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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Eine neue Linheitsstenograxhie für Deutschland

licher Unterrichtskurse nur in Kreise gedrungen, die sich beruflich damit
beschäftigen, und außerhalb der stenographischen Technikerkreise nur geringfügig
verbreitet. Seit siebzig Jahren haben Tausende, in den letzten Jahrzehnten
Hunderttausende angefangen Stenographie zu lernen, Zeit und Geld im
Uebermaße dafür wegzuwerfen und trotz dieser siebzig Jahre eifriger Stenographie-
Pflege sucht man brauchbare Stenographen mühselig, eifrig, zu Zeiten dringlich
und fruchtlos mit der Laterne. Ja, diese Tatsache hat die Herren so wenig
ernüchtert, daß sie noch heute an eine Stenographie als Verkehrsschrift
glauben. --




An den Mißerfolgen waren die Schulen in ganz Deutschland, wenn auch
nicht überall, gleichmäßig beteiligt. Die Schulen Preußens erteilten bisher
verständigerweise nur wahlfreien Unterricht, die Herren der Konferenz wünschen
aber, daß die Schüler nun pflichtig mit Stenographie gepeinigt werden, selbst
wenn sie nicht die geringste Fähigkeit für Kurzschrift haben, und doch setzt sie,
wie etwa das Klavierspiel, Begabung voraus. Wie zur musikalischen Betätigung
Gehör und eine gewisse Fingerfertigkeit nötig sind, so erfordert die Kurzschrift ein
gutes Auge, ein scharfes Gehör und eine geschickte Hand. Gerade die Hand-
geschicklichkeit fehlt so häufig; unzählige Menschen bekommen schon wegen dieses
Mangels keine gute gewöhnliche Handschrift, wie viel weniger eine leserliche
stenographische. Schon aus diesen tatsächlichen Ursachen kann die Kurzschrift in
der Schule keine besonderen Triumphe feiern.

Immerhin, obgleich einer großen Zahl von Schülern die hinreichende
Handgeschicklichkeit und der nötige Formensinn fehlen, um stenographische Zeichen
sorgfältig, das heißt für das Wiederlesen sicher auszuführen, ist doch stets eine
kleine Zahl Schüler vorhanden, die sehr wohl imstande sind, sich der Kurzschrift
nebenbei mit Vergnügen zu widmen. Wir brauchen deshalb das Kind nicht mit
dem Bade auszuschütten und können den wahlfreien Stenographieunterricht
gelten lassen. Aber wir müssen festhalten: nur Personen, die sich beruflich mit
Schreibmaschine und Kurzschrift beschäftigen, Personen, die außerhalb der Schule
mit Fleiß und Ausdauer sich jahrelang der Stenographie widmen, bringen es
wirklich zu etwas. Auch hier sind die Tüchtigen wie in allen anderen Berufen
wiederum nur vereinzelt. Wer kann Kurzschrift erheblich verwerten? nur Per¬
sonen, die viel mit schriftlichen Arbeiten zu tun und das aus der Praxis
erwachsene Bedürfnis haben, die Kurzschrift zu benutzen. Es handelt sich hier
nur um eine kleine Gruppe von Leuten, die mit schriftlichen Arbeiten überhäuft
sind, wie Rechtsanwälte, Großkaufleute und Leiter aller möglichen Institute.
Aber diese schreiben doch überhaupt nicht selbst, sondern halten sich Berufs¬
stenographen, Maschinenschreiber und sonst geeignete Personen für schriftliche
Arbeiten. Berufsschriftsteller verwenden Kurzschrift ebenfalls ganz vereinzelt,
weil sie immer erst in Langschrift ungeschrieben werden muß.


Eine neue Linheitsstenograxhie für Deutschland

licher Unterrichtskurse nur in Kreise gedrungen, die sich beruflich damit
beschäftigen, und außerhalb der stenographischen Technikerkreise nur geringfügig
verbreitet. Seit siebzig Jahren haben Tausende, in den letzten Jahrzehnten
Hunderttausende angefangen Stenographie zu lernen, Zeit und Geld im
Uebermaße dafür wegzuwerfen und trotz dieser siebzig Jahre eifriger Stenographie-
Pflege sucht man brauchbare Stenographen mühselig, eifrig, zu Zeiten dringlich
und fruchtlos mit der Laterne. Ja, diese Tatsache hat die Herren so wenig
ernüchtert, daß sie noch heute an eine Stenographie als Verkehrsschrift
glauben. —




An den Mißerfolgen waren die Schulen in ganz Deutschland, wenn auch
nicht überall, gleichmäßig beteiligt. Die Schulen Preußens erteilten bisher
verständigerweise nur wahlfreien Unterricht, die Herren der Konferenz wünschen
aber, daß die Schüler nun pflichtig mit Stenographie gepeinigt werden, selbst
wenn sie nicht die geringste Fähigkeit für Kurzschrift haben, und doch setzt sie,
wie etwa das Klavierspiel, Begabung voraus. Wie zur musikalischen Betätigung
Gehör und eine gewisse Fingerfertigkeit nötig sind, so erfordert die Kurzschrift ein
gutes Auge, ein scharfes Gehör und eine geschickte Hand. Gerade die Hand-
geschicklichkeit fehlt so häufig; unzählige Menschen bekommen schon wegen dieses
Mangels keine gute gewöhnliche Handschrift, wie viel weniger eine leserliche
stenographische. Schon aus diesen tatsächlichen Ursachen kann die Kurzschrift in
der Schule keine besonderen Triumphe feiern.

Immerhin, obgleich einer großen Zahl von Schülern die hinreichende
Handgeschicklichkeit und der nötige Formensinn fehlen, um stenographische Zeichen
sorgfältig, das heißt für das Wiederlesen sicher auszuführen, ist doch stets eine
kleine Zahl Schüler vorhanden, die sehr wohl imstande sind, sich der Kurzschrift
nebenbei mit Vergnügen zu widmen. Wir brauchen deshalb das Kind nicht mit
dem Bade auszuschütten und können den wahlfreien Stenographieunterricht
gelten lassen. Aber wir müssen festhalten: nur Personen, die sich beruflich mit
Schreibmaschine und Kurzschrift beschäftigen, Personen, die außerhalb der Schule
mit Fleiß und Ausdauer sich jahrelang der Stenographie widmen, bringen es
wirklich zu etwas. Auch hier sind die Tüchtigen wie in allen anderen Berufen
wiederum nur vereinzelt. Wer kann Kurzschrift erheblich verwerten? nur Per¬
sonen, die viel mit schriftlichen Arbeiten zu tun und das aus der Praxis
erwachsene Bedürfnis haben, die Kurzschrift zu benutzen. Es handelt sich hier
nur um eine kleine Gruppe von Leuten, die mit schriftlichen Arbeiten überhäuft
sind, wie Rechtsanwälte, Großkaufleute und Leiter aller möglichen Institute.
Aber diese schreiben doch überhaupt nicht selbst, sondern halten sich Berufs¬
stenographen, Maschinenschreiber und sonst geeignete Personen für schriftliche
Arbeiten. Berufsschriftsteller verwenden Kurzschrift ebenfalls ganz vereinzelt,
weil sie immer erst in Langschrift ungeschrieben werden muß.


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[0048] Eine neue Linheitsstenograxhie für Deutschland licher Unterrichtskurse nur in Kreise gedrungen, die sich beruflich damit beschäftigen, und außerhalb der stenographischen Technikerkreise nur geringfügig verbreitet. Seit siebzig Jahren haben Tausende, in den letzten Jahrzehnten Hunderttausende angefangen Stenographie zu lernen, Zeit und Geld im Uebermaße dafür wegzuwerfen und trotz dieser siebzig Jahre eifriger Stenographie- Pflege sucht man brauchbare Stenographen mühselig, eifrig, zu Zeiten dringlich und fruchtlos mit der Laterne. Ja, diese Tatsache hat die Herren so wenig ernüchtert, daß sie noch heute an eine Stenographie als Verkehrsschrift glauben. — An den Mißerfolgen waren die Schulen in ganz Deutschland, wenn auch nicht überall, gleichmäßig beteiligt. Die Schulen Preußens erteilten bisher verständigerweise nur wahlfreien Unterricht, die Herren der Konferenz wünschen aber, daß die Schüler nun pflichtig mit Stenographie gepeinigt werden, selbst wenn sie nicht die geringste Fähigkeit für Kurzschrift haben, und doch setzt sie, wie etwa das Klavierspiel, Begabung voraus. Wie zur musikalischen Betätigung Gehör und eine gewisse Fingerfertigkeit nötig sind, so erfordert die Kurzschrift ein gutes Auge, ein scharfes Gehör und eine geschickte Hand. Gerade die Hand- geschicklichkeit fehlt so häufig; unzählige Menschen bekommen schon wegen dieses Mangels keine gute gewöhnliche Handschrift, wie viel weniger eine leserliche stenographische. Schon aus diesen tatsächlichen Ursachen kann die Kurzschrift in der Schule keine besonderen Triumphe feiern. Immerhin, obgleich einer großen Zahl von Schülern die hinreichende Handgeschicklichkeit und der nötige Formensinn fehlen, um stenographische Zeichen sorgfältig, das heißt für das Wiederlesen sicher auszuführen, ist doch stets eine kleine Zahl Schüler vorhanden, die sehr wohl imstande sind, sich der Kurzschrift nebenbei mit Vergnügen zu widmen. Wir brauchen deshalb das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten und können den wahlfreien Stenographieunterricht gelten lassen. Aber wir müssen festhalten: nur Personen, die sich beruflich mit Schreibmaschine und Kurzschrift beschäftigen, Personen, die außerhalb der Schule mit Fleiß und Ausdauer sich jahrelang der Stenographie widmen, bringen es wirklich zu etwas. Auch hier sind die Tüchtigen wie in allen anderen Berufen wiederum nur vereinzelt. Wer kann Kurzschrift erheblich verwerten? nur Per¬ sonen, die viel mit schriftlichen Arbeiten zu tun und das aus der Praxis erwachsene Bedürfnis haben, die Kurzschrift zu benutzen. Es handelt sich hier nur um eine kleine Gruppe von Leuten, die mit schriftlichen Arbeiten überhäuft sind, wie Rechtsanwälte, Großkaufleute und Leiter aller möglichen Institute. Aber diese schreiben doch überhaupt nicht selbst, sondern halten sich Berufs¬ stenographen, Maschinenschreiber und sonst geeignete Personen für schriftliche Arbeiten. Berufsschriftsteller verwenden Kurzschrift ebenfalls ganz vereinzelt, weil sie immer erst in Langschrift ungeschrieben werden muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/48>, abgerufen am 20.05.2024.