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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Erbschaftssteuer und Lrbrechtsreform

Geschwistern zu errichten, so daß die weiteren Seitenverwandten, einschließlich
der Geschwisterkinder, nur noch kraft Testaments erben würden. Denn alle
diese Verwandte sind der Regel nach lachende Erben, sie müssen als Gesetzes¬
erben wegfallen, wenn die Reform durchgreifend und wirkungsvoll sein soll.
Die Regierungsvorlage bleibt hinter meinen Vorschlägen zurück, indem sie erst
mit den Geschwisterkindern abschneiden will. Auch das ist Schott noch zuviel.
Er kommt nicht darüber hinweg, daß ein Verstorbener von seinem Onkel und
Vetter nur noch auf Grund testamentarischer Einsetzung beerbt werden soll.
Damit werde die Axt an die Wurzeln des Erbrechts gelegt; dann sei gar kein
Halten mehr. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit sei noch unter Vettern
viel zu stark, als daß sie nicht die Erbschaft auf alle Fälle, auch ohne Testament,
haben müßten. Ich kann das nicht einsehen. Ich kann nicht einsehen, daß
echte verwandtschaftliche Zuneigung notwendig bare Bezahlung im Todesfalle
verlangt, daß eine so reine Empfindung unlöslich verbunden sein soll mit Geld¬
interesse und Habsucht.

Schott glaubt sicherlich, eine gute Sache zu vertreten, wenn er sich des
Onkels und Vetters, die ihm bedroht erscheinen, so nachdrücklich annimmt. Ich
kann aber kein höheres Ideal darin erblicken, sür eine kleine Anzahl besser¬
gestellter Personen einzutreten, als für eine große Anzahl bedürftiger. Wer sich
sür die Sonderinteressen einzelner Gruppen von Seitenverwandten erwärmt,
muß notwendig kalt und taub bleiben gegen die Not der Masse; ein Drittes
gibt es auf diesem Gebiete nicht. Und sind denn diese Onkel, Vettern, aber auch
Neffen und Nichten wirklich darauf angewiesen, ihre Verwandten zu beerben? Haben
sie ein Recht darauf, daß jene früher sterben, als sie selbst, daß sie unverheiratet
und kinderlos sterben und nicht testieren zugunsten eines anderen? Ist es zu¬
viel von ihnen verlangt und nicht in ihrem wohlverstandenen Interesse, daß
sie sich auf ihre eigenen Füße stellen, aus eigener Kraft für sich sorgen wie
die Millionen, die in harter Arbeit, in Not und Entsagung sich und ihre
Familien durchbringen, ohne auch nur ein Erbe ihrer Eltern anzutreten?

Aber auch für die Erben selbst ist der Wert derartiger Anfälle kein un¬
bedingter. Wie die Erfahrung rings um uns lehrt, bringt eine reiche Erbschaft
keineswegs immer das Glück, das eine kindliche Auffassung sich von den
goldenen Bergen verspricht; schwere Schäden, nicht nur für Geist und Gemüt,
auch für die Gesundheit, ja für den Geldbeutel sind nur zu oft in ihrem
Gefolge. Ein sittliches Bedürfnis nach solchen Erbschaften besteht jedenfalls
nicht. Bestünde es doch, so müßte der Gesetzgeber dem Erblasser die Testier-
sreiheit entziehen!

Wenn nach dem Ergebnis unserer Betrachtung für die Mitglieder der
weiteren Familie ein moralischer Anspruch aus testamentslose Erbschaften nicht
besteht, so sprechen gewichtige Gründe dafür, die danach ins Freie fallenden
Erbschaften der Gesamtheit zuzuweisen, zum Besten der Reichskasse und damit
jener großen Mehrheit der Bevölkerung, die nach Damaschkes wahrem Wort


Erbschaftssteuer und Lrbrechtsreform

Geschwistern zu errichten, so daß die weiteren Seitenverwandten, einschließlich
der Geschwisterkinder, nur noch kraft Testaments erben würden. Denn alle
diese Verwandte sind der Regel nach lachende Erben, sie müssen als Gesetzes¬
erben wegfallen, wenn die Reform durchgreifend und wirkungsvoll sein soll.
Die Regierungsvorlage bleibt hinter meinen Vorschlägen zurück, indem sie erst
mit den Geschwisterkindern abschneiden will. Auch das ist Schott noch zuviel.
Er kommt nicht darüber hinweg, daß ein Verstorbener von seinem Onkel und
Vetter nur noch auf Grund testamentarischer Einsetzung beerbt werden soll.
Damit werde die Axt an die Wurzeln des Erbrechts gelegt; dann sei gar kein
Halten mehr. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit sei noch unter Vettern
viel zu stark, als daß sie nicht die Erbschaft auf alle Fälle, auch ohne Testament,
haben müßten. Ich kann das nicht einsehen. Ich kann nicht einsehen, daß
echte verwandtschaftliche Zuneigung notwendig bare Bezahlung im Todesfalle
verlangt, daß eine so reine Empfindung unlöslich verbunden sein soll mit Geld¬
interesse und Habsucht.

Schott glaubt sicherlich, eine gute Sache zu vertreten, wenn er sich des
Onkels und Vetters, die ihm bedroht erscheinen, so nachdrücklich annimmt. Ich
kann aber kein höheres Ideal darin erblicken, sür eine kleine Anzahl besser¬
gestellter Personen einzutreten, als für eine große Anzahl bedürftiger. Wer sich
sür die Sonderinteressen einzelner Gruppen von Seitenverwandten erwärmt,
muß notwendig kalt und taub bleiben gegen die Not der Masse; ein Drittes
gibt es auf diesem Gebiete nicht. Und sind denn diese Onkel, Vettern, aber auch
Neffen und Nichten wirklich darauf angewiesen, ihre Verwandten zu beerben? Haben
sie ein Recht darauf, daß jene früher sterben, als sie selbst, daß sie unverheiratet
und kinderlos sterben und nicht testieren zugunsten eines anderen? Ist es zu¬
viel von ihnen verlangt und nicht in ihrem wohlverstandenen Interesse, daß
sie sich auf ihre eigenen Füße stellen, aus eigener Kraft für sich sorgen wie
die Millionen, die in harter Arbeit, in Not und Entsagung sich und ihre
Familien durchbringen, ohne auch nur ein Erbe ihrer Eltern anzutreten?

Aber auch für die Erben selbst ist der Wert derartiger Anfälle kein un¬
bedingter. Wie die Erfahrung rings um uns lehrt, bringt eine reiche Erbschaft
keineswegs immer das Glück, das eine kindliche Auffassung sich von den
goldenen Bergen verspricht; schwere Schäden, nicht nur für Geist und Gemüt,
auch für die Gesundheit, ja für den Geldbeutel sind nur zu oft in ihrem
Gefolge. Ein sittliches Bedürfnis nach solchen Erbschaften besteht jedenfalls
nicht. Bestünde es doch, so müßte der Gesetzgeber dem Erblasser die Testier-
sreiheit entziehen!

Wenn nach dem Ergebnis unserer Betrachtung für die Mitglieder der
weiteren Familie ein moralischer Anspruch aus testamentslose Erbschaften nicht
besteht, so sprechen gewichtige Gründe dafür, die danach ins Freie fallenden
Erbschaften der Gesamtheit zuzuweisen, zum Besten der Reichskasse und damit
jener großen Mehrheit der Bevölkerung, die nach Damaschkes wahrem Wort


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[0502] Erbschaftssteuer und Lrbrechtsreform Geschwistern zu errichten, so daß die weiteren Seitenverwandten, einschließlich der Geschwisterkinder, nur noch kraft Testaments erben würden. Denn alle diese Verwandte sind der Regel nach lachende Erben, sie müssen als Gesetzes¬ erben wegfallen, wenn die Reform durchgreifend und wirkungsvoll sein soll. Die Regierungsvorlage bleibt hinter meinen Vorschlägen zurück, indem sie erst mit den Geschwisterkindern abschneiden will. Auch das ist Schott noch zuviel. Er kommt nicht darüber hinweg, daß ein Verstorbener von seinem Onkel und Vetter nur noch auf Grund testamentarischer Einsetzung beerbt werden soll. Damit werde die Axt an die Wurzeln des Erbrechts gelegt; dann sei gar kein Halten mehr. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit sei noch unter Vettern viel zu stark, als daß sie nicht die Erbschaft auf alle Fälle, auch ohne Testament, haben müßten. Ich kann das nicht einsehen. Ich kann nicht einsehen, daß echte verwandtschaftliche Zuneigung notwendig bare Bezahlung im Todesfalle verlangt, daß eine so reine Empfindung unlöslich verbunden sein soll mit Geld¬ interesse und Habsucht. Schott glaubt sicherlich, eine gute Sache zu vertreten, wenn er sich des Onkels und Vetters, die ihm bedroht erscheinen, so nachdrücklich annimmt. Ich kann aber kein höheres Ideal darin erblicken, sür eine kleine Anzahl besser¬ gestellter Personen einzutreten, als für eine große Anzahl bedürftiger. Wer sich sür die Sonderinteressen einzelner Gruppen von Seitenverwandten erwärmt, muß notwendig kalt und taub bleiben gegen die Not der Masse; ein Drittes gibt es auf diesem Gebiete nicht. Und sind denn diese Onkel, Vettern, aber auch Neffen und Nichten wirklich darauf angewiesen, ihre Verwandten zu beerben? Haben sie ein Recht darauf, daß jene früher sterben, als sie selbst, daß sie unverheiratet und kinderlos sterben und nicht testieren zugunsten eines anderen? Ist es zu¬ viel von ihnen verlangt und nicht in ihrem wohlverstandenen Interesse, daß sie sich auf ihre eigenen Füße stellen, aus eigener Kraft für sich sorgen wie die Millionen, die in harter Arbeit, in Not und Entsagung sich und ihre Familien durchbringen, ohne auch nur ein Erbe ihrer Eltern anzutreten? Aber auch für die Erben selbst ist der Wert derartiger Anfälle kein un¬ bedingter. Wie die Erfahrung rings um uns lehrt, bringt eine reiche Erbschaft keineswegs immer das Glück, das eine kindliche Auffassung sich von den goldenen Bergen verspricht; schwere Schäden, nicht nur für Geist und Gemüt, auch für die Gesundheit, ja für den Geldbeutel sind nur zu oft in ihrem Gefolge. Ein sittliches Bedürfnis nach solchen Erbschaften besteht jedenfalls nicht. Bestünde es doch, so müßte der Gesetzgeber dem Erblasser die Testier- sreiheit entziehen! Wenn nach dem Ergebnis unserer Betrachtung für die Mitglieder der weiteren Familie ein moralischer Anspruch aus testamentslose Erbschaften nicht besteht, so sprechen gewichtige Gründe dafür, die danach ins Freie fallenden Erbschaften der Gesamtheit zuzuweisen, zum Besten der Reichskasse und damit jener großen Mehrheit der Bevölkerung, die nach Damaschkes wahrem Wort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/502>, abgerufen am 19.05.2024.