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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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zurückblieben, daß heute aber -- wenn die Demokraten es auch noch so sehr
bestreiten -- für ihr Vorwärtskommen außerordentlich viel geschieht. Dazu
kommt noch als überaus einschneidend der Faktor, daß der Mensch der neuesten
Zeit es gelernt hat, sich die Kräfte der Natur dienstbar zu machen. Der gro߬
artig entwickelte neuzeitige Verkehr, die maschinellen Errungenschaften, die Aus¬
nutzung der elektrischen Kraft, eröffnen ganz andere Möglichkeiten der Ent¬
wicklung, als frühere Perioden der Menschheit es ahnen ließen. Es erscheint
uns heute so natürlich, daß die Verpflegung der Viernüllionenstadt Großberlin
so glatt geht und daß niemals Hungersnöte auftreten. Wir wissen kaum mehr,
daß dies lediglich eine Folge der Erfindung der Dampfkraft und der neuzeit¬
lichen Weltverschiffungen an Getreide ist; wir erinnern uns kaum mehr, daß im
alten Rom wie in London bis etwa 1850 fortwährend Hungersnöte wieder¬
kehrten, da der extensiv-wirtschaftende und vom ausgleichenden Weltmarkt
isolierte Staat -- alle europäischen Staaten bis 1860 waren solche, heute noch
die Wolga-Gouvernements -- an überaus großen Schwankungen zwischen Über?
Produktion und Hungersnot litt; wir müssen uns vergegenwärtigen, daß diesen
Schwankungen gegenüber sich ein fester, wenn auch nur mäßiger Schutzzoll
nicht halten ließ, weil er von dem ersten ernsten Ansturm des darbenden Volkes
hinweggefegt worden wäre. Dieser Schutzzoll aber wieder hat es erst vermocht,
daß im Gegensatz zum Altertum bei uns die Entwertung des ländlichen Grund
und Bodens und der Untergang unserer Landwirtschaft bis heute verhindert
worden ist.

Nicht also bloß die oberen gesellschaftlichen Schichten, wie in Rom, haben
bei uns den Aufstieg der letzten vierzig Jahre genossen, sondern infolge des
immer mehr verbesserten Schulwesens und der rasch steigenden Löhne und
Lebenshaltung der unteren Klassen wird das Volksganze, wenn nicht gleich¬
zeitig, so doch in schneller Aufeinanderfolge einer Kulturhöhe entgegengebracht,
die in dieser Allgemeinheit bisher in der Welt unbekannt war. Und infolge
des sich immer mehr ausdehnenden Bahnnetzes wird ferner das ganze deutsche
Gebiet, fast bis in die äußersten Winkel hinein, kulturell und wirtschaftlich ent¬
wickelt und näher herangebracht an die Mittelpunkte des gewaltig pulsierenden
öffentlichen Lebens.

Ist uns so vieles gelungen, was dem Altertum versagt blieb, warum
sollte es uns da nicht auch beschieden sein, die wirtschaftlichen und völkischen
Interessen miteinander auszusöhnen?

Das Ergebnis unserer Betrachtungen ist danach folgendes: Grundsätzlich
ist nicht die Größe, sondern die Art des Betriebes für das völkische
Interesse entscheidend. Im Gegensatz zum alten Italien geht die Richtung
der Entwicklung schon an sich bei uns nicht auf Latifundienbildung, sondern
eher auf Aufteilung. Daß die letztere bei uns wirtschaftlich, das heißt gewinn¬
bringend ist, hat seinen Grund in den neuzeitiger Einrichtungen, hauptsächlich
im Getreidezoll, der den Bodenwert hochhält, und im Bahnverkehr, der die


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zurückblieben, daß heute aber — wenn die Demokraten es auch noch so sehr
bestreiten — für ihr Vorwärtskommen außerordentlich viel geschieht. Dazu
kommt noch als überaus einschneidend der Faktor, daß der Mensch der neuesten
Zeit es gelernt hat, sich die Kräfte der Natur dienstbar zu machen. Der gro߬
artig entwickelte neuzeitige Verkehr, die maschinellen Errungenschaften, die Aus¬
nutzung der elektrischen Kraft, eröffnen ganz andere Möglichkeiten der Ent¬
wicklung, als frühere Perioden der Menschheit es ahnen ließen. Es erscheint
uns heute so natürlich, daß die Verpflegung der Viernüllionenstadt Großberlin
so glatt geht und daß niemals Hungersnöte auftreten. Wir wissen kaum mehr,
daß dies lediglich eine Folge der Erfindung der Dampfkraft und der neuzeit¬
lichen Weltverschiffungen an Getreide ist; wir erinnern uns kaum mehr, daß im
alten Rom wie in London bis etwa 1850 fortwährend Hungersnöte wieder¬
kehrten, da der extensiv-wirtschaftende und vom ausgleichenden Weltmarkt
isolierte Staat — alle europäischen Staaten bis 1860 waren solche, heute noch
die Wolga-Gouvernements — an überaus großen Schwankungen zwischen Über?
Produktion und Hungersnot litt; wir müssen uns vergegenwärtigen, daß diesen
Schwankungen gegenüber sich ein fester, wenn auch nur mäßiger Schutzzoll
nicht halten ließ, weil er von dem ersten ernsten Ansturm des darbenden Volkes
hinweggefegt worden wäre. Dieser Schutzzoll aber wieder hat es erst vermocht,
daß im Gegensatz zum Altertum bei uns die Entwertung des ländlichen Grund
und Bodens und der Untergang unserer Landwirtschaft bis heute verhindert
worden ist.

Nicht also bloß die oberen gesellschaftlichen Schichten, wie in Rom, haben
bei uns den Aufstieg der letzten vierzig Jahre genossen, sondern infolge des
immer mehr verbesserten Schulwesens und der rasch steigenden Löhne und
Lebenshaltung der unteren Klassen wird das Volksganze, wenn nicht gleich¬
zeitig, so doch in schneller Aufeinanderfolge einer Kulturhöhe entgegengebracht,
die in dieser Allgemeinheit bisher in der Welt unbekannt war. Und infolge
des sich immer mehr ausdehnenden Bahnnetzes wird ferner das ganze deutsche
Gebiet, fast bis in die äußersten Winkel hinein, kulturell und wirtschaftlich ent¬
wickelt und näher herangebracht an die Mittelpunkte des gewaltig pulsierenden
öffentlichen Lebens.

Ist uns so vieles gelungen, was dem Altertum versagt blieb, warum
sollte es uns da nicht auch beschieden sein, die wirtschaftlichen und völkischen
Interessen miteinander auszusöhnen?

Das Ergebnis unserer Betrachtungen ist danach folgendes: Grundsätzlich
ist nicht die Größe, sondern die Art des Betriebes für das völkische
Interesse entscheidend. Im Gegensatz zum alten Italien geht die Richtung
der Entwicklung schon an sich bei uns nicht auf Latifundienbildung, sondern
eher auf Aufteilung. Daß die letztere bei uns wirtschaftlich, das heißt gewinn¬
bringend ist, hat seinen Grund in den neuzeitiger Einrichtungen, hauptsächlich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/90>, abgerufen am 31.05.2024.