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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

mit den lebenden Blumen auf den Fensterbänken und den gemachten in einer
hellblauen Vase im Schrank. Eine Bank lief unter den Fenstern her, auf
welcher der Florentin zum zweiten Morgenbrot seinen Platz am Tisch genommen
hatte. Er pflegte seinem Schlaf den Atem kurz zu halten und kam aus der
Gärtnerei, wo er früh zu sonntägig kleiner Arbeit gewirtschaftet hatte. Er saß
im Werktagsanzug und mit ungekannten Haar.

Wieschen nickte mit dem Kopf nach ihm hin, kehrte sich um und holte ihr
Gesangbuch aus dem Bord über der Tür. Es sah in seinem schwarzen Samt
mit dem Silberbeschlag gut und fromm aus wie das Mädchen selber und war
so schlicht wie ihr protestantischer Glaube. AIs sie es aber verstaubt in Händen
hielt, fiel ihr ein, wie sie sonst die Sonntage anders, mehr mit dem Burschen
als mit diesem Buch gehalten hatte. Sie waren nicht übereifrig im Kirchgang
gewesen, die beiden, aber sie hatten schon ein Händefalten vor allem Schönen
gehabt und ihr Gotterkennen in manchem wunderbaren Naturding gefunden,
welches seine Altäre fromm in den Sonntag baute und ihre Blicke darüber
leuchten ließ, wie strahlende Kerzen oder Kirchenlampen. Wieschen fegte mit
gespanntem Ärmel den Staub von ihrem Buche ab, blies an dem Ding herum,
bis es rein und gotteswürdig war und bis sie ihre Gedanken, die Verlorenem
nachsuchten, wiedergefunden hatte. Da wandte sie sich und streckte dem Florentin
die Hand entgegen. Sie murmelte etwas Unverständliches, etwas wie ein:
"Gott zum Gruße!"

Sie hatten sich noch nicht wieder klar angesehen seit jenem Abend und sich
anzusprechen vermieden. Jetzt sagte Wieschen mit ihrer Hand in seiner: "Ich
will zur Kirche, Florin. Es ist kein Zank zwischen uns gewesen und doch meine
ich, es müßte eine Aussöhnung sein. Es hätte nicht Sinn zur Kirche zu gehen,
wenn man nicht vorher mit allem im Rechten wäre."

Er sah von ihrem Gesicht auf ihre Hand und wunderte sich, wie die zer¬
brechlichen und kühlen Finger einen so starken und warmen Druck hatten. Sie
ging dann mit Jelde hinaus. Jelde trippelte und war wie aus dem Mode¬
journal geschnitten, Wieschen trug ein dunkles Wollkleid aus abgelegter Mode
und ging mit ihren Schritten, die wie ein langsames und langes, besonnenes
Metermessen waren. Sie nahmen die Richtung von woher das Läuten der
Kirchenglocke kam. Es kam von weit her; denn im Dorfe selber hatte noch
kein Glöcklein seinen eigenen Stuhl ersessen. Es hörte sich an, als stände einer
im Tal, klatsche in die vollen Hände und ginge ein hundertfach Echo davon
in den Bergen. Die Sonne leuchtete über der Straße. Wieschen dachte an
alle Sonntagsfeier, und Jelde trug das weiße gefaltete Taschentuch auf ihrem
Gesangbuch, legte dieses an die Brust und schielte gefällig nieder auf das
Reizchen, welches sie am Halsbord angesteckt hatte. So hielten sie den Kirch¬
gang zusammen.

Während Wieschen dann mit gefalteten Händen und ruhig im Gotteshause
saß, ging der Florentin unstet im Garten zwischen seinen Beeten einher und


Die Blumen des Florentin Uley

mit den lebenden Blumen auf den Fensterbänken und den gemachten in einer
hellblauen Vase im Schrank. Eine Bank lief unter den Fenstern her, auf
welcher der Florentin zum zweiten Morgenbrot seinen Platz am Tisch genommen
hatte. Er pflegte seinem Schlaf den Atem kurz zu halten und kam aus der
Gärtnerei, wo er früh zu sonntägig kleiner Arbeit gewirtschaftet hatte. Er saß
im Werktagsanzug und mit ungekannten Haar.

Wieschen nickte mit dem Kopf nach ihm hin, kehrte sich um und holte ihr
Gesangbuch aus dem Bord über der Tür. Es sah in seinem schwarzen Samt
mit dem Silberbeschlag gut und fromm aus wie das Mädchen selber und war
so schlicht wie ihr protestantischer Glaube. AIs sie es aber verstaubt in Händen
hielt, fiel ihr ein, wie sie sonst die Sonntage anders, mehr mit dem Burschen
als mit diesem Buch gehalten hatte. Sie waren nicht übereifrig im Kirchgang
gewesen, die beiden, aber sie hatten schon ein Händefalten vor allem Schönen
gehabt und ihr Gotterkennen in manchem wunderbaren Naturding gefunden,
welches seine Altäre fromm in den Sonntag baute und ihre Blicke darüber
leuchten ließ, wie strahlende Kerzen oder Kirchenlampen. Wieschen fegte mit
gespanntem Ärmel den Staub von ihrem Buche ab, blies an dem Ding herum,
bis es rein und gotteswürdig war und bis sie ihre Gedanken, die Verlorenem
nachsuchten, wiedergefunden hatte. Da wandte sie sich und streckte dem Florentin
die Hand entgegen. Sie murmelte etwas Unverständliches, etwas wie ein:
„Gott zum Gruße!"

Sie hatten sich noch nicht wieder klar angesehen seit jenem Abend und sich
anzusprechen vermieden. Jetzt sagte Wieschen mit ihrer Hand in seiner: „Ich
will zur Kirche, Florin. Es ist kein Zank zwischen uns gewesen und doch meine
ich, es müßte eine Aussöhnung sein. Es hätte nicht Sinn zur Kirche zu gehen,
wenn man nicht vorher mit allem im Rechten wäre."

Er sah von ihrem Gesicht auf ihre Hand und wunderte sich, wie die zer¬
brechlichen und kühlen Finger einen so starken und warmen Druck hatten. Sie
ging dann mit Jelde hinaus. Jelde trippelte und war wie aus dem Mode¬
journal geschnitten, Wieschen trug ein dunkles Wollkleid aus abgelegter Mode
und ging mit ihren Schritten, die wie ein langsames und langes, besonnenes
Metermessen waren. Sie nahmen die Richtung von woher das Läuten der
Kirchenglocke kam. Es kam von weit her; denn im Dorfe selber hatte noch
kein Glöcklein seinen eigenen Stuhl ersessen. Es hörte sich an, als stände einer
im Tal, klatsche in die vollen Hände und ginge ein hundertfach Echo davon
in den Bergen. Die Sonne leuchtete über der Straße. Wieschen dachte an
alle Sonntagsfeier, und Jelde trug das weiße gefaltete Taschentuch auf ihrem
Gesangbuch, legte dieses an die Brust und schielte gefällig nieder auf das
Reizchen, welches sie am Halsbord angesteckt hatte. So hielten sie den Kirch¬
gang zusammen.

Während Wieschen dann mit gefalteten Händen und ruhig im Gotteshause
saß, ging der Florentin unstet im Garten zwischen seinen Beeten einher und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/98>, abgerufen am 18.05.2024.