwegs ist, Lord Stratford aber erwähnte seiner nicht mit einem Worte.

Der österreichische Jnternuntius Baron Prokesch empfing uns mit großer
Freundlichkeit und mit der Nachricht, daß er soeben die am 27. Juli c. erst
von dem Kaiser vollzogene Nomination des Barons von Koller zum Mitgliede
der Reorganisationskommission erhalten habe; bisher habe man ihm hierüber gar
nichts geschrieben, auch nicht — sich an mich wendend — über mich. Im
Verlaufe des weiteren Gespräches hatte ich die Gelegenheit, die Frage an ihn
zu stellen, ob man ihn über Mr. Bulwers Ernennung zur Kommission unter¬
richtet habe, was er ebenfalls verneinte.

Ich nahm alsbald Veranlassung, ihm von meinem Besuche bei den tür¬
kischen Ministern zu sprechen und ihm unter anderem mitzuteilen, daß der Kom-
missarius der Pforte Savfet Effendi, wie er mir gesagt, nur auf das baldige
Eintreffen der übrigen Kommissare warte, um den Zusammentritt der Kommisston
zu veranlassen, von dem er mich zu unterrichten sogleich sich beeilen werde, und
daß Saffet Effendi mir bereits viel von den gemeinsam zu überwindenden
großen Schwierigkeiten, mit denen die Kommission zu kämpfen haben werde,
gesprochen habe.

Baron Prokesch bemerkte, daß er die Ansichten über dieje Schwierigkeiten
vollständig teile; er erwähnte indes der Vereinigung gar nicht und stellte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/91>, abgerufen am 18.05.2024.