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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Bevölkerungspolitik und Einkommensteuer

denen der eine durch seine erwachsenen Kinder unterstützt wird, während der
andere fremde Arbeiter hält.

Ähnliches gilt von der bisher vorgeschriebenen Zusammenrechnung des Ein¬
kommens von Mann und Frau. Wo die Frau durch Außenarbeit bei Fremden
mitverdienen muß, liegt eine schwere Beeinträchtigung ihrer eigentlichen Auf¬
gaben als Hausfrau und Mutter vor, nicht nur in ethischer, sondern auch in
wirtschaftlicher Hinsicht, was eine milde Steuerveranlagung rechtfertigt. Von
einer solchen ist aber nicht die Rede, da das Einkommen von Mann und Frau
grundsätzlich dem ersteren angerechnet wird. Auch das neue Gesetz will davon
nicht abgehen. Ein Beispiel aus der Praxis: Zwei Arbeiter verdienen je
1200 Mark, der eine ist verheiratet, die Frau arbeitet auswärts und verdient
600 Mark jährlich; der andere lebt mit seiner Wirtin zusammen, we'che den
gleichen Betrag verdient. Die Staatssteucr beträgt bei ersterem 31 Mark und
bei 300 Prozent Kommunalzuschlägen im ganzen 124 Mark, während der andere
12 Mark Staatssteuer und im Höchstfalle etwa 43 Mark Kommunalsteuern für
sich und seine Wirtin entrichtet.

Die auch bei den neuerlichen Kommissionsverhandlungen wieder ins Feld
geführte Betonung der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit der Familienmit-
glieder mag philosophisch und juristisch wohlbegründet sein; ihre schematische
Durchführung für die Einkommensteuergesetzgebung bewirkt eine direkt sinn¬
widrige Schädigung der tüchtigen kinderreichen Familien und keinerlei theoretische
Erwägungen sollten die zuständigen Stellen von einer Beseitigung dieser Mi߬
stände abhalten.

Ähnliches gilt von dem sogenannten Kinderprivileg. Der Grundgedanke
desselben, daß kinderreiche Familien Steuerermäßigungen erhalten müssen, war
schon in dem ersten Miquelschen Einkommensteuergesetz berücksichtigt, freilich in
völlig unzureichenden Umfange. Die Novelle von 1906 hat das Prinzip des
Kinderprivilegs weiter ausgebaut, aber auch uur in einem den praktischen
Bedürfnissen noch lange nicht genügenden Maße. Nachdem nun die letzten
Jahre das drohende Gespenst eines akuten Geburtenrückganges auch in Deutsch¬
land deutlich haben hervortreten lassen, war es zu erwarten, daß das in der
Beratung befindliche neue Gesetz auch auf dem Steuergebiet dieser Gefahr voll
Rechnung tragen würde. Das ist leider nicht der Fall und dem Ver¬
nehmen nach sind die in der Steuerkommission des Abgeordnetenhauses
in dieser Richtung gegebenen weiteren Anregungen bei der Finanz¬
verwaltung auf starken und vorläufig erfolgreichen Widerstand gestoßen.
Begründet wird dieser Widerstand damit, daß sich ein zu starker Ausfall an
Steuerertrag ergeben würde, und ferner, daß die "Steuerkraft" vieler hoch¬
belasteter Gemeinden empfindlich getroffen werden könnte. Beide Einwendungen
erscheinen keineswegs stichhaltig. Das für die Staatsgesamtheit nötige Gesamt¬
steuersoll muß natürlich erzielt werden. Jede Steuer ist aber um so weniger
drückend, je mehr sie sich der Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerzahlers


Bevölkerungspolitik und Einkommensteuer

denen der eine durch seine erwachsenen Kinder unterstützt wird, während der
andere fremde Arbeiter hält.

Ähnliches gilt von der bisher vorgeschriebenen Zusammenrechnung des Ein¬
kommens von Mann und Frau. Wo die Frau durch Außenarbeit bei Fremden
mitverdienen muß, liegt eine schwere Beeinträchtigung ihrer eigentlichen Auf¬
gaben als Hausfrau und Mutter vor, nicht nur in ethischer, sondern auch in
wirtschaftlicher Hinsicht, was eine milde Steuerveranlagung rechtfertigt. Von
einer solchen ist aber nicht die Rede, da das Einkommen von Mann und Frau
grundsätzlich dem ersteren angerechnet wird. Auch das neue Gesetz will davon
nicht abgehen. Ein Beispiel aus der Praxis: Zwei Arbeiter verdienen je
1200 Mark, der eine ist verheiratet, die Frau arbeitet auswärts und verdient
600 Mark jährlich; der andere lebt mit seiner Wirtin zusammen, we'che den
gleichen Betrag verdient. Die Staatssteucr beträgt bei ersterem 31 Mark und
bei 300 Prozent Kommunalzuschlägen im ganzen 124 Mark, während der andere
12 Mark Staatssteuer und im Höchstfalle etwa 43 Mark Kommunalsteuern für
sich und seine Wirtin entrichtet.

Die auch bei den neuerlichen Kommissionsverhandlungen wieder ins Feld
geführte Betonung der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit der Familienmit-
glieder mag philosophisch und juristisch wohlbegründet sein; ihre schematische
Durchführung für die Einkommensteuergesetzgebung bewirkt eine direkt sinn¬
widrige Schädigung der tüchtigen kinderreichen Familien und keinerlei theoretische
Erwägungen sollten die zuständigen Stellen von einer Beseitigung dieser Mi߬
stände abhalten.

Ähnliches gilt von dem sogenannten Kinderprivileg. Der Grundgedanke
desselben, daß kinderreiche Familien Steuerermäßigungen erhalten müssen, war
schon in dem ersten Miquelschen Einkommensteuergesetz berücksichtigt, freilich in
völlig unzureichenden Umfange. Die Novelle von 1906 hat das Prinzip des
Kinderprivilegs weiter ausgebaut, aber auch uur in einem den praktischen
Bedürfnissen noch lange nicht genügenden Maße. Nachdem nun die letzten
Jahre das drohende Gespenst eines akuten Geburtenrückganges auch in Deutsch¬
land deutlich haben hervortreten lassen, war es zu erwarten, daß das in der
Beratung befindliche neue Gesetz auch auf dem Steuergebiet dieser Gefahr voll
Rechnung tragen würde. Das ist leider nicht der Fall und dem Ver¬
nehmen nach sind die in der Steuerkommission des Abgeordnetenhauses
in dieser Richtung gegebenen weiteren Anregungen bei der Finanz¬
verwaltung auf starken und vorläufig erfolgreichen Widerstand gestoßen.
Begründet wird dieser Widerstand damit, daß sich ein zu starker Ausfall an
Steuerertrag ergeben würde, und ferner, daß die „Steuerkraft" vieler hoch¬
belasteter Gemeinden empfindlich getroffen werden könnte. Beide Einwendungen
erscheinen keineswegs stichhaltig. Das für die Staatsgesamtheit nötige Gesamt¬
steuersoll muß natürlich erzielt werden. Jede Steuer ist aber um so weniger
drückend, je mehr sie sich der Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerzahlers


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[0142] Bevölkerungspolitik und Einkommensteuer denen der eine durch seine erwachsenen Kinder unterstützt wird, während der andere fremde Arbeiter hält. Ähnliches gilt von der bisher vorgeschriebenen Zusammenrechnung des Ein¬ kommens von Mann und Frau. Wo die Frau durch Außenarbeit bei Fremden mitverdienen muß, liegt eine schwere Beeinträchtigung ihrer eigentlichen Auf¬ gaben als Hausfrau und Mutter vor, nicht nur in ethischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht, was eine milde Steuerveranlagung rechtfertigt. Von einer solchen ist aber nicht die Rede, da das Einkommen von Mann und Frau grundsätzlich dem ersteren angerechnet wird. Auch das neue Gesetz will davon nicht abgehen. Ein Beispiel aus der Praxis: Zwei Arbeiter verdienen je 1200 Mark, der eine ist verheiratet, die Frau arbeitet auswärts und verdient 600 Mark jährlich; der andere lebt mit seiner Wirtin zusammen, we'che den gleichen Betrag verdient. Die Staatssteucr beträgt bei ersterem 31 Mark und bei 300 Prozent Kommunalzuschlägen im ganzen 124 Mark, während der andere 12 Mark Staatssteuer und im Höchstfalle etwa 43 Mark Kommunalsteuern für sich und seine Wirtin entrichtet. Die auch bei den neuerlichen Kommissionsverhandlungen wieder ins Feld geführte Betonung der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit der Familienmit- glieder mag philosophisch und juristisch wohlbegründet sein; ihre schematische Durchführung für die Einkommensteuergesetzgebung bewirkt eine direkt sinn¬ widrige Schädigung der tüchtigen kinderreichen Familien und keinerlei theoretische Erwägungen sollten die zuständigen Stellen von einer Beseitigung dieser Mi߬ stände abhalten. Ähnliches gilt von dem sogenannten Kinderprivileg. Der Grundgedanke desselben, daß kinderreiche Familien Steuerermäßigungen erhalten müssen, war schon in dem ersten Miquelschen Einkommensteuergesetz berücksichtigt, freilich in völlig unzureichenden Umfange. Die Novelle von 1906 hat das Prinzip des Kinderprivilegs weiter ausgebaut, aber auch uur in einem den praktischen Bedürfnissen noch lange nicht genügenden Maße. Nachdem nun die letzten Jahre das drohende Gespenst eines akuten Geburtenrückganges auch in Deutsch¬ land deutlich haben hervortreten lassen, war es zu erwarten, daß das in der Beratung befindliche neue Gesetz auch auf dem Steuergebiet dieser Gefahr voll Rechnung tragen würde. Das ist leider nicht der Fall und dem Ver¬ nehmen nach sind die in der Steuerkommission des Abgeordnetenhauses in dieser Richtung gegebenen weiteren Anregungen bei der Finanz¬ verwaltung auf starken und vorläufig erfolgreichen Widerstand gestoßen. Begründet wird dieser Widerstand damit, daß sich ein zu starker Ausfall an Steuerertrag ergeben würde, und ferner, daß die „Steuerkraft" vieler hoch¬ belasteter Gemeinden empfindlich getroffen werden könnte. Beide Einwendungen erscheinen keineswegs stichhaltig. Das für die Staatsgesamtheit nötige Gesamt¬ steuersoll muß natürlich erzielt werden. Jede Steuer ist aber um so weniger drückend, je mehr sie sich der Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerzahlers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/142>, abgerufen am 16.06.2024.